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Public Viewing in Israel

Netanjahu-Regierung ordnet stärkere Bombardierung der Palästinenser im Gazastreifen an. Mittlerweile mehr als 160 Tote und über 1000 Verletzte

Von Knut Mellenthin *

Ein einstimmiger Aufruf des UN-Sicherheitsrats zur Waffenruhe ist ungehört verhallt. Israels Regierung ließ in der Nacht zum Sonntag die bisher tödlichsten Luftangriffe gegen den Gazastreifen fliegen. Innerhalb weniger Stunden starben 52 Menschen. Darunter waren 18 Mitglieder einer Großfamilie. Sie wurden getötet, als die israelische Luftwaffe ein dreistöckiges Haus zerstörte, in dem der Polizeichef von Gaza wohnte. Er selbst überlebte verletzt. Seit Beginn des neuen israelischen Krieges in der Nacht zum Dienstag gab es bis Sonntag vormittag nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden mindestens 165 Todesopfer. Unter ihnen sind nach Schätzungen des Menschenrechtsbüros der UN über 90 Zivilisten. Mehr als 1000 Menschen wurden verletzt.

Während Israel bisher vorgab, daß ausschließlich militärische Objekte, hauptsächlich Abschußstellen für Raketen, angegriffen würden, ist seit dem Wochenende ganz offiziell auch von nicht genau bezeichneten »anderen Zielen« die Rede. Dazu gehören offensichtlich auch Polizeiwachen. Real hat die israelische Luftwaffe ohnehin schon viele zivile Gebäude angegriffen. So starben drei Patienten und eine Pflegerin am Sonnabend bei der Zerstörung eines Heims für Behinderte. Weitere Opfer wurden unter den Trümmern vermutet. Nach UN-Angaben wurden bei Luftangriffen bisher mindestens 340 Wohnungen zerstört; 2000 Menschen seien dadurch obdachlos geworden.

Bei Raketenabschüssen aus dem Gazastreifen, mit denen die Regierung von Benjamin Netanjahu die Luftangriffe rechtfertigen will, wurden bisher nach offizieller Darstellung neun Israelis verletzt. Den schwersten Zwischenfall mit drei Verletzten gab es, als einer der Flugkörper zufällig eine Tankstelle traf und es zu einer Explosion kam.

Nach eigener Ansicht führt das israelische Militär den Krieg äußerst human und rücksichtsvoll. Libi Vice, eine Sprecherin der Streitkräfte, sagte am Donnerstag, daß Israel »grenzenlose Anstrengungen zum Schutz der Zivilbevölkerung von Gaza« unternehme. »Wir ergreifen Maßnahmen, die kein anderes Militär oder kein anderes Land der Welt ergreift«, rühmte Vice. »Im Zweifelsfall« würden Wohnhäuser nicht als militärische Ziele gelten. Außerdem würden die Bewohner durch Botschaften, beispielsweise Telefonanrufe, vorgewarnt.

Nach diesem Verfahren hat Israel am Wochenende begonnen, die gesamte Bevölkerung des nördlichen Gazastreifens durch Rundfunkmeldungen und den Abwurf von Flugblättern zur Flucht aus ihren Häusern und Wohnungen aufzurufen. »In den allernächsten Stunden« werde Israel einen großangelegten Angriff auf dieses Gebiet beginnen, sagten Militärsprecher am Sonntag.

Von dem am Sonnabend verabschiedeten Aufruf des UN-Sicherheitsrats zur Erneuerung des Waffenstillstands wollen sich Israels Politiker und Militärs offenbar nicht stören lassen. Kein internationaler Druck werde Israel von der Fortsetzung der Angriffe abhalten, hatte Netanjahu schon am Freitag abend kurz vor Beginn des Schabbats auf einer Pressekonferenz verkündet. Die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen zeigten, wie recht er gehabt habe, auf der dauernden militärischen Kontrolle des Westjordanlandes durch Israel zu bestehen, sagte Netanjahu. Fragen, ob und wann es eine Bodenoffensive gegen Gaza geben werde, beantwortete der Regierungschef ausweichend: »Wir erwägen alle Möglichkeiten und sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet.«

Tausende fliehen aus Nordgaza

Nach einer Schreckensnacht mit zahlreichen Bombardements und Warnungen der israelischen Armee vor einer Offensive waren am Sonntag Tausende Bewohner des nördlichen Gazastreifens auf der Flucht. In der Kleinstadt Beit Lahija leerten sich ganze Straßenzüge, als die Menschen bepackt mit dem, was sie tragen konnten, zu Fuß, mit Autos, auf Esels- und Pferdekarren ihr Heil weiter im Süden suchten. »Letzte Nacht gab es um uns herum so viele Einschläge, daß niemand schlief. Es war grauenhaft«, berichtet ein Mann namens Farid. Farida Sajed packt am Vormittag noch ihre Sachen, unschlüssig, wo sie hingehen soll. »Die Leute sagen, sie gehen in die Schulen, aber Israel hat doch schon Schulen bombardiert und auch schon Krankenhäuser«, sagt sie. (Sara Hussein/Mai Yaghi, Gaza/AFP)

* Aus: junge Welt, Montag 14. Juli 2014


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