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Streichen bleibt Prinzip

In Krisenstaaten wächst Widerstand gegen verordneten Absturz in Armut. Eurokraten sinnieren vor EU-Gipfel offenbar über ein moderateres Spardiktat *

In den EU-Krisenstaaten wächst der Verdruß über die vermeintlichen Banken- und Haushaltsretter aus Brüssel, Frankfurt am Main und Washington. Denn im Gegenzug für das »Bailout« von Banken und klammen Staaten verordnete die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds knallharte Kürzungs- und Privatisierungsauflagen – in der Mediensprache gern »Sparprogramme« genannt. Spätestens seit den Wahlen in Italien sowie anhaltenden massiven Protesten in Portugal, Spanien und Griechenland mache sich auch die »politische Führung« Sorgen und sei »mittlerweile ziemlich nervös«, berichtete das Handelsblatt am Montag in seiner Printausgabe. Dennoch wollten die Staats- und Regierungschefs beim bevorstehenden EU-Gipfel (ab Donnerstag) bei ihrer einmal eingeschlagenen Linie der sogenannten Austeritätspolitik bleiben – also den Großteil der Bevölkerung in den betroffenen Staaten die »Finanzhilfen« abstottern lassen.

Es ist im Krisenverlauf immer wieder zu beobachten: Politiker und diverse sonstige Amtsträger verschanzen sich hinter »Zwängen«. Subjektive (Fehl-)Entscheidungen werden objektiviert. Man habe wegen der hohen Staatsverschuldung in den betroffenen Staaten keine andere Wahl, zitiert das Handelsblatt einen Eurokraten. Allerdings könne man über »das Tempo der Sparanstrengungen« diskutieren.

Das ist eine immer lauter werdende Mindestforderung, beispielsweise aus Portugal oder auch Irland. Rabiate Kürzungen und eine Teilenteignung haben diese Länder, aber auch Griechenland in eine tiefe Rezession gezogen – dort geht die Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) kontinuierlich zurück, statt wie erhofft zuzunehmen. Es ist nicht schuld der Bevölkerung, sondern das Versagen von Staat und Kontrollgremien des Kapitals, die diese Länder in Not brachten. Und es ist die verordnete Konkursverschleppung der Pleitebanken, die die Sache weiter verschlimmerten.

Beispiel Spanien: Hier versucht inzwischen eine konservative Regierung, was eine sozialdemokratische Administration bereits vergeblich angeschoben hatte: Mit gewaltigem Aufwand an frischem Geld die maroden Betonbanken vor der Pleite zu bewahren. Die hatten in trauter Einigkeit und überbordender Profitsucht eine Bauorgie auf der Iberischen Halbinsel finanziert, deren Aberwitz erst allmählich in vollem Umfang zutage tritt.

Aber nicht nur Politiker und Bürger in den von Krise und erhaltenen Hilfsmilliarden geschlagenen Ländern verlangen inzwischen eine Lockerung bei der Etatdisziplin. Selbst Staaten, die inzwischen auch ohne Zutun der Troika ökonomisch schrumpfen, wie die bislang als stabil geltenden Niederlande, würden sich an den Kriterien des Stabilitätspaktes gern vorbeimogeln, der eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIP vorschreibt. Mit Frankreich gilt inzwischen die zweitgrößte Euro- und EU-Volkswirtschaft ebenfalls als Kandidat für die Rezession. Auch Paris möchte gern mehr Schulden machen – in der Hoffnung, diesem Teufelskreis entfliehen zu können.

Das dürfte schwierig werden. Dennoch wird es wohl versucht werden. Dem Handelsblatt zufolge heißt diese neue Spielart der Austeritätspolitik »differenzierte wachstumsfreundliche Haushaltskonsolidierung«. Laut dem der Zeitung vorliegenden Entwurf der Gipfelerklärung solle sie »kurzfristige« staatliche Programme für mehr Wachstum ermöglichen. Offenbar ist das nicht gedacht als Gegengift zur finanziellen Kontaminierung von Staatshaushalten, sondern als eine Art Notoperation, um die wirtschaftliche Talfahrt zu stoppen.

Wie problematisch die Gesamtsituation aus Sicht der befaßten Politiker inzwischen ist, machen nicht nur Proteste, Generalstreiks und »unvorhergesehene« Wahlergebnisse deutlich. Auch in den Staaten, die für Hilfskredite bürgen, kommt es zu immer neuen Verfahrensklimmzügen, um die vermeintliche Rettungslogik am Leben zu erhalten. So plant die Bundesregierung laut Handelsblatt, bei den angedachten Krediterleichterungen für Portugal und Irland eine Abstimmung im Bundestag zu umgehen. Beide Staaten haben nämlich nicht nur aus dem strenger kontrollierten »Rettungsfonds EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) Gelder erhalten, sondern auch aus einem Sondertopf Brüssels. Bei letzterem ließen sich die Konditionen problemlos ändern, würde in CDU/CSU/FDP-Kreisen spekuliert werden, so der Bericht.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 12. März 2013


Italien macht neue Schulden

Nach Herabstufung durch Ratingagentur Fitch dürften die Zinskosten höher ausfallen **

Stürzt Italien nach der Herabstufung durch die Ratingagentur Fitch tiefer in die Krise? Am heutigen Dienstag und am Mittwoch (12./13.3.) testet das kriselnde Mitglied der Euro-Währungsunion die Investoren an den Finanzmärkten: Rom will mit Auktionen von langfristigen Staatsanleihen und kurzlaufenden Geldmarktpapieren frisches Geld eintreiben. Bis zu 15 Milliarden Euro plant Italien dabei zu borgen.

Unmittelbar nach den Parlamentswahlen Ende Februar, die keine klare Regierungsmehrheit brachten, mußte die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone Anlegern deutlich höhere Zinsen für neu aufgenommene Verbindlichkeiten bieten. Nun senkte die Ratingagentur Fitch als erste unter den wichtigsten am Markt agierenden privaten Bonitätswächtern den Daumen: Fitch minderte Italiens Kreditwürdigkeit um eine Stufe auf »BBB+«. Das könnte einerseits potentielle Investoren abschrecken, zumindest aber ist zu erwarten, daß diese höhere Renditen (Zinsen) verlangen.

Professionelle Beobachter sehen die Lage indes entspannt: »Die südeuropäischen Bondmärkte ignorieren weiterhin die tägliche Geräuschkulisse und konzentrieren sich auf die mittelfristige Genesung«, meinte beispielsweise Luca Cazzulani von der italienischen Großbank Unicredit.

Bei der Auktion kurz nach der Parlamentswahl konnte Italien nach Einschätzung von Händlern seine Staatstitel vor allem bei heimischen Banken plazieren. Internationale Anleger hielten sich zurück. Bei den Spekulanten kamen die Ergebnisse dennoch überwiegend positiv an: Am sogenannten Sekundärmarkt, wo bereits ausgegebene Anleihen weitergehandelt werden, sanken damals die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen. Anleihen-Experte Rainer Guntermann von der Commerzbank sagte, Fitch sei die erste Agentur, die nach den Wahlen reagiert habe. »Somit besteht aus Marktsicht die Gefahr, daß die beiden anderen Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s ebenfalls bald nachziehen könnten«, erklärte Guntermann.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 12. März 2013


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