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Italien steigt aus

Kehrtwende Berlusconis: Wiedereinführung der Atomkraft gestoppt. Opposition vermutet Manöver vor Volksabstimmung im Juni

Von Micaela Taroni, Rom *

Pünktlich zum 25. Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschernobyl hat der italienische Senat am vergangenen Mittwoch abend auf Antrag der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi den geplanten Wiedereinstieg in die Atomkraft bis auf weiteres auf Eis gelegt. Italiens Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Paolo Romani, sagte der Zeitung Il Sole 24 Ore, er sei überzeugter Anhänger der Atomkraft, derzeit sei diese Haltung aber »kulturell nicht akzeptiert«. Bereits drei Wochen zuvor hatte das Kabinett ein entsprechendes Moratorium erklärt. Nun wurden jedoch alle bisher geltenden Gesetze bezüglich des Baus neuer Atommeiler außer Kraft gesetzt. Die Regierung brauche nach dem Unfall in Japan mehr Zeit, um Informationen über die Sicherheit der Atomkraftwerke zu sammeln, hieß es. Wirtschaftsminister Giulio Tremonti forderte die Europäische Union auf, einen Plan zur Förderung erneuerbarer Energien zu entwerfen und die Forschung für regenerative Energiequellen verstärkt zu unterstützen. Die EU-Staaten sollten zudem die Kosten berechnen, die mit dem Abbau alter Atommeiler verbunden seien. »Wir wissen, daß mit der Atomenergie lokale Vorteile verbunden sind, während sich die Nachteile auf die ganze Gemeinschaft auswirken«, unterstrich Tremonti.

Mit diesem Schritt will Berlusconi eine am 12. Juni geplante Volksabstimmung zum Ausstieg aus der Atomkraft abwenden, für die die oppositionellen Linksparteien in den vergangenen Monaten mehr als eine halbe Million Unterschriften gesammelt hatten. Der Premier befürchtet bei dem Referendum eine Niederlage, da laut Umfragen 78 Prozent der Italiener gegen eine Rückkehr zur Atomenergie sind. Nach dem GAU im japanischen Fukushima haben die Atomkraftgegner auch in Italien zudem stark an Boden gewonnen.

Die Opposition reagierte auf den Vorstoß der Regierung entsprechend mit Skepsis. Die Kehrtwende sei nur ein Manöver, weil die Regierung eine Niederlage bei der Volksabstimmung fürchte. Der Chef von Greenpeace Italien, Giuseppe Onufrio, sprach von einem »vorbeugenden Trick«. Die Antiatomkraftbewegung habe gesiegt, kommentierte auch Pier Luigi Bersani, der Generalsekretär der Demokratischen Partei (PD). Der Unfall in Fukushima habe die Lügen der Atomlobby entlarvt: »Atommeiler sind nicht sicher, und die Italiener haben das begriffen. Der Rückzug der Regierung ist ein Sieg der Opposition in Italien«, so Bersani.

Berlusconis Umweltministerin Stefania Prestigiacomo fordert hingegen, Italien solle die Atomenergie weiter erforschen. »Die Forschung im Atombereich muß unabhängig vom Beschluß unseres Landes vorangetrieben werden. Wir sind ein von Atommeilern umringtes Land. Der Unfall in Japan zwingt uns, uns Gedanken über die Sicherheit der Atommeiler zu machen, doch die Forschung darf nicht lahmgelegt werden«, so die Ministerin.

Italien war 1987 nach der Katastrophe von Tschernobyl aus der Atomenergie ausgestiegen. Damals hatten sich bei einem Referendum 80 Prozent der Bevölkerung gegen den Betrieb von Reaktoren ausgesprochen. Im Juli 2009 hatte Berlusconi jedoch im Parlament die gesetzliche Basis für einen Wiedereinstieg gelegt. 2013 sollte den Plänen zufolge mit dem Bau des ersten Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) begonnen werden.

* Aus: junge Welt, 26. April 2011


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