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Nie wieder Faschismus?

Im Friedensvertrag von 1947 mit Italien lehnten die USA ein endgültiges Verbot von Nachfolgeorganisationen der Mussolini-Partei ab

Von Gerhard Feldbauer *

Am 10. Februar 1947 wurden in Paris die von den Siegermächten UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich mit Italien, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Finnland als früheren Verbündeten Hitlerdeutschlands geschlossenen Friedensverträge unterzeichnet. Sie waren Ergebnis der Friedenskonferenz, die vom 29. Juli bis 15. Oktober 1946 in der französischen Hauptstadt tagte.

Die Abkommen umfaßten die Kriegsreparationen, Gebietskorrekturen und die Festlegung von Minderheitenrechten. Italien wurden seine Kolonien in Afrika entzogen, es erhielt aber bis 1960 die Treuhandverwaltung der UNO für Somalia übertragen. Es mußte Grenzkorrekturen zugunsten Frankreichs zustimmen, den Dodekanes an Griechenland zurückgeben, Istrien, die Adriainseln und Fiume an Jugoslawien abtreten, das Gebiet von Triest als Freistaat und die Unabhängigkeit Äthiopiens und Albaniens anerkennen. Italien wurden Reparationen von 360 Millionen US-Dollar (nach dem Stand von 1938) auferlegt, die an Jugoslawien (125 Millionen), Griechenland (105 Millionen), die UdSSR 100 Millionen), Äthiopien (25 Millionen) und Albanien (5 Millionen) zu zahlen waren.

Die Verfassunggebende Versammlung Italiens ratifizierte den Vertrag am 31. Juli 1947 mit 262 Ja- bei und 68 Neinstimmen und 80 Enthaltungen. Mit der Unterzeichnung durch das provisorische Staatsoberhaupt, Enrico De Nicola, am 6. September 1947 trat der Vertrag in Kraft. Die Regelung lehnten vor allem die Faschisten der Mussolini-Nachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano und die Monarchisten ab, die dagegen eine revanchistische Hetze entfachten.

Vor dem »kalten Krieg«

Die Friedensverhandlungen hatten bereits im Vorfeld des beginnenden Kalten Krieges stattgefunden, den US-Präsident Harry Truman nach Unterzeichnung der Verträge mit seiner berüchtigten Verkündung der Doktrin der »Eindämmung des Kommunismus« (Containment) am 12. März 1947 einläutete. Darin erklärte Truman die USA »zum mächtigsten Land der Welt« und ihr Recht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten, die – tatsächlich oder angeblich – unter kommunistischem Einfluß stünden. Die Vorgehensweise Washingtons war darauf gerichtet, die besiegten Staaten möglichst ihrer Vorherrschaft zu unterwerfen und ein Bündnis mit den reaktionären Kräften zu schließen, um mit ihnen antifaschistisch-demokratische Veränderungen zu verhindern. Mit dem gleichen Ziel wurden auch die reaktionären Kräfte in den von der Sowjetarmee befreiten Ländern wie Polen, Bulgarien, Ungarn oder der Tschechoslowakei unterstützt.

In Italien hatten die USA schon unmittelbar nach Kriegsende die Mussolini-Faschisten in ihr Vorgehen zur Niederhaltung der Kommunisten und Sozialisten einbezogen. Bereits im August 1945 konnten sich die früheren Parteigänger des »Duce« in einer faschistischen Sammlungsbewegung Uomo Qualunque (Jedermann) organisieren, an den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung teilnehmen und mit 5,3 Prozent Stimmenanteil 30 Sitze belegen. Unter den Augen der Besatzungsmacht schritten im Dezember 1946 die Mussolini-Faschisten mit dem Staatssekretär des »Duce«, Giorgio Almirante, als Nationalsekretär und dem Kommandeur einer zur Partisanenbekämpfung eingesetzten Torpedobootflottille, Valerio Borghese, als Präsident zur Wiedergründung ihrer Partei unter dem Namen »Movimento Sociale Italiano«. Almirante hatte noch kurz vor Kriegsschluß einen Genickschußbefehl gegen Partisanen erlassen, Borghese war wegen 800fachen Mordes an Antifaschisten als Kriegsverbrecher verurteilt, auf Geheiß der US-Besatzungsmacht aber begnadigt worden.

