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"Palermo droht, wie Griechenland, die Pleite"

Italienischer Mafiajäger kandidiert erneut für das Bürgermeisteramt von Palermo. Ein Gespräch mit Leoluca Orlando *


Der italienische Parlamentsabgeordnete Leoluca Orlando ist promovierter Jurist. Durch seinen Kampf gegen die Mafia wurde er international bekannt. Er lebt seither permanent unter Personenschutz. Mit kurzer Unterbrechung war er bereits 1985 bis 2000 Bürgermeister von Palermo.


Sie kandidieren in Parlermo für das Bürgermeisteramt und haben auf Unterstützung durch die Demokratische Partei PD, die zweitstärkste Kraft im italienischen Parlament, verzichtet. Die PD unterstützt einen eigenen Kandidaten, Fabrizio Ferrandelli, der bei den Vorwahlen erfolgreich war. Befürchten Sie nicht, ohne die Unterstützung der PD ihr Ziel zu verfehlen?

Die PD hat auf Sizilien beschlossen, den Regionalrat von Präsident Raffaele Lombardo zu unterstützen, obwohl gegen ihn Ermittlungen wegen Mafia-Verstrickungen laufen. Der Regionalrat überlebt nur dank der Unterstützung der PD. Es ist ein politischer und ethischer Skandal, daß die PD Lombardi trotz seiner aktuellen Probleme mit der Justiz unterstützt. Ich vertraue den Bürgern und hoffe, daß sie im Interesse der Stadt wählen werden. Meine persönliche Biographie ist eine Geschichte aus Unternehmungen, die anfangs unmöglich erschienen.

Was bewegt Sie, wieder für den Führungsposten Ihrer Heimatstadt zu kandidieren?

Ich will meine Heimatstadt vor einer Katastrophe retten. Palermo droht, wie Griechenland, die Pleite. Die Stadt ist von denjenigen zerstört worden, die sie bis gestern regiert haben. Die Gemeindekassen befinden sich in einem verheerenden Zustand. Während meiner letzten Amtszeit als Bürgermeister von Palermo im Jahr 2000 hatten die Ratingagenturen die Gemeinde mit AA3 eingestuft. Wegen der katastrophalen Situation der Gemeindebilanzen wurde für Palermo zuletzt gar kein Rating mehr erstellt. Das ist vielsagend.

Wie kann sich Palermo aus seiner tiefen Krise retten?

Wir müssen neue Investoren aus Europa und dem Rest Italiens anziehen. Im vergangenen Jahr hat Palermo keinen Euro aus Brüssel erhalten, weil die politische Klasse unfähig war, Pläne für europäische Förderprojekte einzureichen. Die Wirtschaftskrise und zwölf Jahre schlechte Verwaltung haben all das zerstört, was es noch an Positivem gab. Palermo ist eine Stadt der Kultur und des Tourismus. Sie war auch eine Stadt der Legalität. Man denke nur, daß hier 2000 eine UN-Konferenz zur grenzüberschreitenden Kriminalität stattgefunden hat. Jetzt heißt es, eine sich selbst überlassene Stadt zu retten und daraus eine Hauptstadt des Mittelmeerraumes zu machen.

Was ist Ihr Plan?

Wir müssen erstens die unfähigen Lokalverwalter nach Hause schicken und für administrative Transparenz sorgen. Außerdem müssen wir die Clan-Kultur besiegen, wegen der in Palermo nicht Verdienst und Fleiß, sondern familiäre Herkunft zählen. Wir müssen den Kleinhandel fördern, der wegen der Konkurrenz der großen Einkaufszentren tief in die Krise gestürzt ist.

Welche Rolle spielt die Mafia in diesem von der Wirtschaftskrise geprägten Szenario?

Für die Cosa Nostra, die die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Stadt kontrollieren will, ist meine Kandidatur alles andere als willkommen. Das organisierte Verbrechen benutzt in der Stadt nicht Pistolen, sondern beeinflußt die Wirtschaft. Es unterwandert immer mehr das legale Wirtschaftssystem und vernichtet es.

Wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?

Meine Rivalen sind Personen, die in der nationalen Szene unbekannt sind. Die Schwergewichte der sizilianischen Politik haben sich von diesen Wahlen ferngehalten. Meine Geschichte spricht für mein Engagement für die Legalität in dieser Stadt.

Palermo sorgt dieser Tage wegen der Müllkrise für negative Schlagzeilen. Wie kam es dazu?

Die städtische Müllentsorgungsgesellschaft Amia, deren Bedienstete in den letzten Tagen gestreikt haben, war während meiner Amtszeit noch effizient, jetzt hat sie 200 Millionen Euro Schulden. Das ist vor allem der Vetternwirtschaft zuzuschreiben. Ohne Transparenz wird sich in Palermo kaum etwas ändern.

Wie sieht Ihre Traumstadt des Mittelmeerraumes aus?

Palermo soll zu einer internationalen Hauptstadt der Beschäftigung, der Kultur und des Tourismus werden. Durch die Einführung einer Tourismussteuer können wir in die Modernisierung der Infrastruktur investieren. Ich bin bereit, hart zu arbeiten, damit die Palermitaner wieder auf ihre Stadt stolz sein können. Ich sehe mich als Klempner, der etwas reparieren muß, was andere ruiniert haben.

Interview: Micaela Taroni

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. April 2012


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