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Ignorierte Waffenschau

Israelische Marine kapert Schiff mit Waffenladung. Absender soll ihr zufolge Iran sein, der Empfänger ist unklar. Propagandashow findet international nur wenig Beachtung

Von Knut Mellenthin *

Es sollte eigentlich ein gigantischer Propagandaschlager Israels werden. Aber das internationale Interesse für »Irans wahres Gesicht«, wie Premier Benjamin Netanjahu es nannte, blieb weit hinter den Erwartungen des Regisseurs zurück.Vielleicht waren einfach das Timing und die Dramaturgie nicht gut durchdacht. Oder das Publikum hatte den Film schon zu oft gesehen. Israel präsentierte der Weltpresse und den in Tel Aviv akkreditierten ausländischen Diplomaten am Montag die Ladung eines angeblich aus dem Iran kommenden Schiffs, das am vorigen Mittwoch rund 1500 Kilometer entfernt im Roten Meer gekapert worden war. Schauplatz der gestrigen Waffenschau war der Hafen Eilat am Golf von Akaba, der einen direkten Zugang zum Roten Meer hat. Vorgeführt wurden laut offizieller Liste des Pressebüros der israelischen Streitkräfte 40 Kurzstreckenraketen (angebliche Reichweite: 90 bis 160 Kilometer), 181 Mörsergranaten und 400000 Schuß Gewehrmunition.

In Israel ist man besonders stolz, daß es bei der Kaperung des Frachters durch israelische Kriegsschiffe – im Gegensatz zur Erstürmung des Hilfsschiffs »Mavi Marmara« im Mai 2010 – weder Tote noch Verletzte gab. Die unter einem türkischen Kapitän fahrende internationale Crew – anscheinend ebenfalls mehrheitlich Türken – habe keinen Widerstand geleistet. Die 16 oder 17 Personen sind zwar noch in israelischem Gewahrsam. In allen bisherigen offiziellen Stellungnahmen wird aber davon ausgegangen, daß sie nicht wußten, was in den Kisten war, die sie im iranischen Hafen Bandar Abbas an Bord genommen haben sollen. Von dort aus sei die Fahrt weiter gegangen nach Um Kasr im Irak, wo Container mit Zementsäcken hinzugeladen wurden.

Zielhafen soll Port Sudan am Roten Meer gewesen sein. Der weitere Transport der Waffen habe auf dem Landweg durch Ägypten über die Sinai-Halbinsel nach Gaza erfolgen sollen, behauptet die israelische Regierung. Vorher sei der Frachter jedoch in internationalen Gewässern rund 150 Kilometer von dem sudanesischen Hafen entfernt aufgebracht und nach Eilat eskortiert worden. Das Schiff namens »Klos C« sei unter panamaischer Billigflagge gefahren. Als Besitzer sei eine Firma eingetragen, die auf den pazifischen Marshall-Inseln registriert ist.

Das Hauptaugenmerk richtete sich in Israel selbstverständlich sofort auf die Raketen, von denen es immer wieder hieß, sie hätten fast jeden Punkt im Land treffen können, sofern sie bei den Empfängern angekommen wären. Die größte israelische Tageszeitung, Jedioth Ahronoth, sprach auf ihrer englischen Website sogar beharrlich von »Langstreckenraketen«, obwohl diesbezüglich die Angaben des Militärs von Anfang an eindeutig gewesen waren. Die Raketen sollen in Syrien produziert und bereits vor einigen Monaten per Flugzeug in den Iran geschafft worden sein. Dieser Vorgang sei so selten und seltsam gewesen, daß er die Aufmerksamkeit der israelischen Geheimdienste erregt habe, heißt es in den offiziellen Erzählungen. Von da an habe man die Raketen nicht mehr aus den Augen gelassen.

Die israelischen Behörden geben sich also wieder einmal allwissend. Um so seltsamer wirkt, daß sie anscheinend nicht angeben können oder wollen, für wen die Waffen bestimmt waren. Sicher sei man nur, behaupten Israels Militärs, daß die Fracht in den Gaza-Streifen geschmuggelt werden sollte. Das hinderte israelische Medien trotzdem nicht, Spekulationen anzustellen, ob die Iraner nicht in Wirklichkeit ägyptische Terrorgruppen auf der Sinai-Halbinsel beliefern wollten, die mit Al-Qaida in Zusammenhang gebracht werden. Die Kaperung der »Klos C« erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich Netanjahu gerade in Kalifornien aufhielt, um Computerfirmen und Filmproduzenten für mehr Engagement in Israel zu gewinnen. Die iranische Regierung sprach deswegen von einer »Hollywood-Inszenierung«, ohne jedoch ein sachlich überzeugendes Dementi abzugeben.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. März 2014


Dokumentiert: Die offizielle Darstellung des Israelischen Verteidigungsministeriums

Iran’s Weapons Shipment: The Full Disclosure

On March 5, IDF forces intercepted an Iranian weapons shipment intended for terrorist organizations operating in the Gaza Strip.

Following extensive preparations and in accordance with international law, the Israel Navy intercepted the KLOS-C last Wednesday 1,500 kilometers from Israel. Once on board, Naval forces discovered a large Iranian weapons shipment intended for Gaza terrorists. The shipment included powerful M-302 rockets capable of striking almost any point in Israel, including Jerusalem and Tel Aviv.

Upon its arrival in Israel, a combined task force unloaded and inspected the weapons shipment. The forces discovered 40 long-range M-302 rockets, 181 mortar shells and approximately 400,000 7.62 caliber rounds.

