Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bella Ciao, Piombino

Vor 70 Jahren entstand die italienische Resistenza

Von Wolf H. Wagner, Piombino *

In normalen Zeiten ist Piombino eine touristische Attraktion in der Toskana. Vor 70 Jahren herrschte Ausnahmezustand: Deutsche Wehrmachtsangehörige besetzten Anfang September 1943 die Hafenstadt und kündigten dem ehemals Verbündeten die Freundschaft. Die Erinnerung daran ist wach.

Piombino ist das toskanische Tor zur Insel Elba. Nahezu alle Touristen, die auf dem berühmten Eiland im Tyrrhenischen Meer ihren Urlaub verbringen, setzen von der kleinen Hafenstadt per Fähre über, darunter in jedem Jahr auch Tausende Deutsche. Gern gesehene Gäste – der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig sowohl auf dem Festland als auch auf der Insel.

Doch in diesen Tagen erinnern sich die Einwohner von Piombino ganz anderer Deutscher: Wehrmachtsangehörige, die Anfang September 1943 die Hafenstadt militärisch und als Feinde besetzten. Und sie erinnern sich an jene Stunden, als die Einwohner Piombinos, Livornos, die Bauern aus dem Hinterland aufstanden, um Widerstand gegen die Besatzer zu leisten, an die Geburtsstunde der »Resistenza«.

Kaum war der Waffenstillstandspakt zwischen den alliierten Truppen und der italienischen Regierung unter Marschall Pietro Bardoglio bekanntgeworden, begannen die Truppen der deutschen Wehrmacht, der Luftwaffe sowie der Marine mit der Besetzung der Apenninhalbinsel. Am 8. September kreuzte vor der Hafeneinfahrt von Piombino ein deutscher Marinekonvoi auf, dessen Soldaten die Stadt besetzen sollten. Zum Konvoi gehörten neben zwei Minenlegern sechs Marinefährprahme mit Landungstruppen an Bord.

In der toskanischen Hafenstadt hatte man bereits seit Wochen auf Frieden gehofft. Zivilisten und italienisches Militär organisierten eine Selbstverwaltung, ein Traum einer liberalen, postfaschistischen Republik lag in der Luft. Mit entsprechendem Selbstbewusstsein, so erklären es Zeitzeugen jener Tage noch heute, habe die Hafenkommandantur reagiert: Die deutschen Schiffe wurden von der Hafenbatterien beschossen und mussten sich im Morgengrauen des 9. September zurückziehen.

Auch an den Folgetagen scheiterten Versuche der deutschen Truppen, in Piombino zu landen. Die italienischen Küstentruppen versenkten zwei Torpedoschnellboote und verschiedene kleine Truppentransporter. 120 deutsche Soldaten fielen in den Kämpfen um Piombino, 400 gerieten in Gefangenschaft.

Doch längst nicht alle italienischen Offiziere hatten sich vom bisherigen Verbündeten losgesagt und waren zu Kriegsgegnern geworden. Brigadegeneral Cesare Maria De Vecchi, ein Faschist der ersten Stunde und 1943 Kommandeur der 215. Küstendivision, gab am 11. September den Befehl, die Kampfhandlungen einzustellen, die gefangenen Deutschen wieder in Freiheit zu setzen und ihnen ihre Waffen zurückzugeben. Einen Tag später wurde Piombino von deutschen Truppen besetzt.

Die Bevölkerung der Hafenstadt empörte sich über die Weisung De Vecchis. Arbeiter, Matrosen und desertierte Soldaten zogen sich bewaffnet in die Macchiawälder im Hinterland zurück und begannen den Partisanenkampf gegen die deutschen Besatzer. In den Folgemonaten lieferten sich die Kämpfer der 3. Partisanenbrigade »Garibaldi« heftige Kämpfe mit den deutschen Truppen. Die Resistenza betonte dabei stets, dass sie nicht als Anhängsel der alliierten Militäreinheiten, sondern als Befreier Italiens operierten. Es gründeten sich die Nationalen Befreiungskomitees (Comitato di Liberazione Nazionale, CLN), in denen Kommunisten, Sozialisten sowie Monarchisten, die sich vom Faschismus trennen wollten, aber auch viele ohne ideologischen Hintergrund Agierende zusammenschlossen. Zu den Widerstandsgruppen stießen auch versprengte Soldaten, zum Teil aus deutscher Kriegsgefangenschaft geflohen. Immerhin mussten rund 600 000 italienische Kriegsgefangene als »Militärinternierte« in deutschen Rüstungsfirmen arbeiten.

Der »Krieg der zwanzig Monate« wurde sicher nicht durch den Partisanenkampf gewonnen, doch unterstützten die Brigaden den Vormarsch der US-amerikanischen und britischen Truppen und zwangen die Deutschen, sich in die Städte zurückzuziehen. Sowohl die Besatzer als auch die nach der zwischenzeitlichen Befreiung Mussolinis neu aufgestellten Truppen der »Salo-Republik« reagierten mit Gewalt und Brutalität. Davon zeugten die Massaker, wie das in den Ardeatinischen Höhlen in Rom oder die Auslöschung von St. Anna di Stazzema.

