Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Netanjahu will bremsen

Israels Premier wendet sich gegen Einigung der USA mit dem Iran. Bekräftigung des Bündnisses mit Washington

Von Knut Mellenthin *

Der Störbesuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu in Washington hat anscheinend einen ersten Erfolg zu verzeichnen: Barack Obama nahm am Montag (Ortszeit) erstmals offen zu den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm Stellung, über die strikte Vertraulichkeit vereinbart ist.

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte der US-Präsident, dass Iran zustimmen müsse, seine nuklearen Aktivitäten – gemeint ist vor allem die Anreicherung von Uran zur Produktion von Reaktorbrennstoff – mindestens zehn Jahre lang in ihrem derzeitigen Umfang einzufrieren. Obama sagte, dass von Teheran darüber hinaus verlangt werde, einige Elemente seines Programms, die er jedoch nicht konkret benannte, zurückzufahren. Er bekräftigte seine schon früher mehrfach geäußerte Einschätzung, dass die Wahrscheinlichkeit für das Zustandekommen eines Langzeitabkommens über die Beschränkung und Reduzierung des iranischen Atomprogramms geringer als 50 Prozent sei.

Obama wiederholte zudem seine Kritik an der angekündigten Absicht der Republikaner und einiger Demokraten im Kongress, noch vor der verabredeten »Dead Line« am 30. Juni neue Sanktionen gegen den Iran zu beschließen. Das könne die Verhandlungen gefährden.

Kurz zuvor hatte Netanjahu seine Rede bei der alljährlichen Konferenz der offiziellen Pro-Israel-Lobbyorganisation, dem AIPAC, gehalten. Sie fiel mit etwa 20 Minuten sehr viel kürzer aus als in früheren Jahren. Der Premier war deutlich bemüht, die immer offensichtlicheren Differenzen zwischen Jerusalem und Washington herunterzuspielen.

Das »Bündnis« der beiden Staaten – das eine sehr einseitige Sache zugunsten Israels ist – sei »stärker denn je zuvor« und werde »in den kommenden Jahren sogar noch stärker werden«. Israel und die USA seien »mehr als Freunde«, nämlich »wie eine Familie«. »Wir sind praktisch eine Mischpoke«, fügte Netanjahu dann mit einem jiddischen Ausdruck hinzu. Unter Verwandten kämen nun einmal Meinungsverschiedenheiten vor. Das sei immer unangenehm, schade aber langfristig nicht.

Der Premierminister veranschaulichte diese Aussage mit einer Reihe historischer Beispiele, wobei er bis zur Zeit vor der Unabhängigkeitserklärung von 1948 zurückging. Jedes Mal hatte Israel klar vorgetragene Ratschläge und Forderungen der USA missachtet – ohne dass dies den privilegierten Beziehungen über längere Zeit ernsthaften Schaden zugefügt hatte. Netanjahu wandte sich damit gegen die Warnungen der israelischen Opposition, die ihm vorwirft, die lebenswichtigen Beziehungen zu Washington zu gefährden.

Aktueller Streitpunkt ist die allein von den Republikanern an Netanjahu ergangene Einladung, vor dem US-Kongress zu sprechen. Das Vorhaben wurde zwischen dem israelischen Botschafter in Washington, Ronald Dermer, und dem republikanischen Sprecher des Abgeordnetenhauses, John Boehner, vereinbart. Protokollwidrig wurde auf eine Einbeziehung des Weißen Hauses verzichtet. Netanjahus offen erklärte Absicht ist es, von der Tribüne des Kongresses aus gegen jedes Abkommen mit dem Iran zu polemisieren, das diesem nicht generell und für alle Zeit die Anreicherung von Uran verbietet. Er wende sich an den Kongress, hatte Netanjahu kurz vor seiner Abreise nach Washington gesagt, weil dieser »wahrscheinlich die letzte Bremse« sei, die eine Einigung mit Teheran noch stoppen könne.

In seiner Rede beim AIPAC äußerte sich der Premierminister nur oberflächlich zu diesem Thema. Das Wesentliche hob er sich offenbar für seine Ansprache vorm Kongress auf, die am gestrigen Dienstag nach jW-Redaktionsschluss beginnen sollte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. März 2015


Zurück zur Israel-Seite

Zur Israel-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Iran-Seite

Zur Iran-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage