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Italiens Frauen sagen "Basta!"

Protestmärsche gegen Premier Berlusconi

Von Anna Maldini, Rom *

In fast 300 Ortschaften protestierten am Sonntag Italienerinnen gegen das Frauenbild, das derzeit über die Medien verbreitet wird, gegen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, für den Frauen einzig und allein Lustobjekte sind und nur dann zählen, wenn sie jung und schön sind. Aber vor allem demonstrierten sie für ihre eigene Würde. Das Motto, das Millionen Frauen gestern gerufen haben, lautete: "BASTA! Jetzt reichts!".

In Rom und Mailand, aber auch in klitzekleinen Dörfern und selbst in Tokio, New York und Berlin sind italienische Frauen gestern auf die Straße gegangen. Bunt, laut, fröhlich und fantasievoll waren diese Demonstrationen. Und natürlich auch böse. So konnte man Slogans lesen wie "Italien ist keine Nutten-Republik", "Das Land gehört auch den Frauen" oder schlicht "Nun tritt doch endlich zurück!".

Außergewöhnlich war in erster Linie, dass diesmal Frauen aus allen sozialen Schichten und auch aus allen Altersstufen dabei waren. Junge Mädchen genauso wie Frauen, die schon in den fünfziger Jahren für die Rechte der Frauen gekämpft haben, Schauspielerinnen und Sängerinnen, Professorinnen und Studentinnen, viele Hausfrauen und Arbeiterinnen und natürlich all die jungen Frauen, die in Italien keine Arbeit finden, weil die derzeitige Regierung das Land immer mehr herunter wirtschaftet. Frauen aus linken Parteien und Gruppen, aber auch Katholikinnen und sogar Nonnen, selbst Demonstrantinnen, die sich als rechts bezeichnen.

Wie immer sind die Frauen die ersten Leidtragenden der Wirtschaftskrise. Wenn die Kassen der Städte leer sind, schließen Kindergärten und Krippen; wenn Personal entlassen wird, trifft es zuerst die Frauen; wenn Rechte gekappt werden, setzt man bei den Frauen an. Aber Italien macht auch eine moralische Krise durch. Die Würde der Menschen wird mit Füßen getreten, Prostitution wird zum legitimen Mittel, um Karriere zu machen, in der Gesellschaft zählen nur Aussehen, Geld und Beziehungen. Und all das wird von der Regierung und ihren "befreundeten" Medien unterstützt. Über all dem thront ein alter und gelifteter Satyr, dem - wie die Exfrau Silvio Berlusconis anprangerte - die "Jungfrauen zum Fraß vorgeworfen werden". Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war wohl die Gewissheit, dass Berlusconi seine Gespielinnen überall in den Institutionen auf wichtige Posten gehievt hat und er sich die jungen Frauen wie Vieh vorführen lässt, bevor er mit einem Fingerzeig (und einem Bündel Geldnoten) entscheidet, wen er in seinem Bett haben will.

Zu all dem sagen Millionen von Frauen jetzt "Basta!". Man hat den Eindruck, dass sie eine Lawine losgetreten haben, die nur noch sehr schwer aufzuhalten aein wird. Selbst der Staatspräsident Giorgio Napolitano hat - wenn natürlich auch sehr vorsichtig und staatsmännisch - erklärt, dass er dem Niedergang des Landes nicht mehr tatenlos zuzusehen gewillt ist.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2011


Basta, "Sultan" Berlusconi!

Dutzende Demonstrationen gegen Frauendiskriminierung und den Premier

Von Micaela Taroni, Rom **


Tausende Italienerinnen sagten am Wochenende »Ora basta!« (Schluß jetzt). An mehr als 30 Orten von Mailand bis Palermo gingen sie auf die Straße, um gegen Premierminister Silvio Berlusconi und gegen das – im Zusammenhang mit dessen Sexaffären – von der Politik und in Medien vermittelte Frauenbild zu demonstrieren. In der süditalienischen Stadt Andria trugen die Frauen Blumen: Diese stünden »für den Respekt und die Würde der Frauen – Worte, die Berlusconi längst vergessen hat«, so die Organisatorinnen.

