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Brutale Herrenmenschen

Im Juni 1930 ließ Mussolini in Libyen Konzentrationslager errichten

Von Gerhard Feldbauer *

Die italienischen kolonialen Eroberungen setzten Ende des 19. Jahrhunderts ein. 1890 entstand in Eritrea die erste Kolonie. Anschließend wurde der Südteil Somalias annektiert. Vorstöße nach Abessinien scheiterten. 1896 erlitt die Kolonialarmee bei Adwa eine vernichtende Niederlage. 1911, beim Überfall auf die libyschen Provinzen Tripolitanien und Kyrenaika gelang es nur, die Hafenstädte und Küstengebiete einzunehmen.

Die faschistische Diktatur wurde 1922 in Italien wie 1933 in Deutschland zur Grundlage des Kapitals, seine Expansionsziele unter günstigeren Voraussetzungen in Angriff zu nehmen. Mussolini wollte zunächst ein ostafrikanisches Reich gründen, um dann die Kolonialkarte Afrikas zu ändern. 1925 begann in Tripolitanien die weitere Kolonisierung Libyens. Dort kamen die Kolonialtruppen von der Küste aus nur langsam ins Landesinnere voran. Erst Anfang 1930 erreichten sie die riesigen Wüsten des Fessan in der nördlichen Sahara, der dritten Provinz Libyens, von wo aus die Eroberung der ­Kyrenaika beginnen konnte.

Regierung der Nacht

Doch hier leisteten die Araber unter dem »Sohn des großen Zeltes« genannten Stammesführer Omar Al-Mukhtar erbitterten Widerstand. Er wird in Libyen noch heute als »Löwe der Wüste« verehrt. Der starke Zusammenhalt dieser Nomaden ergab sich aus ihrer Organisation im islamischen Senussi-Orden, der das Senussi-Emirat mit der von dem Negus (Kaiser) von ­Abessinien geduldeten »Regierung der Nacht« Scheich Al-Mukhtars bildete. Die von dem Korangelehrten Muhamed Ibn Ali As-Senussi 1837 in Mekka gegründete Bruderschaft trat für eine Erneuerung des Islam und die Befreiung der arabischen Länder von jedem europäischen Einfluß ein. Während in Tripolitanien Stammesrivalitäten einen einheitlichen Widerstand verhindert hatten, bildete der Orden in der Kyrenaika die Basis des gemeinsamen Kampfes. Für die Araber, die ihre traditionelle Lebensweise als Hirtennomaden verteidigten, ging es um das physische Überleben. Die Partisanen vermieden offene Gefechte mit den mit modernster Kriegstechnik und zahlenmäßiger Überlegenheit vorgehenden Kolonialtruppen und setzten sich, unterstützt von der Bevölkerung, in kleinen Gruppen vor allem nachts mit Überfällen und Sabotageakten lange Zeit erfolgreich zur Wehr.

Gegen den Widerstand gingen die Kolonialbefehlshaber mit äußerster Brutalität vor. Partisanen, die ihnen lebend in die Hände fielen, wurden auf der Stelle erschossen, ihre Familien umgebracht, das Vieh ganzer Dörfer abgeschlachtet, Geiseln erschossen, Frauen vergewaltigt, die Heiligtümer der Nomaden geschändet. Italien, das 1928 das »Genfer Protokoll über das Verbot von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen« vom 17. Juni 1925 ratifiziert hatte, trat das völkerrechtliche Abkommen mit Füßen, indem es das Giftgas Yperit einsetzte.

Um den Widerstand zu brechen, befahl der Gouverneur der Kolonie, Marschall Pietro Badoglio, die Rebellen »räumlich ganz klar und weit von der unterworfenen Bevölkerung zu trennen«, auch »wenn die ganze Bevölkerung der Kyrenaika dabei zugrunde gehen müßte«. 100000 Beduinen wurde ihr Vieh geraubt, sie wurden aus ihren Wohnstätten vertrieben und in Konzentrationslager gesperrt. Auf Befehl Badoglios vom 25. Juni 1930 wurden entlang dem Ostufer der Großen Syrte 15 solcher KZ errichtet. Die Insassen waren nicht nur der glühenden Hitze, sondern ebenso Gewalt, Hunger und Seuchen ausgesetzt. Die arbeitsfähigen Männer und Jugendlichen mußten zwangsweise Straßen, Gebäude und Brunnen bauen. Wer nicht in ein KZ gesperrt wurde, hatte sich auf Plantagen als billiger Lohnsklave zu verdingen.

Italienische Siedlungen

Obwohl die Konzentrationslager Mussolinis nicht mit den Massenvernichtungslagern des Hitlerfaschismus verglichen werden konnten, handelte es sich auch bei ihnen um Todeslager, in denen Völkermord betrieben wurde. Wenn konservative Historiker zum italienischen Faschismus heute meinen, er sei im Vergleich mit dem deutschen weniger grausam, weniger barbarisch und auch nicht so aggressiv gewesen, dann zeigen bereits die Kolonialverbrechen, daß es vom Wesen her zwischen beiden Regimen keine Unterschiede gab.

