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Ciao Berlusconi

Regierungschef Letta im Amt bestätigt. Italiens Rechte scheitert mit Putschversuch und steht vor Spaltung

Von Gerhard Feldbauer *

Italiens Premier Enrico Letta von der Demokratischen Partei (PD) ist am Mittwoch in Senat und Abgeordnetenkammer mit großer Mehrheit im Amt bestätigt worden. Der von Expremier Silvio Berlusconi inszenierte Putschversuch ist damit gescheitert. In gewohnt diktatorischem Stil hatte der am Wochenende den Rücktritt der fünf Minister seiner rechten Partei »Volk der Freiheit« (PdL) aus der Regierungskoalition bekannt gegeben und seine Fraktion aufgefordert, gegen Letta zu stimmen. Berlusconi wollte so Neuwahlen erzwingen, doch seine einstigen Getreuen verweigerten ihm die Gefolgschaft.

Angelo Alfano, PdL-Chef und Vizepremier, hatte bereits vor der Vertrauensabstimmung angekündigt, mit weiteren Senatoren für Letta zu votieren. Angesichts der drohenden Niederlage vollzog Berlusconi eine Kehrtwende und rief selbst auf, für Letta zu stimmen. Letzterer hatte auf die Rückzugsankündigung der Berlusconi-Minister ungewöhnlich scharf reagiert. In Rom wird das darauf zurückgeführt, daß ihm von einflußreichen Wirtschaftskreisen und sogar aus der PdL bereits Unterstützung zugesichert worden war. Letta stellte sogar die Vertrauensfrage, um, wie er betonte, die Verantwortung Berlusconis und der PdL für die Regierungskrise öffentlich zu machen. Der Fortbestand der Koalition der Sozialdemokraten mit der mehrheitlich rechtsextremen PdL wird nun als »Sieg Italiens« gefeiert. Auch Brüssel zeigte sich erleichtert, EU-Kommissionspräsident Barroso begrüßte das Abstimmungsergebnis als »sehr positiv«. Die Mailänder Börse verzeichnete einen Anstieg von 1,45 Punkten.

Innerhalb der Linken, von den Kommunisten der PRC und PdCI über die Linkspartei Umwelt und Freiheit (SEL) bis zur Protestbewegung Fünf Sterne (M5S), hätte man es dagegen bevorzugt, das Bündnis von PD und PdL zu beenden und zu versuchen, eine neue Mitte-Links-Regierung zu bilden. Andernfalls wären Neuwahlen nötig gewesen, bei denen der Rechten eine Niederlage vorausgesagt wurde. Das war letztlich für »Moderate« als auch Hardliner in der PdL ausschlaggebend, der Auseinandersetzung derzeit aus dem Wege zu gehen und in der Regierung zu verbleiben.

Berlusconi steht derweil vor einem Scherbenhaufen seiner Politik. Beim Verlassen des Senats wurde er von einer großen Menschenmenge mit »Hau ab«, »Possenreißer« und anderen Buhrufen empfangen. Die Auseinandersetzungen in der PdL sind zudem nun offen ausgebrochen. Viele in der Partei wünschten sich »einen gemäßigten Kurs der Mitte« schrieb die Turiner Stampa, eine Zeitung der Fiat-Besitzer. Faktisch, so das großbürgerliche Blatt, stehe die »PdL vor der Implosion«. Alfano traf am Donnerstag mit Ministern und Parlamentariern der PdL zur Beratung über das weitere Vorgehen zusammen. Berlusconi war nicht anwesend. Wie bekannt wurde, lehnten die Gegner des Parteigründers die von diesem verfolgte Neukonstituierung der PdL unter ihrem Gründernamen Forza Italia als extremistisch ab. Sie wollen der Partei stattdessen mit einer Umwandlung in eine neue Centro Destra (Rechte Mitte), wie sie bis in die 1990er Jahre in Gestalt der Democrazia Cristiana in Italien bestand, ein »moderates« Outfit verschaffen. Während der zu Berlusconi stehende Fraktionschef im Senat, Fabrizio Schifani, den Dissidenten mit dem Ausschluß drohte, appellierte die Alfano-Gruppe an die Parteimitglieder, am Neugestaltungsprozeß teilzunehmen.

Berlusconi droht nun auf Grund seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs und Richterbestechung am heutigen Freitag der Ausschluß aus dem Senat. Ratschläge aus seiner Partei, sich mit dem Gerichtsurteil abzufinden und mit einem Rücktritt einer Begnadigung durch Staatspräsident Napolitano den Weg zu bereiten, hat der Expremier bisher kategorisch abgelehnt. Die linke Tageszeitung Unità mahnte daher, nicht davon auszugehen, daß der Mediendiktator aufgegeben habe.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. Oktober 2013


Berlusconis größte Niederlage

Regierungschef Letta gewann Vertrauensabstimmung / Konservative PdL in der Krise

Von Anna Maldini, Rom **


Die Regierung von Enrico Letta hat in einer dramatischen Abstimmung das Vertrauen des Parlaments erhalten. Erst wenige Minuten vor dem Votum stieß Silvio Berlusconi vorherige Beschlüsse im Alleingang um und stimmte doch wieder für die Große Koalition. Zurück bleiben die Scherben seiner Partei PdL.

