Deutsch-Europa
Italien von Konsortium regiert. BRD-Konzerne wollen Kontrolle in Krisenstaaten
Von Gerhard Feldbauer *
Nach dem Sturz von Premierminister Silvio Berlusconi hat in Rom ein Konsortium aus dem Industriellenverband Confindustria und verschiedenen Banken die Regierung übernommen. An der Spitze steht jetzt der langjährige EU-Kommissar Mario Monti. Er setzt mit seinem sogenannten Spar- und Reformprogramm das Werk Berlusconis fort. Dessen Streichpaket wurde unter dem Diktat der EU angenommen. Es umfaßt schon jetzt mehr als 100 Milliarden Euro und soll um weitere zehn Milliarden aufgestockt werden. Beim Sozialabbau ist die Schmerzgrenze längst überschritten. Angesichts der nächsten Wahlen – entweder vorgezogen auf 2012 oder am Ende der Legislatur 2013 – kann Monti den Bogen nicht überspannen.
So gehen die Brüsseler Vasallen in Rom und Athen daran, ihr Tafelsilber zu verscherbeln. Noch in der Hand des Staates verbliebene Unternehmen werden an private Konzerne veräußert. Wenn Monti erklärt, gegen die Krise suche er »den Schulterschluß mit Berlin und Paris«, dann bedeutet dies, daß er den dort ansässigen Konzernen den Vorzug gegeben will.
Schlußverkauf
Zur Disposition stehen zuvorderst die staatlichen Minderheitsbeteiligungen an zwei Riesenunternehmen: am Industrie- und Rüstungskonzern Finmeccanica und am Öl- und Gasproduzenten Ente Nazionale Idrocarburi (ENI). Der erzeugt außerdem Strom, unterhält petrochemische Anlagen und betreibt das Tankstellennetz Agip. Dessen Marktanteil liegt in Italien bei 29,3 Prozent. Mit 4356 Servicestationen ist ENI hier Spitzenreiter. In Europas stehen weitere 1938 Zapfstellen, davon rund 600 in Deutschland, über 300 in Österreich und 240 in der Schweiz. Mit einem Umsatz von 98 Milliarden Euro im Jahr 2010 ist ENI das zwölftgrößte Unternehmen Europas.
Finmeccanica ist einer der größten Industriekonzerne des Landes und hat in den 90er Jahren fast alle italienischen Rüstungs- Luft- und Raumfahrtunternehmen übernommen. Heute baut Finmeccanica Fluggeräte, Kommunikations- und Informationstechnik sowie Panzerfahrzeuge, Torpedos und Schiffsgeschütze. Dazu kommen Hochgeschwindigkeitszüge sowie U- und Trambahnen. Der Konzern hat Standorte in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Gesamtumsatz lag 2009 bei 18 Milliarden Euro. Insider gehen davon aus, daß sich hier deutsche Investoren breitmachen werden. In Anspielung auf die Okkupation Italiens durch Hitlerdeutschland nennt die italienische kommunistische Zeitung Contropiano diese Vorgänge eine Invasion, die nicht mit Panzern, sondern »durch eine Truppe von Inspektoren der Troika EU, IWF und EZB« unternommen werde.
Die Bundesregierung agiert gegen die Interessen ihres engsten Verbündeten in Paris. Sie hat gerade Daimlers Aktienanteil an der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) übernommen. Die EADS ist der größte europäische Luft-, Raumfahrt und Rüstungskonzern. Die Federführung bei der Verwaltung der deutschen Anteile hat jetzt die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die KfW-Bank hatte im Jahr 2010 eine Bilanzsumme von rund 442 Milliarden Euro und ist damit das drittgrößte Geldinstitut in Deutschland. Der französische EADS-Vorstandschef Louis Gallois wandte sich gegen den Einstieg des deutschen Staates und warnte vor einer »feindlichen Übernahme«.
Hegemoniestreben
Für Griechenland war der »Rettungsschirm« der EU kaum aufgespannt, da tauchten 70 Manager deutscher Unternehmen im Troß von Wirtschaftsminister Philipp Rösler in Athen auf und gingen auf Shopping-Tour. Unter dem Druck aus Brüssel muß Athen Staatsbetriebe im Wert von 50 Milliarden Euro verkaufen. Die Deutsche Telekom stockt jetzt ihre Anteile bei Hellenic Telekom um 40 Prozent auf. Einer der drei weltgrößten Hersteller von Solarstromanlagen, die deutsche Solarworld, will bis 2020 Solarzellen mit einer Leistung von 10000 Megawatt installieren. Das entspricht bei optimaler Sonneneinstrahlung der Energie von zehn Atomkraftwerken. E.on Ruhrgas will sich am Bau der Trans-Adriatic Pipeline beteiligen, die von Griechenland über Albanien nach Italien verläuft und vom Kaspischen Meer geliefertes Erdgas weitertransportiert. Zum Verkauf stehen auch Aktienpakete am Internationalen Flughafen Athens. Der Essener Baukonzern Hochtief hält bereits 40 Prozent der Anteile am Luftdrehkreuz. Im Rüstungsgeschäft streitet Thyssen-Krupp derzeit mit der französischen Werft »Direction des Constructions Navales, Systemes et Services« um einen Milliardenauftrag. Der Deal über sechs Tarnkappen-Fregatten sollte ursprünglich an die Franzosen gehen.
Die von Berlin gestützten »Euro-Rettungsschirme« nutzen vor allem deutschen Konzernen und damit der Hegemonie der Bundesrepublik in der EU. Um die Vorherrschaft festzuschreiben, verlangt Berlin nach Angaben des Internetblogs German-Foreign-Policy.com eine dominierende Stimmenmehrheit in zentralen EU-Institutionen. Dafür sollen die Stimmgewichte in der Europäischen Zentralbank neu verteilt werden, berechnet nach dem Bruttoinlandsprodukt.
* Aus: junge Welt, 22. November 2011
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