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Wie weiter?

Italien: Der Mediendiktator ist gestürzt. Wird es der Linken gelingen, Neuwahlen durchzusetzen?

Von Gerhard Feldbauer *

Die Regierungszeit des faschistoiden Mediendiktators Silvio Berlusconi ist beendet. Fast ein Jahrzehnt herrschte der reichste Kapitalist des Landes in Personalunion von Kapital und politischer Exekutive an der Spitze dreier Regierungen. Daß ihn die faschistische Putschloge P2 an die Macht hievte, ist hinreichend bewiesen worden, auch daß die Mafia dabei eine gewichtige Rolle spielte. Es gibt sogar Stimmen, die fragen, ob er nicht überhaupt in ihrem Auftrag regierte. Daß er nach der politischen Macht griff, um sein riesiges Firmenimperium Fininvest vor dem Bankrott zu retten, ist ihm sogar aus seiner eigenen Partei, der er zuletzt den demagogischen Namen Popolo della Libertá (Volk der Freiheit, PdL) gab, vorgehalten worden.

Mit seiner alle bürgerlichen Grenzen sprengenden Korruption, nachgewiesener Anwaltsbestechung, illegalem Geldtransfer, Steuerhinterziehungen, seinen Sexskandalen, darunter mit minderjährigen Prostituierten, Amtsmißbrauch, einem hemmungslosen Antikommunismus, der sich gegen seine Widersacher bis hin zur gewöhnlichen Rechten richtete, wurde er mehr und mehr zur Belastung des politischen Establishment. Aber die führenden Kapitalkreise, die mit seiner faschistoiden Niederhaltung der Linken zufrieden waren, zögerten, ihm den Laufpaß zu geben. Sie befürchteten, sein Sturz werde der wieder an Kampfkraft gewinnenden Linken Auftrieb geben.

Berlusconis Sturz

So konnte er seine Amtszeit um ein paar Wochen verlängern, um die EU-Auflagen zur Senkung des Haushaltsdefizits mit der Durchpeitschung eines unsozialen Kürzungspakets von bisher weit über 100 Milliarden Euro durchzusetzen. Erweitert wurde es u. a. durch die Freigabe großer Staatsbetriebe bzw. von Unternehmen mit hoher staatlicher Beteiligung zur Privatisierung. Darunter befinden sich die größten und wichtigsten Unternehmen wie die Ente Nazionale Idrocarburi, ENI (Erdöl- und petrochemische Industrie) und Finmeccanica (ein Riesenkonzern vor allem im Maschinen- und Anlagenbau), für die bereits Käufer aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien bereitstehen. Seinen erbärmlichen Abgang konnte er in einem letzten Akt dank der Schützenhilfe der Opposition, darunter auch der Demokratischen Partei (die durch ihr Fernbleiben bei der Abstimmung in Senat und Parlament Berlusconis Kürzungspaket die Zustimmung sicherte), noch als »Retter des Vaterlandes« feiern.

Eingeläutet wurde sein Sturz mit der schweren Niederlage, die ihm die linke Mitte bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai zufügte. Sein Stimmenanteil sackte von 47 Prozent bei den Parlamentswahlen 2008 auf 30 Prozent ab. Dann stimmten bei einem Referendum über 90 Prozent für die Aufhebung der berüchtigten »Lex Berlusconi«, das Immunitätsgesetz, das den Premier vor der Strafverfolgung in mehreren laufenden Prozessen, schützte. Es folgten der Generalstreik im September und seitdem anhaltende Massendemonstrationen mit den nicht mehr zu überhörenden Rufen auf der Straße nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank der Medientycoon, der immer prahlte, vom Volk gewählt und geliebt zu sein, auf eine Zustimmungsrate von 22 Prozent ab. Bei Wahlen wurden ihm noch 27 Prozent zugetraut. In seiner eigenen Partei und beim Koalitionspartner Lega Nord verlor er den Rückhalt, im Parlament die Mehrheit. Bereits im Dezember 2010 hatte der frühere Führer der faschistischen Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, die Regierungskoalition und die PdL verlassen.

