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Technokraten regieren

Italiens neuer Premier Monti stellte sein Kabinett vor

Von Anna Maldini, Rom *

In Italien ist die 63. Regierung in der Nachkriegszeit vereidigt worden. Sie ist ausschließlich aus Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zusammengesetzt. Ministerpräsident Monti selbst wird das Wirtschaftsministerium übernehmen.

Es ist eine technische, eine apolitische Regierung. Für jedes Ressort hat Ministerpräsident Mario Monti einen ausgewiesenen Kenner der jeweiligen Branche ausgesucht. Außenminister wird der derzeitige Botschafter in Washington, Giulio Terzi Sant’Agata, Innenministerin die Polizeipräsidentin Anna Maria Cancellieri. Die Juristin Paola Severino bekommt das Justizministerium zugewiesen und das Verteidigungsministerium wird der Admiral Gianpaolo di Paola übernehmen. Groß ist auch der Einfluss der Bankmanager. So wird Corrado Passera, bis gestern Chef der Großbank Intesa San Paolo, das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung, Infrastruktur und Transportwesen übernehmen. Eine seiner engsten Mitarbeiterinnen, Elsa Fornero, wird das Sozialressort leiten. Monti selbst wird bis auf Weiteres das Wirtschaftsministerium dirigieren.

Während der erst am Samstag (12. Nov.) zurückgetretene Silvio Berlusconi Posten für 21 Folgsame schuf, kommt Monti »nur« auf zwölf Minister. Sein Aufgebot hat viele Doktor- und Professorentitel vorzuweisen, lässt sich politisch aber kaum einordnen. Doch genau das war es, was nicht nur der ehemalige EU-Kommissar, sondern auch die großen politischen Parteien in Italien wollten: eine Regierung, die zumindest nach außen den Anschein erweckt, dass es eine »wertneutrale« Politik gibt, dass es für die großen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme Italiens immer eine »richtige«, eine »technische« Lösung gibt, die man nur umsetzen muss.

Nur so können praktisch alle Parteien - mit Ausnahme der Lega Nord - diese Regierung unterstützen. Gleichzeitig haben sie vor allem bei den härtesten Sparmaßnahmen immer die Möglichkeit, die Verantwortung von sich zu weisen und die Schuld für unpopuläre Gesetze den »Technikern« in die Schuhe zu schieben. Bis zuletzt hatte der 68-jährige Monti versucht, auch Politiker mit in sein Kabinett zu holen, um eine engere Verbindung zwischen der Exekutive und dem Parlament zu gewährleisten. Aber die Parteien lehnten dies in den Beratungen der letzten Tage ab und bestanden auf dem »apolitischen« Charakter dieser Regierung. Monti selbst begründete seine Besetzung so: »Bei den Konsultationen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Abwesenheit von Politikern in der Regierung hilfreich sein wird, da sie einen Grund für Befangenheit beseitigt.«

Noch am Nachmittag vereidigte Staatspräsident Giorgio Napolitano die neue Regierung. Heute wolle Monti sein Kabinett im Senat vorstellen. Mit einer Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus wird spätestens am Freitag gerechnet. Die Zustimmung der Parlamentarier gilt als sicher. Unklar ist, wie lange die neue Regierung amtieren wird. Mehrere Parteien fordern Neuwahlen im Frühjahr und wollen nicht bis zum regulären Termin 2013 warten.

* Aus: neues deutschland, 17. November 2011

»Diese Politik führt zielsicher in die Rezession«

Von Italiens neuer Regierung sind massive Einschnitte zu befürchten. KP fordert Neuwahlen. Ein Gespräch mit Paolo Ferrero **


Paolo Ferrero ist ­Generalsekretär von Rifondazione Comunista und war von Mai 2006 bis April 2008 italienischer Sozialminister.


Der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti sollte noch gestern in Rom seinen Amtseid als neuer italienischer Ministerpräsident ablegen. Von ihm wird erwartet, daß er mit einem Kabinett aus »unabhängigen Technikern« die Schuldenkrise in den Griff bekommt – wie stehen Sie zu diesem Vorhaben?