Die Erben des »Duce«

Zu den Grundlagen seines Wirkens erklärte der MSI das faschistische Parteiprogramm von 1919 und das von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht im Herbst 1943 verkündete sogenannte »Manifest von Verona«. Mit der Festlegung im Parteistatut, »die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen«, wurde ein weiteres Bekenntnis zum Mussolini-Faschismus abgelegt.

Mit dem MSI entstand eindeutig die verbotene Mussolini-Partei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassunggebenden Versammlung verstieß, die lautete: »Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und militärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft.« Das alles geschah in aller Öffentlichkeit, ohne daß die US-amerikanische Besatzungsmacht dagegen eingeschritten wäre.

Binnen weniger Wochen strömten dem MSI Zehntausende alte Mussolini-Anhänger zu. 1947 war die Partei in fast allen Regionen organisiert und konnte sich auf etwa 30 größere außerparlamentarische und sich MSI-unabhängig darstellende Organisationen mit weiteren Zehntausenden Mitgliedern stützen, deren Führungszentrale sie bildete.

Um diese Entwicklung zu sichern, lehnten die USA in den Pariser Friedensverhandlungen für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ab, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen. Das stellte einen eindeutigen Bruch der »Erklärung über Italien« der Außenminister der UdSSR, der USA und Großbritanniens vom 30. Oktober 1943 dar, die festgehalten hatte, daß die gemeinsame Politik der Verbündeten in Italien »zur völligen Vernichtung des Faschismus und zur Errichtung eines demokratischen Regimes führen muß«. Die Haltung der USA verstieß ebenso gegen die auf der Krimkonferenz (4. bis 11. Februar 1945 bei Jalta) von den Regierungschefs der UdSSR, der USA und Großbritanniens verabschiedete Erklärung »Einigkeit im Frieden wie im Kriege«, mit der festgelegt worden war, in Europa »die letzten Spuren des Nationalsozialismus und Faschismus zu beseitigen«.

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2012

Hintergrund: Die territorialen Eroberungen Italiens **

Dem Großmachthunger und Expansionsdrang Italiens fielen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg folgende Gebiete zum Opfer: 1889/90 das Küstenareal am Roten Meer zwischen den Häfen Assab und Massaua, aus dem Rom seine erste Kolonie, Eritrea, bildete. Danach annektierte es den Südteil der Somali-Halbinsel. 1911 wurden Tripolitanien und die Cyrenaika (zusammen mit dem Fessan das heutige Libyen) überfallen. Zunächst gelang es nur, die Küstenstreifen zu erobern. Anschließend wurde der Dodekanes erobert. Dem Versuch, die Dardanellen zu besetzen, geboten London, Paris und Petersburg Einhalt. Auf der Londoner Konferenz 1912 erhielt Italien zusammen mit Deutschland, Österreich/Ungarn, Rußland, Frankreich und Großbritannien das Mandat über Albanien.

Nachdem Mussolini 1920 der albanischen Reaktion geholfen hatte, die bürgerlich-demokratische Revolution niederzuschlagen, unterwarf er das Land 1926 seiner Vorherrschaft und annektierte es 1939 als Kolonie. 1925 wurde die Eroberung Tripolitaniens und 1929 des Fessan vollendet und 1930 die Cyrenaika unterworfen. Vom Oktober 1935 bis zum April 1936 wurde das äthiopische Kaiserreich erobert, wo angesichts des starken Widerstands das Giftgas Yperit eingesetzt wurde. 275000 Äthiopier fanden den Tod, die meisten durch das Giftgas. Dem Terror während der Kolonialherrschaft fielen insgesamt 750000 Menschen zum Opfer. Am 1. Juni 1936 bildete Mussolini aus Äthiopien, Eritrea und Italienisch-Somaliland die Kolonie Italienisch-Ostafrika.

Im Oktober 1940 und im März 1941 fiel Italien in Griechenland ein – und scheiterte. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf Jugoslawien und Griechenland beteiligt sich Italien unter deutschem Oberfehl an der Okkupation Griechenlands und besetzte jugoslawische Gebiete (Istrien, die Adriainseln und Fiume). 1940 fiel es in Sudan, Kenia und Britisch-Somalialand ein. Im September drangen italienische Truppen von Libyen aus nach Ägypten vor. Die abenteuerlichen Vorstöße scheiterten binnen weniger Monate. Am 18. Mai 1941 kapitulierte Italien in Ostafrika.

Siehe: Angelo Del Boca: Gli Italiani in Africa Ortientale, Bd. 2, La Conquista del Impero. Rom 1979

Gerhard Feldbauer

** Aus: junge Welt, 4. Februar 2012




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