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Italien in Dauerkrise

Rezession, neue Schuldenprobleme und politischer Stillstand. Wahlsieger Grillo sieht für drittgrößte Volkswirtschaft keine Zukunft in Euro-Zone

Von Dieter Schubert *

Für Wahlsieger Giuseppe »Beppe« Grillo ist die Sache zwischen seinem Land und der Währungsunion entschieden: »De facto ist Italien doch schon aus dem Euro raus«, beschied er einer Handelsblatt-Reporterin auf die Frage, ob er auf der Wellenlänge jener Anti-Euro Partei sei, die gerade in Deutschland entstünde. Sein Fazit im Interview mit der Wirtschaftszeitung (Mittwochausgabe): »Das Land ist am Boden. Die nordeuropäischen Staaten halten uns nur so lange, bis sie die Investitionen ihrer Banken in italienische Staatsanleihen wieder reingeholt haben. Dann werden sie uns fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.«

Die Meinung Grillos mag nicht jeder teilen wollen. So versuchte Bundesbankpräsident Jens Weidmann umgehend, die Aussagen zu relativieren. Spekulationen über den Austritt eines Euro-Landes seien nicht sinnvoll, so der Zentralbankchef, der nicht zu den bedingungslosen Euro-Einpeitschern gehört. Damit unterscheidet er sich von den professionellen Predigern eines vermeintlich alternativlosen Integra­tionskurses, der gern mit dem Slogan aufwartet: Scheitert der Euro, scheitert Europa. Das Propagandakonstrukt, das die EU-Administration gern auf farbig bedrucktem Papier präsentiert, ist ohnehin für die meisten Bewohner nie Realität gewesen.

Für Grillo, den Gründer der Bewegung »Fünf Sterne«, gehören der Euro, die Bolkenstein-Richtlinie oder der Lissabon-Vertrag auf den demokratischen Prüfstand. Per Online-Referendum. »Themen, bei denen unsere Verfassung außer Acht gelassen wurde« wie er dem Handelsblatt sagte.

Italien bietet selbst das Bild einer besonders obskuren Kleinausgabe jener Europa-Schimäre, die aus Profitsucht, Herrschaftsoptimierung und Regulierungswut in die Welt gesetzt wurde. Mehr als zehn Jahre regierte mit Silvio Berlusconi nicht nur der reichste Bewohner das Land. Der Typ war und ist dort zugleich mit Abstand mächtigster Medienunternehmer und machte sich niemals die Mühe, deren Propaganda mit Potemkinschen Dörfern vermeintlicher Objektivität zu kaschieren. Was gut für den Chef war, gilt als Linie seiner Medien, welch herrlich leichte und schöne Welt für die Oligarchen.

Die Entstehung von Berlusconistan war nicht die Ausnahme, sondern Fortentwicklung der italienischen Macht- und Herrschaftsstrukturen nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit den Jahrzehnten der Democrazia Christiana (siehe Wiki: Aldo Moro, Giulio Andreotti, DC, etc.) gilt das politische System als durch und durch korrupt. Die Ablösung der DC-Ära durch die nicht minder raffgierigen »Sozialisten« des Bettino Craxi änderten in Italien nichts, außer daß wenige Jahre später Berlusconis Aufstieg begann. Eines zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte: Die ununterbrochenen und konsequenten Bereicherung der Oberklasse. Und sie bekam mit der Euro-Einführung einen zusätzlichen Schub, jedenfalls ein paar wilde Jahre lang.

Grillo hat erst allein, später mit Gleichgesinnten diese Zeitenläufe begleitet und schon früh auf Mißstände hingewiesen. Lange hat ihm kaum ein Italiener zugehört, doch das ist anders geworden. Denn jetzt sind Zahltage angesagt. Und zur Kasse wird üblicherweise jener große Teil des Volkes gebeten, der nicht auswandern oder sich nicht freikaufen kann. Die Wirtschaftsleistung geht zurück, Erwerbslosigkeit grassiert, besonders unter der jungen Generation. Auch Italiens Finanzoligarchen haben auf »Globalisierung« gesetzt, das einst klassische Industrieland blieb von Kapitalauslagerung in Billiglohnländer ebenso wenig verschont, wie vor der neu entstandenen »Finanzindustrie«. Banken blähten sich auf, schrieben tolle Zahlen – bis die Blase platzte. Seitdem wird »gespart«.

Das Problem beim Kürzen im Staatshaushalt oder den Provinzetats ist: Es trifft überproportional hart die sogenannten kleinen Leute. Und die sind nur begrenzt duldsam. Nicht zuletzt deshalb setzten Berlusconi und andere zuletzt wieder auf eine Karte, die den Feind im Ausland sieht. Deutschlands Kapital und dessen Regierungen, die bislang weitgehend unfallfrei durch die Krise gestolpert sind, boten dafür die scheinbar richtige Projektionsfläche. Die Widersprüche sind da, wachsen, und die Protagonisten müssen reagieren. Es ist gelegentlich wie bei Geschichten von Klein-Fritzchen: Mit der von Berlin verkündeten und den meisten Euro-Staaten zähneknirschend geduldeten Linie »strenger Sparsamkeit« (Austerität) fiel es den inländischen Ausbeutern leicht, ihre ausländischen Gesinnungsgenossen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Das heißt nicht, daß sich Deutschlands Führung politisch beim Euro-Machtkampf zurückhält. Als knapp 30-Prozent-Kassenwart (nach dem Anteil der BRD-Wirtschaftsleistung in der EU) glaubt dort schon mancher, ein paar besondere Rechte zu haben. Soviel dazu, daß ein integriertes »Europa« nicht in alte Politikmuster verfallen kann.

Die Italiener müssen sich, wie viele der gut 500 Millionen EU-Bürger auch – auf deutlich härter Zeiten einrichten. Auch hier greift der Mechanismus, wird die »Schuldenfalle« durch die »Austeritätsfalle« abgelöst, und beide sind in ihrer sozialen Endwirkung ähnlich. Inzwischen wurde Italiens Bonität weiter herabgestuft. Nach den Wahlen, die für private Bonitätswächter kein erwünschtes Ergebnis brachten, muß der Staat für neue Schulden nun mehr Zinsen zahlen. Noch sind es keine gravierenden Verteuerungen, aber die Tendenz ist deutlich. So wurden beispielsweise bei einer Auktion von Staatsschuldverschreibungen am Mittwoch für 15jährige Titel Durchschnittsrenditen (Zinsen) von 4,9 Prozent fällig. Ein weiteres Signal, in welche Richtung die Reise geht war, daß nach der Versteigerung Zinsen der bereits gehandelten Papiere weiter stiegen. Spekulanten/Investoren sehen also die Risiken für das Land steigen – und für ihr Investment.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 14. März 2013


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