Die Kolonialmacht förderte das Massensterben durch unerträgliche Haftbedingungen, um Platz für ins Land kommende italienische Siedler zu schaffen. Im größten Lager in Soluq, 60 Kilometer südlich von Benghasi, starben von den 20000 Insassen 5500. In Sidi Ahmed El-Magrum fanden bis 1933 von 13050 Inhaftierten 5 550 den Tod. Insgesamt kamen in den Konzentrationslagern rund 40000 Menschen, ein Viertel der Einwohner, ums Leben. Die meisten der Todesopfer waren Zivilsten. Hinzu kamen 6 500 Partisanen, die seit 1923 in den Kämpfen gegen die kolonialen Eroberer den Tod fanden.

Um eine Versorgung der Partisanen mit Nachschub, Waffen und Munition aus Ägypten und ein Entweichen nach dort zu verhindern, ließ Vizegouverneur Marschall Rodolfo Graziani entlang der Grenze einen 270 Kilometer langen und vier Meter breiten Stacheldrahtzaun mit befestigten Kontrollposten errichten, der außerdem von Flugzeugen überwacht wurde. Der faschistische Limes unterband gleichzeitig den grenzüberschreitenden Handel und untergrub wichtige Existenzgrundlagen der Bewohner der Kyrenaika.

Die verbliebenen Partisanen wurden erbarmungslos gejagt, ihre Anführer aus Flugzeugen abgeworfen. Am 11. September 1931 fiel der 70jährige Al-Mukhtar nach einer mehrstündigen Verfolgung als einziger Überlebender einer zwölfköpfigen berittenen Partisanengruppe in die Hände der Kolonialsoldateska. Graziani ließ ihn fünf Tage später in dem KZ Soluq vor den zusammengetriebenen Häftlingen aufhängen. Obwohl Badoglio am 24. Januar 1932 seinem »Duce« die »Riconquista fascista della Libia« meldete, kam der Widerstand erst 1935 mit der Eroberung der Kufra-Oasen zum Erliegen. In die Kolonie schickte Mussolini ungefähr 110000 Siedler, die die fruchtbaren Böden der Araber in Besitz nahmen. Insgesamt wurden den Libyern zwischen 1923 und 1938/39 731000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche geraubt.

Die Eroberung und Inbesitznahme Abessiniens (heute Äthiopien) 1935/1936 war von noch barbarischeren Verbrechen begleitet. Massiver als in der Kyrenaika setzte Badoglio Yperit ein. Der Kolonialfeldzug kostete 275000 Äthiopiern das Leben. Der Widerstand hielt an. Nach einem erfolglosen Attentat gegen sich befahl Graziani als Generalgouverneur im Februar 1937 ein Massaker, bei dem allein in der Hauptstadt Addis Abeba nach äthiopischen Quellen 30000 Menschen umgebracht wurden. Auch in Äthiopien wurden ebenso wie in Eritrea und Somalia KZ errichtet. Bis zum Einmarsch britischer Truppen 1941, an deren Seite äthiopische Einheiten kämpften, fielen insgesamt 750000 Einwohner des Landes dem Kolonialterror zum Opfer. Der Überfall bildete ein Vorspiel in den Abgrund des drei Jahre später beginnenden Zweiten Weltkrieges.

Die römische Rassenideologie

Eine entscheidende Grundlage der Praxis der barbarischen Kolonialverbrechen bildete die römische Rassenideologie, welche die Afrikaner als »minderwertige Rasse« klassifizierte.

Sie zielte darauf ab, unter den Kolonisten in besonderem Maße den ohnehin unter allen Italienern verbreiteten Geist des Herrenmenschen und der Herrenrasse zu züchten, um sie auf ihre Rolle als künftige Herren nicht nur des eroberten Italienisch-Ostafrika, sondern als Herrscher des ganzen Kontinents vorzubereiten.

Dazu gehörten die Schriften Julius Evolas, der in seinem Hauptwerk »Die Söhne der Sonne« die Überlegenheit der arischen Rasse, Führerkult, soldatische Disziplin und den Ordensstaat verherrlichte. Angelo Del Boca und Mario Giovanna haben in ihrem Buch »I Figli del Sole« (Mailand 1965) geschrieben, seine »Söhne der Sonne« seien Herrenmenschen, gegenüber »jeglicher Schwäche unerschütterlich«, für die »nichts wahr und alles erlaubt ist«. Außer den »Herren« würden nur Sklaven existieren. Die Masse bestehe nur aus Dienern, aus »Leuten, die überhaupt keine Rechte haben«, auch nicht das auf Leben, und über deren Vernichtung »man keine Träne zu vergießen braucht«. Derartige Theorien gingen in das »Rassenmanifest« Mussolinis vom Juli 1938 ein.

* Aus: junge Welt, 12. Juni 2010


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