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Zehntausende gegen Rassismus

Proteste in Italien gegen Morde an Migranten

Von Matilda Bombolone *

Zehntausende Menschen demonstrierten am Wochenende in mehreren italienischen Städten gegen Rassismus und gedachten der senegalesischen Opfer des Mordanschlags, den Gianluca Casseri am vergangenen Dienstag verübte.

Bis zu 20 000 Menschen gingen am Samstag allein in Florenz auf die Straße und setzten ein Zeichen gegen den rassistischen Anschlag von Gianluca Casseri auf migrantische Straßenhändler. Der Umzug begann auf dem Platz Dalmazia, wo der Rechtsextemist am vergangenen Dienstag zwei Senegalesen auf dem dortigen Markt erschoss und mehrere verletzte, bevor er sich zu einem weiteren Markt im historischen Zentrum von Florenz aufmachte. Auch dort schoss Casseri gezielt auf afrikanische Händler und verletzte mehrere von ihnen. Von der Polizei umzingelt, tötete sich der Attentäter schließlich selbst.

Die Angehörigen der beiden Toten Mor Diop und Modou Samb führten den Umzug durch Florenz an. Die senegalesische Gemeinde wurde von vielen Italienern unterstützt. Sogar die Führer der Demokratischen Partei, Pier Luigi Bersani, und der links-ökologischen Partei SEL, Nichi Vendola, reisten an. Wie der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, reihten sie sich weiter hinten in den Zug ein. Demonstrationen gab es auch in Mailand, Turin, Neapel, Bari, Genua, Verona und Bologna.

Die Hintergründe der Tat wurden weiter diskutiert. Dass der 50-jährige Casseri aus rassistischen Motiven auf die afrikanischen Händler schoss, scheint belegt. In vielen italienischen Medien wird vom »italienischen Breivik« gesprochen. Tatsächlich soll Casseri, der aus der nahe gelegenen Provinz Pistoia stammt und erst kurze Zeit in Florenz wohnte, ein Einzelgänger mit kruden Gedanken gewesen sein. Diese veröffentlichte er unter anderem in Büchern und Zeitschriften.

Doch Casseri war in die neofaschistische Organisation Casa Pound eingebunden, besuchte regelmäßig deren Sitz in Pistoia, wie der Journalist Alessandro Doranti berichtete. Bei einem Prozess gegen Antifaschisten aus Livorno sei Casseri bei jedem Verhandlungstag im Gerichtssaal gewesen - neben Mitgliedern von Casa Pound. Die Organisation selbst weist indes weiter jeglichen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und Casseris Tat zurück und sieht keinen Grund, sich zu entschuldigen.

Für Doranti ist diese Reaktion Teil eines Versteckspiels. »Sie sind Meister im Verkleiden«, sagt der in Florenz und Livorno lebende Autor über Casa Pound. Die Einladung der senegalesischen Gemeinschaft zu einem Gespräch sei nicht ernst zu nehmen. »Es wäre interessant zu wissen, was der Inhalt dieses Gesprächs wäre. Haben sie etwa den Mut zuzugeben, dass in ihren Augen die Migranten und nicht etwa die Entwicklung des kapitalistischen Marktes für die Deregulierungen in der Arbeitswelt verantwortlich sind?«

Nach Ansicht von Doranti, der auch bei dem regionalen Nachrichteninternetportal Senza Soste mitarbeitet, ist die historisch als links betrachtete Toskana nicht immun gegen die Präsenz faschistischer Organisationen. »Es gibt eine schwarze Toskana und es fehlt an politischen Akteuren und Institutionen, die die Rechtfertigung des Faschismus anklagen«, so Doranti. In dem Fall gegen sechs Aktivisten, die im Herbst 2009 den Treffpunkt von Casa Pound in Pistoia angegriffen haben sollen, hätten die Behörden sogar mit den Faschisten zusammengearbeitet.

Casa Pound sei als Organisation zwar nicht zu unterschätzen - sie nutzen das Internet für sich und sprechen mit einem modernen Erscheinungsbild vor allem junge Menschen an. Doch einen spürbaren politischen Einfluss habe Casa Pound bislang nur in Rom, wo die inzwischen als eingetragener Verein firmierende Organisation 2003 mit einer Hausbesetzung entstand.

* Aus: neues deutschland, 19. Dezember 2011


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