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Berlusconi lässt Regierung nicht platzen

Anhänger des verurteilten früheren Ministerpräsidenten Italiens verlangen Begnadigung

Von Anna Maldini, Rom *

In Italien bleibt die politische Lage nach der rechtskräftigen Verurteilung Berlusconis wegen Steuerbetrug angespannt. Zwar hat der ehemalige Ministerpräsident am Wochenende erklärt, er wolle die Regierung weiter unterstützen, aber seine Koalitionspartner trauen dem Frieden nicht.

Auf einer mehr oder weniger improvisierten Kundgebung vor dem Palazzo, in dem Silvio Berlusconi in Rom wohnt, hat der zu vier Jahren Haft verurteilte Politiker am Sonntagabend fast geweint. Er war gerührt, als er die Menschen sah – die Polizei spricht von 1500, die Organisatoren von 25 000 Teilnehmern – wirklich viele waren es nicht, die ihm zujubelten und die Fahnen vom »Volk der Freiheit« (PdL) aber auch die alten von »Forza Italia« schwenkten. Von jener Partei also, mit der Berlusconi seine politische Karriere vor mehr als 20 Jahren begann. Die will er nun wiederbeleben.

Zum Urteil wegen Steuerbetrugs, das das Kassationsgericht am Donnerstag fällte, erklärte der 76-Jährige erneut, dass er absolut unschuldig sei. Verantwortlich sei »eine gewisse Linke«, die »Teile der Justiz« als Instrument benutze, um ihn von der politischen Bühne zu vertreiben. Das werde Berlusconi aber nicht zulassen und weiter »für das Wohl Italiens« arbeiten; er werde auch die derzeitige Große Koalition aus PdL und Demokratischer Partei (PD) nicht stürzen. Die müsse allerdings eine umfassende Reform der Justiz einleiten. So hält Berlusconi seine Gefolgsleute im Zaum, die eigentlich viel härter vorgehen wollen und nur aus Liebe zu ihrem Führer auf schwerwiegende Reaktionen verzichten.

Tatsächlich hatte es in den letzten Tagen in der PdL gefährliche Töne gegeben: So hatte der Koordinator der Partei Sandro Bondi erklärt, in Italien würden »bürgerkriegsähnliche Zustände« ausbrechen, wenn »die Demokratie nicht wieder hergestellt« werde. Alle Parlamentarier unterschrieben ihren Rücktritt und vertrauten diese Schreiben dem Sekretär der Partei Angelino Alfano an, der gleichzeitig auch Vize von Enrico Letta in der Regierung und Innenminister ist. Er oder Berlusconi warten wohl noch auf die passende Gelegenheit, die Erklärungen einzusetzen.

Doch die meisten politischen Beobachter in Italien sind sich einig, dass diese Regierung Berlusconi gelegen kommt. Auch wenn seine Partei »nur« Juniorpartner ist, hat sie doch genügend Macht, um die Politik entscheidend mitzubestimmen und immer damit zu drohen, die Exekutive zu Fall zu bringen, wenn Maßnahmen ergriffen werden sollen, die ihr nicht passen. Unklar bleibt jedoch, was Berlusconi tatsächlich vorhat. Nach dem ersten endgültigen Urteil gegen ihn gibt es keine Instanz mehr, die das rückgängig machen könnte. Es scheint auch ausgeschlossen, dass Staatspräsident Giorgio Napolitano den Steuersünder begnadigt.

Vielleicht möchte Berlusconi jetzt auch nur Zeit gewinnen, bis die Umfragen ihm bei Neuwahlen eine sichere Mehrheit geben oder er eine neue Führungsperson aufgebaut hat, die zumindest teilweise an seine Stelle treten kann. Im Augenblick wäre da wohl nur seine 47-jährige Tochter Marina in Sicht, die derzeit wichtige Ämter in Berlusconis Firmenimperium Fininvest bekleidet.

Die PD befindet sich in einer Art Zwickmühle. Auf der einen Seite möchte man den ungeliebten Koalitionspartner so schnell wie möglich loswerden. Andererseits aber scheint keine andere Regierung in Sicht, da sich die Bewegung der Fünf Sterne (M5S) von Beppe Grillo weiterhin weigert, über eine Zusammenarbeit mit den Demokraten auch nur nachzudenken. Außerdem macht es bei den Wählern keinen besonders guten Eindruck, wenn die relative Mehrheitspartei in der derzeitigen sozialen Lage die Brocken hinwirft. Und wie viele Stimmen die extrem zerstrittene PD bei baldigen Neuwahlen erhalten könnte, die auch noch mit dem derzeitigen abstrusen Wahlsystem stattfinden würden, ist trotz der Erfolge bei den letzten Verwaltungswahlen sehr unsicher.

Der PD-Vorsitzende Guglielmo Epifani machte aber klar: »Eine Justizreform, wie sie die PdL will, können sie vergessen.« Seine Partei müsse nun ruhig bleiben und sich »auf alles vorbereiten«. Andere Sozialdemokraten hoffen darauf, dass letztlich die Vernunft siegt. »Inmitten der größten Wirtschafts- und Sozialkrise der Nachkriegszeit müssen das Zentrum, die Rechte und die Linke des Landes mehr denn je vereint bleiben«, sagte Luigi Zanda, der Fraktionsvorsitzende der PD im Senat.

