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Mussolinis Sturz

Vor 70 Jahren wurde der "Duce" in einer Palastrevolte abgesetzt – auch aus Furcht vor einem antifaschistischen Volksaufstand

Von Gerhard Feldbauer *

Nach dem Eintritt Italiens in den Krieg an der Seite Hitlerdeutschlands im Juni 1940 verstärkte sich der antifaschistische Widerstand und erhielt zunehmend eine Massenbasis. Ihre Grundlage bildete das 1934 zwischen Kommunisten (IKP) und Sozialisten (ISP) geschlossene und während der Verteidigung der Spanischen Republik mit einer sozialistischen Zielstellung vertiefte Aktionseinheitsabkommen. Auf seiner Basis wurde die Arbeiterklasse zur führenden Kraft der antifaschistischen Bewegung. Im September 1941 bildeten IKP, ISP und die radikal-demokratische Gruppe Giustizia e Libertà (Gerechtigkeit und Freiheit), die sich 1943 zur Aktions­partei formierte, ein Antikriegskomitee. Die oppositionellen Katholiken der verbotenen Volkspartei bereiteten ihre Wiedergründung als Democrazia Cristiana vor. Im Herbst 1942 entstand aus verschiedenen antifaschistischen Organisationen ein Komitee der nationalen Einheit.

Angesichts der sich abzeichnenden Krise des Faschismus, der ausweglosen Kriegslage und des anwachsenden Volkswiderstandes reifte unter führenden Vertretern der herrschenden Kreise der Entschluß, sich Mussolinis zu entledigen. Im Oktober 1942 traf Marschall Pietro Badoglio, der sich 1940 gegen den Kriegseintritt Italiens ausgesprochen und als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten war, in der Mailänder Wohnung des Schwerindustriellen Enrico Falck, dem König der italienischen Eisen- und Stahlindustrie, mit führenden Christdemokraten, unter ihnen Alcide De Gasperi, zusammen. Bei dem Treffen wurde ein Ausscheiden Italiens aus der faschistischen Achse erörtert. Der Schwiegersohn des »Duce«, Graf Galeazzo Ciano (seit 1926 Außenminister, im Februar 1943 jedoch abgesetzt), nahm im Auftrag führender Industrie- und Finanzkreise Kontakte zu den US-Amerikanern und Briten sowie zum Vatikan auf, um deren Haltung zu einem Bruch mit Deutschland zu sondieren. Der Vatikan signalisierte über Giovanni Battista Montini, den späteren Papst Paul VI., Zustimmung unter der Bedingung, die »innere Ordnung« beizubehalten. Ziel war, die faschistische Diktatur in ein autoritär-reaktionäres, auf Monarchie und Militär gestütztes Regime umzuwandeln. Das amerikanische Magazin Life schrieb später, den Organisatoren der Palastrevolte ging es darum, »sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, das System aber zu erhalten.«

Ein weiteres Signal setzten die großen Antikriegsstreiks, die am 5. März 1943 in der Industriemetropole Turin mit über 10000 Teilnehmern begannen und von dort auf weitere norditalienische Städte übergriffen (siehe jW-Geschichte vom 2./3. März 2013). Die Niederlagen bei Stalingrad und El-Alamein spitzten die Krise des Faschismus noch weiter zu, so daß diese nach der Landung der Alliierten auf Sizilien am 9. Juli 1943 offen ausbrach.

Militärregierung gebildet

Der Putsch gegen Mussolini begann am Nachmittag des 24. Juli 1943 auf der Sitzung des Gran Consiglio des Faschismus, die bis in die Morgenstunden des folgenden Tages dauerte. An der Spitze standen Graf Ciano sowie Justizminister Dino Grandi. Der Großrat forderte den »Duce« auf, angesichts der katastrophalen militärischen Niederlagen den Oberbefehl über die Streitkräfte abzugeben und als Ministerpräsident zurückzutreten. Von den anwesenden Mitgliedern stimmten 19 für den Beschluß, sieben dagegen, eines enthielt sich. Am 25. Juli um 17 Uhr empfing König Vittorio Emanuele III. Mussolini zur Audienz und autorisierte die Entscheidungen des Großrates.

Mussolini wähnte sich als Führer der Partei und Chef der Parteimilizen weiterhin an den entscheidenden Machthebeln und fügte sich dem Beschluß. Zumal er selbst plante, den König aus dem Wege zu räumen.

Nach der Verhaftung Mussolinis gab der Rundfunk bekannt, daß der König den Oberbefehl über alle bewaffneten Kräfte übernommen und Marschall Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung beauftragt habe. Zur Beruhigung Hitlers erklärte Badoglio, daß »der Krieg fortgesetzt« werde, beauftragte aber General Giuseppe Castellano, sich nach Lissabon zu begeben, wo dieser in der britischen Botschaft mit dem amerikanischen General Walter Bedell Smith zusammentraf, um Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufzunehmen. Nach dem dieser am 3. September mit dem anglo-amerikanischen Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, General Eisenhower, unterzeichnet wurde, brach die Badoglio-Regierung mit der faschistischen Achse.

