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Aus sicherer Entfernung

Japanischer Ministerpräsident besucht vom Tsunami zerstörte Stadt Rikuzentakata im Nordosten des Landes. In Fukushima strömt hochradioaktives Wasser weiter ins Meer

Von Josef Oberländer *

Bis auf 20 Kilometer hat sich der japanische Ministerpräsident Naoto Kan am Wochenende an die Atomruinen von Fukushima herangewagt. Dort sind die Versuche, einen 20 Zentimeter langen Riß in einem überfluteten Wartungsschacht von Block 1 mit Beton abzudichten, vorerst gescheitert. Damit strömt weiter hochradioaktives Wasser ins Meer. Nun soll es mit Kunststoff versucht werden.

Bei seinem Besuch der Einsatzkräfte, die ihr Hauptquartier im nationalen Ausbildungszentrum des japanischen Fußballverbands in Naraha aufgeschlagen haben, pries Kan die Mitarbeiter der Betreibergesellschaft Tokyo Electric (Tepco) und ihrer Subunternehmer, die unter erbärmlichen Bedingungen versuchen, die Kühlung der Schrottmeiler wieder in Gang zu bekommen, und dankte ihnen für die »harte Arbeit«. Unterdessen wurden die Leichen von zwei Tepco-Mitarbeitern im Keller des Turbinenhauses von Block 4 geborgen. Dem Unternehmen zufolge waren sie bereits bei dem verheerenden Erdbeben mit nachfolgender Flutwelle vor mehr als zwei Wochen ums Leben gekommen.

Was aus dem radioaktiv belasteten Kühlwasser werden soll, ist weiter ungeklärt. Weil ständig frisches Meerwasser in die Anlagen gepumpt werden muß, um eine vollständige Kernschmelze zu verhindern, wird immer mehr Wasser verseucht. Bis zu 18000 Tonnen sollen abgepumpt und auf einer Art Floß zwischengelagert werden, das vor dem AKW verankert wird. Die 136 mal 46 Meter große Arbeitsplattform stammt aus dem Besitz der Stadt Shimizu südwestlich von Tokio und muß erst noch nach Fukushima gebracht werden. Daneben sollen Tankwagen, Schiffe und andere Speicher genutzt werden, sagte Hidehiko Nishiyama von der japanischen Atomaufsicht. Dabei kann es sich jedoch nur um eine Zwischenlösung handeln. Neue Meßwerte wurden nicht mitgeteilt.

Am interessantesten sind Einschätzungen ausländischer Wissenschaftler, die sich keine Zurückhaltung auferlegen müssen. Einer ins Internet durchgesickerten Präsentation des französischen Atomkonzerns Areva (www.scribd.com/doc/52131245/fuku­shima-areva) zufolge lagen die Brennelemente der Schrottreaktoren zu 75 Prozent auf dem Trockenen. Die Temperaturen seien dabei in Block 1 bis auf 2 700 Grad Celsius gestiegen. In Block 1 bis 3 seien die Reaktorkerne beschädigt. Ob bereits Radioaktivität aus den Abklingbecken frei wurde, in denen abgebrannte Brennelemente zwischengelagert werden, sei unklar. In Block 4, wo wegen Wartungsarbeiten die gesamte Ladung im Abklingbecken untergebracht wurde, müsse ein Austrocknen innerhalb von zehn Tagen befürchtet werden. Auch Areva beklagt in dem Dokument, daß Tepco viel zu wenig Daten veröffentlicht, und empfiehlt die Einnahme von Jodtabletten im Umkreis von 50 Kilometern. US-Energieminister Steven Chu geht auf der Grundlage von Computermodellen davon aus, daß in einem der sechs Blöcke 70 Prozent der Brennelemente beschädigt sind, in einem anderen sei ein Drittel geschmolzen.

Erstmals seit dem Erdbeben besuchte Japans Regierungschef den Nordosten des Landes. Im Armeehubschrauber ließ er sich in die vom Tsunami völlig zerstörte Stadt Rikuzentakata fliegen, wo sein Auftritt im Blaumann allerdings auf wenig Gegenliebe stieß. Hier hatte man früher Hilfe erwartet. In zahlreichen Notunterkünften gibt es bis heute weder Wasser noch Strom. Viele Leichen wurden noch nicht geborgen. Kan sah sich genötigt, Unterstützung für die Fischer in der Region anzukündigen. In den Präfekturen Fukushima, Iwate und Miyagi kam der Fischfang nach dem Beben zum Erliegen. Sie lieferten zuvor rund ein Achtel des in Japan produzierten Fischs.

* Aus: junge Welt, 4. April 2011


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