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Wiedereinführung der Zensur

Von Anna Maldini *

»Jeder hat das Recht, seine Meinung frei (…) zu äußern. Die Presse kann keiner Form von Genehmigung oder Zensur unterworfen werden.« So steht es in der italienischen Verfassung, wie in so ziemlich allen demokratischen Verfassungen dieser Erde. Aber tatsächlich sieht die Realität im Berlusconi-Italien dann doch etwas anders aus.

Ende März finden im Mittelmeerland Regionalwahlen statt. In 13 von 20 Regionen werden neue Ministerpräsidenten und neue Landesregierungen gewählt. Und das ist demokratisch. Sehr viel weniger demokratisch ist da schon, dass das italienische Parlament, in dem die rechten Regierungsparteien eine massive Mehrheit haben, für die Zeit der Wahlkampagne ein neues Regelement für das öffentlich-rechtliche Fernsehen RAI beschlossen hat; dies wurde dann vom Verwaltungsrat der Fernsehanstalt, der mehrheitlich von den Regierungsparteien bestimmt wird, abgenickt. Es heißt darin, dass in jeder Informationssendung der zeitliche Proporz zwischen allen Parteien, die bei dieser Wahl antreten, genau gewährleistet sein muss.

Also: Wenn irgendein Vertreter der Partei X egal zu welchem Thema für 34 Sekunden zu Wort kommt oder man 34 Sekunden in irgendeiner Form über diese Partei berichtet, müssen die Parteien Y und Z genauso viel Raum erhalten. Da das aber nicht immer möglich bzw. sowieso unsinnig ist – das weiß auch der Gesetzgeber –, will man die Journalisten bestimmter Info-Programme und politischen Talkshows gar nicht erst in Verlegenheit bringen und setzt ihre Sendungen gleich ab. Unmissverständlicher Klartext: Die vier großen politischen Talkshows der RAI dürfen bis zum Tag der Wahl nicht ausgestrahlt werden. Das wäre in etwa so, als würde man in Deutschland vor Landtagswahlen bei ARD, ZDF, den Dritten, Phönix, 3sat und ARTE keine Anne Will, keine Sandra Maischberger, kein »Hart aber Fair« und ähnliches mehr zu sehen bekommen. Und das auf Geheiß des Bundestages.

Es klingt absurd, aber in Italien ist es bittere Realität. Da nützen auch die Proteste der Journalisten, der Gewerkschaften, der Oppositionsparteien und vieler Verbraucherverbände nichts: Der Bürger wird für unmündig erklärt und nur die Regierung weiß, was für ihn gut, bzw. schlecht ist. Und Informations- und Hintergrundsendungen sind eindeutig schlecht. Für das Privatfernsehen – und das gehört in Italien nun mal zu 99 Prozent Herrn Silvio Berlusconi, der zufälligerweise auch Ministerpräsident ist – gilt diese Regel nicht, denn darauf kann das Parlament ja keinen Einfluss nehmen.

Vom politischen Aspekt dieser Chose man abgesehen, bedeutet die Absetzung von vier beliebten Sendungen einen Verlust von Werbeeinnahmen, der sich auf mindestes drei Millionen Euro beläuft. Dazu kommt ein Rückgang der Einschaltquoten. Ein klarer Konkurrenzvorteil für das Berlusconi-Privatfernsehen. Verbraucherverbände haben zudem angekündigt, dass sie das nächste Mal die Fernsehgebühren um ein Zwölftel kürzen werden, da man ja nur elf Monate lang das volle Programm sehen konnte.

Gad Lerner, ein Journalist, der für einen privaten Sender arbeitet, gibt eine politische Interpretation: »Zum ersten Mal wird in Italien die Zensur wieder eingeführt. Sie dauert zwar nur einen Monat, aber es ist ja schon mal ein Versuch. Und möglicherweise will man ja auch, dass wir uns langsam daran gewöhnen.« Andere Journalisten und Politiker sprechen von einer Entscheidung, die »dem Regime in Burma würdig ist«.

Im dritten Programm, wo eine der abgesetzten Sendungen lief, hat der Programmdirektor eine drastische Entscheidung getroffen: Er bringt jetzt zur gleichen Sendezeit jede Woche einen Dokumentarfilm über die Ursprünge des Faschismus mit dem Titel »Die Diktatur«. Ein Schelm, wer Absicht dahinter vermutet.

* Die Autorin berichtet für das ND aus Italien und lebt in Rom.

Aus: Neues Deutschland, 22. März 2010 (Medienkolumne)



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