Die gegenwärtige politische Konstellation besteht bei fließenden Grenzen aus etwa drei Gruppierungen: der extremen und äußersten Rechten mit Berlusconi und dem harten Kern seiner PdL, der rassistischen Lega Nord Umberto Bossis und Teilen der früheren AN, die bei der PdL verblieben sind; einer sich neu formierenden Rechten, die vorgibt, das alte, einst von der Democrazia Cristiana angeführte Rechte Zentrum neu zu bilden. Zu ihr gehören die als sogenannter Terzo (dritter) Polo von Fini mit der Mehrheit seiner AN gebildete Partei Zukunft und Freiheit (FeL), die Union Demokratischer Christen (UDC) und die Allianz für Italien (API) des vormaligen Grünen und späteren Rechtskatholiken Francesco Rutelli. Schließlich die einst traditionelle linke Mitte, die längst nicht mehr das ist, was sie einmal war. Ihren rechten Flügel bildet die Partei Italien der Werte (IdV) des einstigen Korruptionsermittlers Antonio Di Pietro; die Mitte besteht aus der Partito Democratico (Demokratische Partei, PD – einstige Linksdemokraten und katholisches Zentrum) Luigi Bersanis; den gemäßigten linken Flügel stellt die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) des Ministerpräsidenten von Apulien, Nicola Vendola (bis 2009 Leitungsmitglied der PRC), und schließlich den beiden kommunistischen Parteien PRC und PDCI, die mit kleinen linken Gruppen eine Linke Föderation (FdS) gebildet haben.

Staatspräsident Georgio Napolitano (Exkommunist, heute PD) hat den früheren EU-Kommissar Mario Monti, einen rechts ausgerichteten Wirtschaftsprofessor, am Sonntag mit der Regierungsbildung beauftragt. Um sein Image aufzupolieren, hatte er ihn noch schnell zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Monti gilt in Brüssel als Garant der Durchsetzung des rigorosen Sozialabbaus unter EU-Diktat. Ihn zum Nachfolger zu bestimmen, hatte Berlusconi offen zu einer seiner Rücktrittsbedingungen erklärt (eine weitere soll sein, daß ihm Straffreiheit bei den gegen ihn laufenden Prozessen zugesichert wurde). Monti soll eine Übergangsregierung der sogenannten nationalen Einheit aus allen Parteien bilden, die bis zum Ende der Legislatur im Frühjahr 2013 amtieren soll. Für dieses Kabinett sind die FeL, die UDC, die API, Teile der PdL, darunter Berlusconi, und Teile der IdV vorgesehen.

Mit dieser Übergangsregierung sollen sofortige Neuwahlen, die PRC und PDCI, die Basis der PD wie auch die SEL und Di Pietro fordern, verhindert werden. Sofortige Neuwahlen wären die Chance für Mitte-Links, den Aufschwung der Linken, den diese mit dem Wahlsieg im Mai und dem Generalstreik im September erreichten, zu nutzen, um der Rechten um Fini und den extrem Rechten um Berlusconi und Bossi eine Niederlage zuzufügen und politische und soziale Veränderungen auf den Weg zu bringen. Die Übergangsregierung dagegen würde der Rechten helfen, sich zu sammeln und zum Angriff überzugehen. In typisch reformistischer Weise neigt Bersani zur Übergangsregierung, Vendola schwankt ebenfalls.

Monti sondiert

Zur Stunde ist offen, ob es Monti gelingen wird, eine Übergangsregierung zustande zu bringen. Lega-Chef Bossi hat sie bereits abgelehnt. Da er schon vor Wochen die Koalition mit Berlusconi aufkündigte, erwartet er, in sofortigen Wahlen davon zu profitieren. Von Berluconis PdL spaltete sich eine Gruppe ab, diese will eine Liberale Partei gründen und zum Terzo Polo stoßen. Sie hofft ebenfalls, so Stimmen zu retten. Viel wird vom Staatschef abhängen. Er kann laut Verfassung in der derzeitigen schweren Krisensituation das Parlament auflösen, für Frühjahr vorgezogene Neuwahlen ansetzen, so daß Monti nur bis dahin im Amt bliebe.

Die Linke feierte am Samstag abend (11. Nov.) den Sturz des Mediendiktators. Es bleibt zu hoffen, daß die kämpferische linke Basis, die in den vergangenen Wochen auf der Straße mit der Losung: »Schluß mit Berlusconi« dessen »Kapitulation«, wie Liberazione am 13. November schrieb, durchsetzte, den Kampf mit der Forderung »sofort Neuwahlen« fortsetzt und entsprechenden Druck auf Napolitano und die bürgerliche Mitte, an ihrer Spitze die DP, ausübt.

Offen bleibt derzeit, wie Mitte-Links sich zu Parlamentswahlen aufstellen wird. Eine Wahlkoalition unter Einschluß der Linkspartei Vendolas scheint sicher. Wird sie sich aber auch auf PRC und PDCI erstrecken, und werden die Kommunisten selbst dazu bereit sein? Der Parteitag der PRC 2008 hatte das noch abgelehnt.

* Gerhard Feldbauer veröffentlichte zum Thema gerade sein neues Buch
»Wie Italien unter die Räuber fiel – Und die Linke kaum mit Ihnen fertig wurde«. PapyRossa Verlag, Köln 2011. Broschur, 222 Seiten, Euro 14,90 (D). ISBN 978-3-89438-471-5.

Aus: junge Welt, 15. November 2011



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