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Lex Berlusconi, die ... wievielte?

Abgeordnetenkammer Italiens verabschiedete Verjährungsgesetz

Von Anna Maldini, Rom *

Silvio Berlusconi hat es erneut geschafft. In der Abgeordnetenkammer in Rom wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Verjährungsfristen für Personen ohne Vorstrafen herabsetzt. Damit hat er schon mal einen der vier Prozesse aus dem Weg geräumt, die derzeit gegen ihn laufen.

Im ehrwürdigen Palazzo Montecitorio, in dem die italienische Abgeordnetenkammer ihren Sitz hat, war das Klima in den vergangenen Tagen extrem angespannt. Die Parlamentarier sollten über ein Gesetz abstimmen, das allgemein die Prozesszeiten verkürzt, aber vor allem die Verjährungsfristen für »unbescholtene Bürger« herabsetzt.

Die Abgeordneten der Regierungsmehrheit haben zwar versucht, die Tatsache abzustreiten, dass es dabei vor allem um einen einzigen »unbescholtenen Bürger« geht, nämlich wieder einmal um Ministerpräsident Silvio Berlusconi – aber die Fakten liegen klar auf der Hand. Selbst Justizminister Angiolino Alfano musste eingestehen, dass dieses neue Gesetz nur auf 0,2 Prozent aller laufenden Prozesse Einfluss haben wird.

Wobei die zahlreichen Bürger, die während der Sitzungen vor Montecitorio demonstrierten, allerdings der Ansicht sind, dass in diesen geringen Prozentsatz auch Verfahren wie der Brand im Thyssen-Werk in Turin, das Zugunglück in Viareggio oder der Baupfusch in Aquila fallen werden, die so alle nie zu einem Urteil kommen werden. »Es handelt sich um eine verdeckte Amnestie für schwerwiegende Verbrechen«, urteilten auch viele Richter.

Sicher aber fällt der Prozess darunter, in dem Berlusconi wegen Zeugenbestechung angeklagt ist. Und diese Anklage liegt ihm besonders im Mage, da der englische Anwalt Mills bereits verurteilt wurde, weil er sich von Berlusconi mit 600 000 Dollar zu einer Falschaussage überreden ließ. Ein Freispruch wäre für Berlusconi höchst unwahrscheinlich. .

Um das Gesetz durchzupauken, mussten die Regierungsparteien auf ungewöhnliche Mittel zurückgreifen: Auch die Minister und Staatssekretäre hatten bei allen Abstimmungen anwesend zu sein, weil die Mehrheit sonst nicht ausgereicht hätte.

Selbst die Regierungsarbeit – so kommentierten Medien – musste sich dem Ministerpräsidenten und seinen Problemen mit der Justiz unterordnen. Und das in einem Moment, in dem es nun wirklich nicht an wichtigen internationalen Problemen fehlt. Auch die Opposition hat sich viel einfallen lassen, um die Verabschiedung der »Kurzen Verjährung« möglichst zu verzögern. An einem Tag meldeten sich zum Beispiel alle Parlamentarier zu Wort und jeder von ihnen las laut einen Artikel der Verfassung vor, um so auszudrücken, dass die Regierung ihre Parlamentsmehrheit missbraucht, um das Grundgesetz der Italienischen Republik zu beugen.

Tatsächlich muss das neue Gesetz jetzt noch vom Senat verabschiedet werden, wo die Mehrheitsverhältnisse für die Regierung allerdings noch günstiger sind. Dann muss der Staatspräsident die Lex unterzeichnen. Es gibt Gerüchte, die besagen, dass er das nicht tun wird, da er der Ansicht ist, sie verstoße gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. In diesem Fall aber sieht die Verfassung vor, dass eine zweite Verabschiedung durch das Parlament dieses »Hindernis« aushebeln kann. Dann bleibt noch das Verfassungsgericht – aber bevor das ein Urteil fällt, vergehen Monate und vielleicht sogar Jahre. Silvio Berlusconi kann jetzt also erst einmal etwas ruhiger schlafen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2011


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