»Der Widerstand im September 1943 war ein deutliches Zeichen für den Friedenswillen der Italiener«, erklärt Professor Ivan Tognarini, Präsident des Regionalkomitees des Nationalen Partisanenverbandes ANPI in Florenz. »Die Schlacht von Piombino war nicht nur eine der ersten militärischen Auseinandersetzungen mit den deutschen Besatzern, sondern sie war vor allem ein Zeichen der Abrechnung und der Befreiung vom italienischen Faschismus – dies ist die Bedeutung, die das Ereignis bis heute hat.«

Es war auch ein Kampf darum, die nationale Würde wiederherzustellen. In den Kämpfen jener Septembertage waren nicht nur deutsche Soldaten gefallen, auch unter der italienischen Zivilbevölkerung gab es Opfer. Die Besatzer beeilten sich jedoch, die große Allee, die durch die Innenstadt zum Hafen führt, in »Adolf-Hitler-Allee« umzubenennen sowie den Platz vor dem Hafen in »Märtyrerplatz«.

Die Rückbenennung in »Viale Unita d’Italia« ist nicht nur ein Zeichen des moralischen Sieges über den Gegner. Der Aufstand vom 8. bis zum 11. September ist auch ein Symbol für die Entstehung eines neuen demokratischen Staates.

»Wenn wir uns am 15. September zur großen Gedenkkundgebung einfinden werden«, so Ivan Tognarini, »ist dies jedoch nicht nur ein Akt des Erinnerns«. Denn gerade die aktuellen Krisenzeiten zeigten, wie schnell Nationalismus und Rassismus sich wieder erheben können und die Demokratie verteidigt werden muss. Auch dafür steht der Aufstand von Piombino, so Tognarini.

Ohnehin habe die historische Aufarbeitung der Geschichte in Italien sich viel zu lange hingezögert. Zwar habe man an den Orten der faschistischen Massaker schon bald nach dem Kriege Gedenkstätten errichtet, doch erst in jüngerer Zeit beginnt eine wissenschaftliche – und zum Teil auch juristische – Aufarbeitung der Vergangenheit. Ein Zeichen dessen ist das lange Bemühen Piombinos um auch offizielle Anerkennung der militärischen und politischen Aufstände aus den damaligen Septembertagen. Erst 55 Jahre nach der »Schlacht von Piombino« erhielt die Stadt die höchste militärische Auszeichnung, die Italien zu vergeben hat, die goldene Tapferkeitsmedaille. Und mit einer eigens eingerichteten parlamentarischen Untersuchungskommission bekam 2006 die Aufarbeitung der nationalen Geschichte, die Untersuchung der Verantwortlichkeiten für das tragische Kapitel zwischen 1943 und 1945, in dem immerhin 10 000 Zivilisten, viele von ihnen Frauen und Kinder, zum Opfer gefallen sind, neuen Aufschwung.

Tognarini, dessen engste Verwandte selbst im Befreiungskomitee von Piombino mitarbeiteten, sieht in den Feiern zum 70. Jahrestag vor allem einen weiteren Meilenstein zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Auch wenn am Festtag selbst das Gedenken an die Opfer und die Erinnerung an die mutigen Kämpfer und Kämpferinnen im Vordergrund steht, und am Abschluss der Feier, wie stets die Partisanenhymne »Bella Ciao« erklingen wird.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 6. September 2013

Der Abgang des »Duce«

1943 wird Mussolini zum Verhängnis

Es war der Anfang vom Ende. Das Debakel der italienischen Truppen, die gemeinsam mit der deutschen Wehrmacht im Februar 1943 vor Stalingrad zugrunde gingen, die Niederlagen der Italiener auf dem afrikanischen Kontinent sowie die am 10. Juli im Rahmen der »Operation Husky« begonnene Besetzung Siziliens durch die US-Truppen blieb nicht ohne Eindruck auf die Moral der politischen Elite des Landes: Bereits am 25. Juli 1943, etwa drei Wochen, bevor Sizilien am 17. August vollständig von den US-Amerikanern besetzt war, wurde Benito Mussolini in Rom seines Amtes als »Duce« und Regierungschef enthoben.

Ende August begannen Beauftragte des Nachfolgers Marschall Pietro Bardoglios, mit den alliierten Truppen über einen Separatwaffenstillstand zu verhandeln. Ein zwölf Artikel umfassendes Dokument wurde erarbeitet, das am 3. September 1943 in dem kleinen Ort Cassibile (Syrakus) unterzeichnet wurde. In diesem »kleinen Waffenstillstand« verpflichtete sich Italien zur sofortigen Feuereinstellung, zur Übergabe des Territoriums einschließlich der beiden zu Italien gehörenden Inseln an die alliierten Streitkräfte, sämtliche Wege frei zu machen, dass sich die Alliierten den deutschen Truppen stellen konnten. Darüber hinaus ermächtigte die italienische Regierung das Oberkommando der alliierten Streitkräfte, sämtliche Maßnahmen zur Entwaffnung und Demobilisierung der italienischen Armeen zu ergreifen.

Bardoglio verpflichtete sich bereits während der vorangegangenen Geheimverhandlungen, den US-Amerikanern und Briten den Zugang nach Rom zu verschaffen. Allerdings überschätzte der Marschall die Truppenstärke der Alliierten im Mittelmeer und rechnete nicht mit der deutschen Reaktion. Die ließ mit dem Bekanntwerden des Waffenstillstands am 8. September nicht auf sich warten: Die unter dem Befehl der Generäle Albert Kesselring und Erwin Rommel stehenden Truppen begannen, die Apenninhalbinsel zu besetzen und Italien als Feind anzusehen. Zu den militärischen Aktivitäten der nazideutschen Wehrmacht gehörte auch die Besetzung der tyrrhenischen Häfen, darunter Piombino.

whw




Zurück zur Italien-Seite

Zur Seite "Geschichte des 2. Weltkriegs"

Zur Seite "Befreiung vom Faschismus"

Zurück zur Homepage