Binnen Stunden wandelte sich am Mittwoch die politische Landschaft Italiens. Der monolithische Block der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL) zerbrach, der einst unangefochtene Chef Silvio hat nicht mehr alle Fäden in der Hand.

Ausgangspunkt war der Rücktritt der fünf PdL-Minister am vergangenen Wochenende. Mit dem Schritt wollten sie verhindern, dass der im Sommer zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Steuerbetrugs verurteilte Berlusconi seinen Sitz im Senat verliert. Ministerpräsident Enrico Letta reagierte prompt mit der Ankündigung einer Vertrauensabstimmung. Ausgerechnet die PdL-Minister der Großen Koalition meldeten sodann ihre Zweifel an der Parteilinie an.

Vor allem der Vize-Ministerpräsident und Innenminister Angelino Alfano, der auch Sekretär der PdL ist, begann, weitere »Dissidenten« um sich zu scharen. Innerhalb weniger Stunden waren es schon etwa 40 Parlamentarier, die erklärten, dass sie die Regierung weiter unterstützen werden. Berlusconi sammelte seinerseits seine treusten Anhänger um sich, ignorierte die parteiinterne Diskussion und erklärte, man werde geschlossen gegen die Regierung Letta stimmen. Nur wenige Minuten später ergriff der ehemalige Regierungschef im Senat selbst das Wort und sagte mit wenigen Sätzen, dass man doch in der Regierung bleibe. 235 Senatoren stimmten für und 70 gegen Lettas Regierung, im Abgeordnetenhaus fiel das Votum am Abend noch deutlicher aus.

Was Berlusconi zu seiner Kehrtwende bewogen hat, weiß keiner genau. Möglicherweise ist ihm klar geworden, dass seine Partei zerbrochen war und die »Dissidenten« zahlenmäßig ausreichen würden, um die Regierung am Leben zu erhalten. Er stand vor seiner ersten großen politischen Niederlage – in doppelter Hinsicht: Plötzlich hatte er die Regierung nicht mehr in der Hand und konnte sie nicht mehr für seine persönlichen Zwecke missbrauchen; zudem ist seine Stellung innerhalb der Partei unterminiert worden und seine Wählerschaft enttäuscht. Umfragen besagen, dass die PdL im Falle eines Rückzugs aus der Regierung etwa die Hälfte ihrer Wähler verloren hätte.

So heißt der Sieger dieser Zerreißprobe Enrico Letta. Dem eher blassen Politiker der Demokratischen Partei (PD) mit christdemokratischer Vergangenheit ist es gelungen, den Ultrakonservativen und Extremisten im rechten Lager die Waffe der permanenten Erpressung aus der Hand zu schlagen. Jedoch wäre es dem 47-jährigen wohl lieber gewesen, wenn Berlusconi sich mit einem Nein gänzlich ins Abseits manövriert und er es fortan nur noch mit dem »moderaten« Teil der PdL zu tun hätte. So kündigte Letta an, dass er nun die angestrebten Reformen wie die Änderung des Wahlrechts und der Verfassung sowie die Förderung von Wachstum und Beschäftigung vorantreiben werde.

Ob sich Berlusconis Partei jetzt tatsächlich spalten wird, ist noch unklar. Sitzungen und Pressekonferenzen der verschiedenen Strömungen, die für Donnerstag vorgesehen waren, wurden angesichts der Flüchtlingstragödie von Lampedusa abgesagt.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Oktober 2013


Salto mortale

Von Katja Herzberg ***

Ganz sollte mensch Berlusconi noch nicht abschreiben. Der mehrfache Ministerpräsident Italiens und Vorsitzende einer der beiden Regierungsparteien musste zwar bei der Vertrauensabstimmung am Mittwoch einen Rückzieher machen und erlitt damit nach seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs seine wohl größte Niederlage.

Über sein Medienimperium ist es dem Mogul aber weiter möglich, Einfluss auf das Wahlvolk auszuüben. Und Angst, vorgezogene Neuwahlen zu verlieren, war sicher die letzte Triebfeder seines politischen Salto rückwärts. Der könnte sich noch in einen Salto mortale entwickeln, hält Berlusconi an der abstrusen Idee fest, mit der Wiederbelebung der Forza Italia die Spaltung seines »Volkes der Freiheit« (PdL) voranzutreiben – nur die wenigsten PdL-Mitglieder und -Amtsträger würden diesem Weg folgen. Aber, auch das hat die Vertrauensabstimmung gezeigt: Nicht alles hängt mehr an Berlusconi. Seine Jünger haben sich vom Kaiman emanzipiert. Angelino Alfano, lange als Kronprinz von Berlusconi gehandelt, bewies, dass er vom Meister der Manipulation gelernt hat.

Berlusconis Volk hat begriffen, dass es so nicht weitergehen kann. Der Berlusconismus ist damit aber noch nicht bezwungen. Dafür braucht es mehr als eine Abstimmung. Mindestens eine aktive fortschrittliche Regierung. Die ist auch mit einer neu formierten PdL nicht zu machen. Einen Politikwechsel könnten nur Kräfte von links herbeiführen. Die sind in Italien aber um ein Vielfaches irrelevanter als ein 77-jähriger Ganove.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Oktober 2013 (Kommentar)


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