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Libyen-Debatte im Parlament Italiens

Regierungsparteien sind (noch) uneins

Von Anna Maldini, Rom *

Am Dienstag (3. Mai) begann in Rom die Parlamentsdebatte über den erweiterten Einsatz Italiens in Libyen. Und wie inzwischen vor jeder Abstimmung steht die Regierung auf sehr unsicheren Beinen. Diesmal ist dafür nicht die Opposition, sondern die Regierungspartei Lega Nord verantwortlich.

Die Libyenpolitik der italienischen Regierung folgt in den letzten Monaten einem Schlingerkurs mit abrupten Kehrtwendungen. Nach Freundschaftsbekundungen und bilateralen Abkommen entschloss sich Ministerpräsident Silvio Berlusconi trotz anfänglicher Zweifel zur Beteiligung an der NATOAktion gegen Libyen, die zumindest teilweise von der UNO abgesegnet worden war. Rom schloss aber – auch aufgrund der Kolonialgeschichte Italiens in Libyen – Luftangriffe ausdrücklich aus und wollte sich auf logistische Unterstützung beschränken. Ohne vorher den Ministerrat zu verständigen, änderte Berlusconi wenig später seine Meinung und schickte italienische Tornado-Flugzeuge in den Krieg. Der Koalitionspartner Lega Nord ließ jedoch sofort verlauten, man sei absolut dagegen und werde auch im Parlament auf keinen Fall für die Luftangriffe stimmen.

Die Lega hat dafür zwei Gründe. Sie fürchtet, dass Italien in den kommenden Wochen und Monaten von einem »Flüchtlingstsunami« überrollt wird, mit dem sich Muammar al-Gaddafi rächen könnte. Der zweite Grund ist finanzieller Natur: Die Lega fürchtet, dass der wackelige Staatshaushalt eine derartige Mission nicht finanzieren kann, weshalb direkte oder indirekte Steuern erhoben werden müssten, was die Wähler der Partei verärgern würde.

Da die Regierung ohne die Lega im Parlament keine Mehrheit hat, fanden in den vergangenen Tagen immer wieder »diplomatische« Verhandlungen zwischen den beiden größten Koalitionspartnern statt, um einen Eklat im Parlament – und einen Gesichtsverlust – zu vermeiden.

Wie in der Regierung ist man sich aber auch in der Opposition nicht einig. Die Positionen reichen von einer Befürwortung der Luftangriffe im Rahmen des UNO-Mandats (Demokratische Partei) bis zur strikten Ablehnung aller kriegerischen Handlungen (Italien der Werte).

Wahrscheinlich ist, dass Berlusconi und die Lega Nord irgendeinen Kompromiss finden. Die Lega hat einen Antrag formuliert, in dem sich die Regierung verpflichtet, keine Steuererhöhungen vorzunehmen und einen klaren Termin für das Ende des italienischen Kriegseinsatzes anzugeben. Berlusconi hat bereits erklärt, der Antrag enthalte »viele interessante Elemente«, und man könne sich gewiss irgendwie einigen. Umberto Bossi, Chef der Lega Nord, ist da offener: »Berlusconi ist nicht blöd, er wird doch seine eigene Regierung nicht stürzen!«

Tatsächlich wäre ein Koalitionsbruch in diesem Moment fatal. Mitte Mai wird in wichtigen Städten wie Mailand, Turin und Neapel gewählt. Die rechten Kandidaten stehen laut Umfragen auf wackeligen Beinen und weitere Streitigkeiten würden auch konservative Wähler den regierenden Parteien kaum verzeihen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011


Der Wahnsinn der Luftangriffe

Italien: Opposition kritisiert Berlusconi wegen Libyen-Krieg. Antrag der Lega Nord

Von Micaela Taroni, Rom **


In Italien setzen die Oppositionsparteien die Regierung wegen deren Beteiligung an gezielten Luftangriffen in Libyen unter Druck. Seit Dienstag (3. Mai) werden in der römischen Abgeordnetenkammer zwei Anträge diskutiert, die von der Demokratischen Partei (PD) und der Gruppierung »Italien der Werte« (IDV) eingereicht wurden. Die IDV will mit ihrem Antrag die italienische Regierung verpflichten, auf Luftangriffe auf libysches Territorium zu verzichten. Die PD ruft dagegen das Kabinett auf, konkrete Initiativen zum Schutz der Zivilisten im Einklang mit der UNO-Resolution zu ergreifen.

»Der Krieg ist ein Desaster für Libyen. Man kann die Krisen in Nord­afrika nicht mit Luftangriffen lösen. Das ist ein Wahnsinn, gegen den wir uns wehren«, sagte der Sekretär der »Föderation der Linken«, Paolo Ferrero, am Sonntag bei einer Demonstration gegen den Krieg in Libyen in Bologna.

Die mit Regierungschef Silvio Berlusconi verbündete Lega Nord nutzt den NATO-Überfall auf Libyen, um ihr Gewicht in der Koalition zu stärken. Die Partei von Umberto Bossi drohte Berlusconi mit dem Sturz des Kabinetts, sollte die Regierungskoalition nicht geschlossen für einen Sechs-Punkte-Antrag über den Libyen-Einsatz stimmen. »Sollte Berlusconis Partei nicht für den Antrag stimmen, stürzt die Regierung«, warnte Bossi. Mit ihrem Antrag will die Lega Nord Berlusconi verpflichten, Kriegsflüchtlinge aus Libyen abzuschieben. Italien dürfe nicht an Bodenangriffen in Libyen teilnehmen und auch keine neuen Steuern einführen, um den Militärangriff zu finanzieren, heißt es im Dokument. Außerdem verlangt die Lega, daß eine Frist für das Ende der italienischen Mission festgelegt wird. Die Partei befürchtet, daß der Krieg in Libyen noch mehr Flüchtlinge nach Italien treiben werde. Außerdem würden die Kosten der Teilnahme Italiens am Militäreinsatz die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung verschlechtern. Um die Mission zu finanzieren, werde die Regierung die Benzinsteuern erhöhen müssen, warnte die Lega Nord.

Berlusconi signalisierte Kompromißbereitschaft. »Ich glaube nicht, daß es für die Regierung im Parlament mit dem Antrag der Lega Schwierigkeiten geben wird. Die Lega Nord ist ein wesentliches Mitglied der Regierungskoalition. Ihr Antrag ist vernünftig, wir können ihn teilweise verändern, damit wir im Parlament dafür stimmen können«, kommentierte Berlusconi.

** Aus: junge Welt, 4. Mai 2011


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