Berlusconi riskiert Generalstreik
Sparprogramm der italienischen Regierung stößt auf wachsende Empörung
Von Anna Maldini, Rom *
Gegen die Sparbeschlüsse der italienischen Regierung regt sich heftiger Protest. Kritik an den Maßnahmen kommt inzwischen nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der Koalition von Silvio Berlusconi. Die linke Gewerkschaft CGIL schließt einen Generalstreik nicht aus.
Berlusconi habe am Sonntag (14. Aug.) mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy über die Sparpläne seiner Regierung gesprochen, hieß es zu Wochenbeginn aus Rom. In dem Telefonat habe der Premier unterstrichen, dass mit den Maßnahmen bis 2013 ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden soll.
Am Freitagabend (12. Aug.) hatte Italiens Regierung das Paket verabschiedet, mit dem in zwei Jahren 45,5 Milliarden Euro gespart werden sollen. Regionen, Provinzen und Kommunen werden bis zu 50 000 Stellen abbauen müssen. Das Rentenalter für Frauen soll früher als bisher vorgesehen auf 65 Jahre erhöht werden. Die geplanten Vorhaben ergänzen einen Mitte Juli verabschiedeten ersten Dreijahresplan mit einem Sparvolumen von 48 Milliarden Euro.
Scharfe Kritik an den vorgesehenen Maßnahmen üben Oppositionsparteien, Gewerkschaften und selbst Unternehmer. Inzwischen äußern sich auch immer mehr Vertreter der Regierungsparteien ablehnend zu dem Sparvorhaben. Und selbst Silvio Berlusconi lässt durchblicken, dass er »eigentlich« etwas anderes gewollt hatte, von seinem Finanzminister Giulio Tremonti aber über den Tisch gezogen worden sei.
Nichi Vendola, Vorsitzender der linken Partei SEL (Linke, Ökologie und Freiheit) und Ministerpräsident Apuliens, hält das Paket für eine Kriegserklärung an Italien. »Es ist unverantwortlich und stümperhaft, die sozialen Dienstleistungen und die Rechte der Arbeitswelt werden in bislang unbekanntem Maße beschnitten.« Außerdem wolle die Berlusconi-Regierung den Regionen die Verantwortung dafür zuschieben, »den Sozialstaat zu zerstören«.
Ähnlich scharfe Kritik an dem Sparpaket üben auch die anderen Oppositionsparteien. Die Demokraten haben einen Alternativvorschlag ausgearbeitet, den sie dem Parlament am 22. August vorlegen werden, wenn die Volksvertreter über die Pläne abstimmen sollen. Neben dem sozialen Kahlschlag werden vor allem zwei Kritikpunkte vorgebracht: Das Paket trifft die Armen und den Mittelstand, lässt aber Großverdiener, Vermögende und die Steuerhinterzieher unberührt. Zudem ist es nicht auf Entwicklung und Wirtschaftswachstum ausgerichtet, die Italien so bitter nötig hätte.
Auch der Großteil der Gewerkschaften will das Paket nicht hinnehmen. Die Arbeitnehmervertretungen betonen, dass eine Reihe von Rechten im Namen der »Liberalisierung« ausgehebelt würden und Rentner und Frauen besonders von den Schnitten betroffen seien. Dagegen könne die »Politikerkaste«, die bestbezahlte in Europa, weiter ihre Privilegien genießen. Einen Generalstreik gegen das Sparpaket schließt vor allem die linksgerichtete CGIL nicht aus.
Aber mehr als die Kritik der Opposition fürchtet Berlusconi Rebellion und »Heckenschützen« in den eigenen Reihen. Stündlich werden es mehr Politiker aus seiner Koalition, die sich insbesondere gegen die höhere Steuerbelastung für den Mittelstand wehren. Nach dem Vorbild der rechten US-amerikanischen »Tea Party« steht sogar die Organisation einer »Anti-Steuer-Bewegung« im Raum. Als deren Wortführer gilt Roberto Formigoni, der erzkatholische Ministerpräsident der norditalienischen Region Lombardei – und einer der Spitzenpolitiker der Berlusconi-Partei.
* Aus: Neues Deutschland, 16. August 2011
Technokratur
Von Kurt Stenger **
Und wieder wird in Euroland ein milliardenschweres Sparprogramm übers Knie gebrochen. Diesmal in Italien, und nicht einmal die Regierung dort ist sich einig darüber, ob man diesem zustimmen sollte oder nicht. Es sieht eher danach aus, als ob sich lediglich ein Finanzminister mal so richtig austoben durfte. Wie in Griechenland, Portugal, Irland und Spanien wird in erster Linie im Gesundheits- und Rentenbereich sowie im öffentlichen Dienst der Rotstift angesetzt.
Es wird immer deutlicher, in welche Richtung die EU unter einer Wirtschaftsregierung nach Berliner Rezeptur steuert, die den Druck der Finanzmärkte als Disziplinierungsinstrument nutzt. Mit der Spar-Technokratur verliert Euroland jeden Bezug zum Wohle der Bürger. Die Politik wird hinter den Kulissen von der deutschen Regierung vorgegeben, während Frankreichs Präsident bestenfalls die eine oder andere kleine Änderung durchzusetzen vermag. Von Solidarität unter den Europäern fehlt jede Spur – das machte gerade die Kanzlerin deutlich, als sie ihren Urlaub in Italien bis zum Ende genoss, während dieses Land fast an den Rand der Pleite getrieben wurde.
Da aber immer mehr und immer größere Länder von den Märkten attackiert werden, wird offensichtlich, dass das bisherige Krisenmanagement nichts gefruchtet hat. Und so werden über kurz oder lang Eurobonds kommen. Es braucht aber weit mehr als eine sinnvolle Einzelmaßnahme – nämlich einen Richtungswechsel in Euroland.
** Aus: Neues Deutschland, 16. August 2011 (Kommentar)
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