Iran attempted to hide its involvement in the weapons shipment, but the evidence is clear. The containers have Iranian authenticity seals on them, including seals of the Iranian postal company. Several bags of cement, clearly marked as coming from Iran, concealed the contents of the weapons shipment. Although 100 of the 150 containers were transferred from Iran to Iraq, the shipment’s loading form was modified to make it appear as if the shipment came from Iraq directly. It is clear that Iran was trying to hide its involvement in any form.

Though UN Resolution 1747 forbids Iran from engaging in arms smuggling, this was the latest in a long line of Iran’s attempts to ship weapons to terror groups in the region. Had previous attempts been successful, they would have armed local terror organizations with vast amounts of high-quality weaponry.

Iran’s intentions are clear and simple: to help Gaza terrorists attack Israel and threaten millions of civilian lives.

Source: Webside of IDF-Israel Defense Forces; published on: March 11, 2014; http://www.idfblog.com




Netanjahu schimpft auf die Welt

Angebliches iranisches Waffenschiff spielte auch 2002 bei Ausschaltung Arafats zentrale Rolle

Von Knut Mellenthin **


Es sollte Benjamin Netanjahus großer Tag werden – und endete mit Enttäuschung und offener Wut auf den Rest der Welt: Der israelische Ministerpräsident leitete am Montag eine Open-Air-Show im Hafen Eilat, die live im Fernsehen übertragen wurde. Präsentiert wurden Kurzstreckenraketen, Mörsergranaten und Munition für Handfeuerwaffen. Angeblich war das Arsenal an Bord eines Frachters entdeckt worden, den israelische Kriegsschiffe am vorigen Mittwoch vor der eritreischen Küste gekapert hatten. Das unter panamaischer Flagge fahrende Schiff, die »Klos C«, sei im iranischen Auftrag unterwegs gewesen, behauptet die israelische Regierung. Die Waffen hätten in den Gazastreifen geschmuggelt werden sollen. Auf eine bestimmte palästinensische Organisation als Empfänger wollte man sich aber bisher nicht festlegen.

Die angeblich schon seit Monaten vorbereitete Kaperung der »Klos C« lief unter dem offiziellen Namen »Operation volle Aufdeckung«. Wie der Name andeutet, war das Unternehmen als großer Propaganda­schlag gegen Iran gedacht. Rein zufällig wurde der beschlagnahmte Frachter genau am Sonnabend in den Hafen von Eilat eskortiert, als die EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton gerade Teheran besuchte. Ashton agiert gegenüber Iran als Sprecherin der internationalen Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – in den Atomverhandlungen. Diese zu torpedieren, war der tiefere Sinn der »Operation volle Aufdeckung«. Denn, so beteuerte Netanjahu in den letzten Tagen immer wieder und zunehmend ärgerlicher: Wer Waffen schmuggelt, der baut selbstverständlich auch heimlich Atombomben. Den Iranern sei auch unter ihrem seit August 2013 amtierenden Präsidenten Hassan Rohani grundsätzlich nicht zu trauen.

Das erhoffte stürmische Echo auf die »volle Aufdeckung« blieb jedoch außerhalb Israels aus. Am Sonntag begann Netanjahu öffentlich auf Lady Ashton zu schimpfen, weil sie den angeblichen Waffenschmuggel nicht zur Sprache gebracht habe. Geheimdienstminister Juval Steinitz erläuterte vor Journalisten, daß man nach der Kaperung der »Klos C« erwartet habe, daß Ashton ihren Besuch in Teheran absagen oder wenigstens verschieben würde. Am Montag abend, nachdem auch die Waffenschau in Eilat keine Wende gebracht hatte, ließ Netanjahu schließlich seinem Zorn auf die gesamte »internationale Gemeinschaft« freien Lauf. Er habe »nur eine Handvoll Stimmen« gehört, die »diese mörderische Lieferung« verurteilt hätten. Die meisten Regierungen zögen es vor, »den Kopf in den Sand zu stecken«. »Aber wenn wir einen Balkon in irgendeinem Jerusalemer Vorort bauen, tobt und schreit die ganze Welt.« Das demonstriere »die Ära der Scheinheiligkeit, in der wir leben«. Die Welt müsse »endlich aufwachen«.

Israelische Kriegsschiffe haben schon früher mindestens drei Mal Frachter gekapert, auf denen angeblich in iranischem Auftrag Waffen transportiert wurden. Der bekannteste und politisch folgenreichste Zwischenfall dieser Art war die gewaltsame Aufbringung der »Karine A« im Roten Meer am 3. Januar 2002. An Bord waren angeblich rund 50 Tonnen Waffen. Israel, damals geführt von Premier Ariel Scharon, behauptete, daß das Militärmaterial für die Palästinenserregierung bestimmt gewesen sei und daß Präsident Jassir Arafat davon gewußt habe. Das war zwar politisch unwahrscheinlich: Die Beziehungen zwischen Iran und der palästinensischen Führung waren wegen deren Verhandlungen mit Israel äußerst angespannt. Trotzdem nahm Scharon diesen Vorwurf zum Anlaß, um Arafat in seinem Hauptquartier in Ramallah praktisch unter Arrest zu stellen. US-Präsident George W. Bush stimmte dem provokatorischen israelischen Schritt mit der Begründung zu, daß Arafat »ein Hindernis für den Frieden« sei. Der Palästinenserführer konnte die von Israel besetzte und eingeschlossene Westbank erst im Oktober 2004 verlassen, um sich nach Frankreich in ärztliche Behandlung zu begeben. Dort starb er kurz darauf am 11. November

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. März 2014


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