So treffen sich die Interessen von Berlusconi und den Demokraten zumindest in diesem Moment: Man macht einfach weiter wie bisher.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 6. August, 2013


»Keine Zerstörer«

Regierungskrise in Rom schwelt weiter

Von Gerhard Feldbauer **


Mit Drohungen, Erpressungen und Einschüchterungen haben Silvio Berlusconi und seine Gefolgschaft am Wochenende auf das vom Obersten Verfassungsgericht rechtskräftig verhängte Urteil zu vier Jahren Gefängnis gegen den Expremier reagiert. Sie sind damit aber offensichtlich vorerst gescheitert. Angelino Alfano, Generalsekretär der Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL), forderte nach einer Krisensitzung von deren Führungsgremium Staatspräsident Giorgio Napolitano auf, den wegen Steuerbetrug, Korruption und Richterbestechung verurteilten Straftäter zu begnadigen. Andernfalls würden die Minister der PdL aus der mit den Sozialdemokraten (PD) gebildeten Regierung zurücktreten. Berlusconis engster Vertrauter in der PdL, der Senator Sandro Bondi, verstieg sich zu der Drohung, es könnte sonst zu »Formen des Bürgerkrieges« kommen. Da sich in der Berlusconi hörigen Partei noch immer Zehntausende Mitglieder und Anhänger der früheren faschistischen Alleanza Nazionale befinden, wird das in Rom nicht auf die leichte Schulter genommen. Bürgerwehren, die Berlusconis Verbündete von der rassistischen Lega Nord in zahlreichen Städten aufgestellt haben, gehen gegen Migranten sowie zur Unterdrückung politischer und sozialer Proteste immer wieder mit Gewalt vor.

Das Auftreten Berlusconis verdeutlichte ein weiteres Mal, daß er glaubt, über Recht und Gesetz zu stehen. In einer über seine Fernsehsender verbreiteten Videobotschaft bezeichnete er sich als »völlig unschuldig« und attackierte erneut die Justiz, in der »kommunistische Richter« ihn »eliminieren« wollten. Denjenigen in seiner eigenen Partei, die verhalten Widerspruch anmeldeten, entgegnete er: »Noch bin ich es, der hier leitet und die Linie vorgibt«. Dem stimmten einige tausend seiner Anhänger zu, die ihn am Sonntag vor seiner Wohnung im Palazzo Grazioli in der Römer Innenstadt frenetisch feierten und Fahnen der »Forza Italia« schwenkten. Unter dem alten Gründungsnamen seiner Partei will der 76jährige die PdL für den nächsten Wahlkampf erneuern.

Obwohl Berlusconi weiterhin über beträchtliche Möglichkeiten verfügt, in die Politik einzugreifen, hat er diesmal, besonders mit seinem Ultimatum an den Staatschef, zu hoch gepokert. Die Reaktionen und Proteste gegen sein autoritär-faschistoides Gebaren waren stärker als erwartet. Die Behörden zeigten Konsequenz, der Polizeipräfekt von Mailand ließ Berlusconis Paß einziehen. In der Führung der Demokratischen Partei (PD) wurde gewarnt, die Drohung mit einem »Bürgerkrieg« sei »fast umstürzlerisch«. Wie La Repubblica, Sprachrohr der PD, am Montag schrieb, erklärte Ministerpräsident Enrico Letta, die Koalition mit der PdL »nicht um jeden Preis« fortzusetzen. In der Unità äußerte der vorherige PD-Vorsitzende Luigi Bersani, die PdL werde mit einem verurteilten Straftäter an der Spitze scheitern. Roms Bürgermeister Ignazio Marino verurteilte die Kundgebung der PdL in der Hauptstadt als gesetzwidrig. Unter den Linken wächst die Forderung an die PD, aus der Regierung mit der Berlusconi-Partei auszusteigen. Die Koalition mit dieser »umstürzlerischen Rechten« müsse beendet werden, verlangte Paolo Ferrero von der kommunistischen PRC deutlich.

Staatspräsident Napolitano hatte vor dem Prozeß zwar gewarnt, das Urteil solle nicht »die politische Stabilität des Landes gefährden« und hätte wohl lieber einen Freispruch gesehen. Dem Ultimatum Berlusconis für eine Begnadigung konnte er sich aber unmöglich beugen. Er nannte dessen Äußerungen »verantwortungslos«, brach seinen Urlaub ab und kehrte nach Rom zurück. Napolitano lehnte es bisher ab, die Fraktionsvorsitzenden der PdL in Senat und Abgeordnetenkammer zu empfangen. Angesichts dieser Abfuhr ruderte Berlusconi am Sonntag zurück. »Wir sind keine Zerstörer«, erklärte er und beteuerte, die PdL werde in der Regierung bleiben. Gleichzeitig forderte er eine sofortige Justizreform, die vor allem den Zweck seiner Begnadigung haben soll. Die weitere Entwicklung bleibt offen. Beobachter in Rom meinen, daß sich die PD auf das Ende der Regierung einstellt. Es ist bereits von Neuwahlen im Oktober die Rede.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013


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