»Italien will seine Würde zurückhaben«, und »Italien ist kein Bordell«, war auf den Transparenten in Rom und Mailand zu lesen. »Dies ist keine politische Mobilisierung, dies ist eine spontane Bewegung von sehr unterschiedlichen Frauen jeden Alters, verschiedener politischer Ausrichtung und sozialer Herkunft. Wir protestieren gegen die Zumutung, nur hübsch aussehen zu dürfen und uns ansonsten um die Familie zu kümmern«, so eine ältere Dame, die in der Hauptstadt mit ihrer Enkelin an der Hand demonstrierte.

»Die italienischen Frauen fühlen sich von diesem Premierminister beleidigt und degradiert«, betonten die Initiatorinnen der parteiübergreifenden Protestkundgebungen. Der Demonstration in Rom schloß sich auch die Chefin des Gewerkschaftsbundes CGIL, Susanna Camusso, an. »Das Verhalten des Ministerpräsidenten verletzt die Würde der Frauen«, so Camusso. Insbesondere wandten sich die Frauen auch gegen die »Darstellung der Frauen in Zeitungen, im Fernsehen und in der Öffentlichkeit als nacktes Objekt des Sexgeschäfts«.

Jüngst hatte die Mailänder Staatsanwalt festgestellt, daß der Premier in seiner Privatresidenz wie ein alter Sultan ausschweifende Partys mit minderjährigen Callgirls organisiert hatte. Das hatte die derzeitigen Proteste ausgelöst. Im Internet wurde dazu aufgerufen, ein Zeichen gegen das Verhalten des Spitzenpolitikers und Medientycoons zu setzen. Mehr als 100000 Frauen unterzeichneten ein Manifest gegen Verachtung durch Medien und Politik, Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und dem Mangel an Kindereinrichtungen. Sie forderten mehr Halbtagsjobs und Unterstützung für Familien. Von den Protesten erhoffen sie sich auch, daß sich die zersplitterte Frauenbewegung zukünftig besser vernetzen kann.

Italien zählt europaweit zu den Ländern mit der niedrigsten Zahl an Frauen in der Politik. Lediglich 9,2 Prozent der Parlamentsabgeordneten sind weiblich. 48,9 Prozent der Italienerinnen haben keine Arbeit. Berlusconis verschiedene Affären um junge Frauen und Callgirls beschäftigen seit Jahren die Medien. Die Mailänder Staatsanwaltschaft beantragte jetzt ein Schnellverfahren gegen den Premier wegen Prostitution. Laut den Vorwürfen soll der Ministerpräsident eine damals 17jährige für Sex bezahlt und später sein Amt mißbraucht haben, um die Beziehung zu verschleiern. Berlusconi wies die Vorwürfe zurück und warf den Staatsanwälten politische Motive für die Ermittlung vor.

** Aus: junge Welt, 14. Februar 2011


Aufstand - heute und hier

Von Anna Maldini ***

Wann, wenn nicht jetzt. Wer, wenn nicht wir. Wo, wenn nicht hier. Diese alte Losung haben sich die italienischen Frauen auf ihre Fahnen geschrieben. Wann sollte man denn Regierungschef Berlusconi zum Teufen jagen, wenn nicht jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem er wegen Prostitution mit Minderjährigen angeklagt ist. Wer könnte das denn tun, wenn nicht die Frauen, die am stärksten unter dem moralischen Verfall des Landes und der Demokratie leiden. Die Frauen, die man schwer in ideologische Muster pressen kann, die keine Angst vor der Konfrontation mit Vertreterinnen der unterschiedlichsten politischen Richtungen haben - und die keine Berührungsängste gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen haben. Die es mit ihren Netzwerken schaffen, innerhalb von wenigen Tagen die vielleicht größte Demonstration zu organisieren, die Italien jemals gesehen hat. Und wo soll dieser Umschwung eingeläutet werden, wenn nicht gleichzeitig in hunderten von Städten und Dörfern, also überall dort, wo die Frauen unter der Entdemokratisierung und Entsolidarisierung Italiens leiden.

Sicher wird Berlusconi heute nicht das Land verlassen, sicher ist der Spuk des Berlusconismus nicht mit einem Mal vorbei. Vielleicht wird es für Italien jetzt besonders schwere Zeiten geben, weil die Machthaber sich weigern, das Feld zu räumen. Aber es sind die Frauen, die zum Aufstand blasen. Heute und hier.

*** Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2011 (Kommentar)


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