Wir halten diese Idee für desaströs, weil Monti eine Regierung zur vollständigen Umsetzung der von der Europäischen Zentralbank (EZB) gestellten Forderungen bilden wird: eine technokratische Regierung, eine Exekutive der EZB und nicht des italienischen Volkes. Eine solche Politik führt zielsicher in die Rezession und wird damit die Krise noch weiter verschärfen. Sie wird massive soziale Einschnitte bringen und gegen die Finanzspekulation nicht das Geringste ausrichten.

Die Spekulation nimmt im übrigen gerade deshalb zu, weil die EZB für Kredite an die privaten Akteure nur 1,5 Prozent Zinsen verlangt – die Staaten hingegen sind gezwungen, sich zu weitaus höheren Kosten auf den Märkten zu refinanzieren. Dadurch geraten sie in immer größere Schwierigkeiten.

Sie plädieren für sofortige Neuwahlen. Ist das nicht ein Risiko angesichts des unfairen Wahlsystems, das Exministerpräsident Berlusconi für sein rechtes Lager maßgeschneidert hatte?

Die Ereignisse in Griechenland zeigen, daß der Widerspruch zwischen Kapitalismus und Demokratie offen zutage tritt. Die Märkte haben das griechische Volk daran gehindert, sich in einem Referendum zur europäischen Politik zu äußern und dann Ministerpräsident Papandreou gezwungen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.

Wir denken, daß jetzt gewählt werden muß, damit der Berlusconismus, der unser Land zwei Jahrzehnte lang geprägt hat, wirklich beendet wird. Das muß aber vom Volk beschlossen werden, die Bürger sind der Souverän. Andernfalls könnte sich Berlusconi als Opfer präsentieren und behaupten, er sei aus dem Amt geputscht worden. Man kann sich leicht vorstellen, was für eine rassistische und sezessionistisch-nationalistische Kampagne sein Koalitionspartner Lega Nord in diesem Fall starten würde. Nein, eine Regierung Monti löst keine Probleme, sondern vergrößert sie noch. Darum wollen wir eine Mitte-Links-Regierung, die über mehr Spielraum verfügt.

Wie wollen Sie diese Wahlen angehen? Immerhin sind Sie das letzte Mal an der Vierprozenthürde gescheitert.

Wir schlagen eine demokratische Front vor, um die Rechten in einem Bündnis von Linken und Mitte-Linken zu schlagen – aber unter Ausschluß der Zentristen (d.h der rechtsliberalen und christdemokratischen Kräfte der »Neuen Mitte«, jW).

Für unsere Anhänger genießt der Sturz Berlusconis Vorrang. Da wir ein Mehrheitswahlrecht haben, müssen wir im Einklang mit diesem Gefühl und dieser Notwendigkeit in der geeigneten Form dazu beitragen.

Die Demokraten haben sich allerdings bereits für die Bildung einer Regierung Monti ausgesprochen. Beeinträchtigt das ein entsprechendes Bündnis bei den nächsten Parlamentswahlen?

Es ist klar, daß wir die Unterstützung der Demokratischen Partei (PD) für Monti als Fehler betrachten. Unseren Dialog beendet das jedoch nicht. Zum einen, weil noch nicht sicher ist, daß es wirklich zu einer solchen Regierung kommt, und zum anderen, weil sich der Versuch, eine echte gesellschaftliche Alternative zu schaffen, nicht auf die parlamentarische Dialektik beschränkt. Berlusconi zu verjagen, löst das Problem der Alternative nicht. Deshalb sind wir für Vorwahlen über das Programm der Mitte-Linken, für Referenden und beteiligen uns an allen Aktionen der Zivilgesellschaft, die zu den Interessen der Großfinanz in Widerspruch stehen. Man muß die Demokratie vergesellschaften und dauerhafte Formen von Selbstorganisation beziehungsweise Gegenmacht von unten entwickeln.

In seiner Krise versucht der Kapitalismus, genau wie im 19.Jahrhundert, die Beteiligungsspielräume zu verringern, um den Bankiers und Unternehmern die Macht zurückzugeben und soziale Konflikte auf ein Problem der öffentlichen Ordnung zu reduzieren. Unsere Aufgabe ist es im Gegensatz dazu, das Vordringen der Massen in den öffentlichen Raum zu fördern.

Interview: Raoul Rigault

** Aus: junge Welt, 17. November 2011


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