Italiens Kriegsaustritt

Nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch die Hitlerwehrmacht am 8. September bildeten die Oppositionsparteien auf Initiative der IKP das Comitato di Liberazione Nazionale (Komitee der nationalen Befreiung), das alle Landsleute zum Kampf gegen den Faschismus für ein freies Italien aufrief. Die Pläne, das Mussolini-Regime in ein klerikal-faschistisches umzuwandeln, wurden damit vereitelt. Unter dem Druck des Befreiungskomitees erklärte Badoglio am 13. Oktober 1943 Hitlerdeutschland den Krieg. Die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus schieden aus dem Krieg aus. Das waren im militärischen Bereich 3,5 Millionen Soldaten. Das Ereignis veränderte das Kräfteverhältnis im Mittelmeerraum erheblich zugunsten der Antihitlerkoalition und eröffnete den seit 8. September im Süden Italiens operierenden anglo-amerikanischen Verbänden die Möglichkeit eines raschen Vorrückens.

Im Rahmen des Waffenstillstandes war die Anlandung einer US-Luftlandedivision bei Rom vereinbart worden, zu deren Unterstützung vier italienische Divisionen nach dem Überfall der Hitlerwehrmacht den Kampf eröffneten. General Eisenhower ließ jedoch die neuen Verbündeten im Stich, die nach vier Tagen den Kampf einstellten.Mit einer Landung bei Rom hätte sich das Alliierte Kommando eine Operationsbasis für ein rasches Vordringen schaffen können. Den anglo-amerikanischen Truppen, wäre es möglich gewesen, ihre Operationen mit denen der Partisanenarmee Titos zu koordinieren und quer durch die Tschechoslowakei nach Deutschland vorzudringen. Sie hätten so bedeutend früher als nach der Landung in der Normandie Anfang Juni 1944 deutsches Territorium erreichen können. Statt dessen begannen sie ihre Operationen am 8. September auf dem südlichen Festland bei Taranto und Salerno.

Die Palastrevolte spiegelte den Realitätssinn der herrschenden Kreise Italiens wider, die über 20 Jahre Träger der faschistischen Diktatur waren, aber angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der faschistischen Achse nicht in diese hineingezogen werden wollten. Gleichzeitig war ein ebenso wichtiges Moment des Handelns dieser Kräfte die Furcht vor einem Volksaufstand, der das faschistische Regime stürzen und eine antifaschistische Volksregierung hätte an die Macht bringen können. Ängste, die sie mit den anglo-amerikanischen Alliierten teilten.

Die Verhaftung des Diktators

Um den Sturz des »Duce« militärisch abzusichern, leitete der an der Revolte beteiligte Chef des Generalstabes, Vittorio Ambrosio, umfangreiche Maßnahmen ein. Man erwartete seitens der faschistischen Partei, ihrer Miliz und besonders der sogenannten Division »M«, eines Panzerverbandes, den der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, für Mussolini aufgestellt hatte, Widerstand. Ambrosio unterstellte die Division deshalb dem Generalstab und kommandierte sie zu einer Übung außerhalb der Hauptstadt ab. Auch die Parteimilizen setzte er in die Umgebung von Rom in Marsch. Im Gegensatz dazu alarmierte er die Heeresdivision Piave und ließ sie vor den Toren der Hauptstadt Stellung beziehen.

Entgegen den Befürchtungen der Verschwörer regte sich seitens der faschistischen Partei und ihrer Gliederungen jedoch keinerlei Widerstand gegen die Entmachtung des »Duce«. Eine beträchtliche Zahl faschistischer Parteigrößen floh nach Deutschland. Der Sturz des Diktators wurde von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. In einigen Großstädten des Nordens stürmten Gegner des Regimes faschistische Parteisitze und Zeitungsredaktionen, in Turin das deutsche Konsulat. Überall wurden die Insignien der Mussolini-Diktatur beseitigt.

Der »Duce« wurde beim Verlassen des Quirinals, dem damaligen Sitz des italienischen Königs, unter dem Vorwand der Sicherung seines Schutzes vor möglichen Unruhen von einem Hauptmann der Carabinieri in einen Krankenwagen verfrachtet, in der Tat jedoch verhaftet. Nach verschiedenen Zwischenaufenthalten wurde er in einem Kurhotel auf dem etwa 150 Kilometer nordöstlich von Rom liegenden, 2914 Meter hohen Gran Sasso in den Abruzzen festgesetzt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Juli 2013


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