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Auf Stimmenfang für die Unabhängigkeit Venetiens

Das Plebiszit im Norden Italiens hat keine praktischen Auswirkungen

Von Anna Maldini, Rom *

In der norditalienischen Region Veneto (Venetien) endet am Freitag eine Volksbefragung zum Thema »Unabhängigkeit«. Sie gibt ein Stimmungsbild, rechtliche Konsequenzen hat sie nicht.

»Wollen Sie, dass Venetien eine föderale, unabhängige und autonome Republik wird?« Auf diese Frage können noch bis heute die Wahlberechtigten der norditalienischen Region Veneto antworten, deren Hauptstadt Venedig ist und die knapp fünf Millionen Einwohner zählt. Wenn man mit »Ja« antwortet, gibt es noch drei weitere Fragen, die die Zugehörigkeit zur EU und zur NATO sowie den Ausstieg aus dem Euro betreffen. Allerdings: Diese Befragung (das Wort Referendum wäre wohl zu hoch gegriffen) hat keinerlei legalen Wert und auch keine Form von offizieller Unterstützung.

Schon die Wahlmodalitäten sind dubios und überhaupt nicht nachzuprüfen. In den vergangenen Wochen haben zumindest theoretisch alle Personen, die in der Region gemeldet sind, einen Brief mit einer persönlichen Wahlnummer erhalten. Damit kann man seit Montag entweder in ein Wahllokal gehen, sich im Internet anmelden oder seine Stimme telefonisch abgeben. Die Kontrollen sind natürlich gleich null.

Organisatoren sind einige Personen, die sich von der rechtspopulistischen und europafeindlichen Lega Nord abgespalten haben. Die Lega strebt eine sogenannte »Makroregion« aus den Landstrichen nördlich des Flusses Po an, die sie »Padanien« nennt. Dieses Gebilde soll weitgehende Autonomie erhalten, ähnlich wie es zum Beispiel in Schottland oder beim Baskenland der Fall ist.

Die Organisatoren des Plebiszits aber gehen noch weiter: Sie wollen, wie die Frage suggeriert, einen völlig unabhängigen Staat nach dem Modell der einst glorreichen Republik Venedig, die allerdings bereits 1797 endgültig unterging und zerschlagen wurde und deren Blütezeit mindestens fünf Jahrhunderte und mehr zurückliegt.

Die Begründung für dieses Begehren ist mehr als schwammig. »Wenn Italien untergeht«, so heißt es auf einer Webseite, »dann wollen wenigstens wir uns retten. Wir sind wie die Ratten, die das sinkende Schiff verlassen.« Abgesehen davon, dass man sich darüber streiten kann, ob die Einwohner von Venedig, Verona und Padua gerne mit Ratten verglichen werden möchten, ist die Argumentation auch sonst eher dürftig. Kein Wort wird darüber verloren, wie man diese Unabhängigkeit denn durchzusetzen beabsichtigt.

Vor einigen Monaten hatte es schon einen Antrag auf Unabhängigkeit im Regionalparlament gegeben, über den allerdings gar nicht abgestimmt wurde, weil nur 20 Abgeordnete (ausschließlich von der Lega) erschienen waren und alle anderen schon die Idee für absurd und keiner Abstimmung für würdig hielten. Außerdem ist dies nicht das erste »Referendum« dieser Art: Seit 2007 hat man die Einwohner von Venetien schon fünf Mal aufgefordert, sich zur Unabhängigkeit ihrer Region zu äußern. Jedes Mal siegte das »Ja« mit übergroßer Mehrheit, was aber vor allem daran lag, dass nur die Organisatoren selbst und wenige andere überhaupt eine Stimme abgegeben hatten.

Wie hoch die Wahlbeteiligung war bzw. ist, kann niemand so genau sagen. Derzeit steht die Zahl 430 000 im Raum, was bedeuten würde, dass bisher elf Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen haben. Auch Regionalpräsident Luca Zaia, der der Lega Nord angehört, ist klar, dass das Plebiszit keine praktischen Auswirkungen haben kann. Es sei ein Denkanstoß, erklärte der Politiker. Gleichzeitig unterstrich er jedoch, dass der italienische Staat zu zentralistisch organisiert sei und dass dies vor allem zu Lasten des Nordens gehe, während der arme Süden Italiens davon profitiere. Zaia und seine Partei wollen vor allem, dass die Steuern, die im Norden gezahlt werden, auch einzig und allein dem Norden zugutekommen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 21. März 2014


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