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Ariel Sharon: "Ein israelischer Cäsar"

Von Amos Wollin und Norbert Mattes *

Ariel Sharon gehört zur Kategorie der wiederholt als unbestrafte Kriegsverbrecher bezeichneten aktiven Politiker. Abgesehen von der skrupellosen Förderung seiner eigenen militärischen und politischen Karriere, sah und sieht Sharon seine Hauptaufgabe im unerbittlichen Kampf um die Vernichtung aller Formen der arabischen und vor allem palästinensischen Bewegung für nationale Befreiung. Eng damit verbunden waren seine intensiven Expansionsbemühungen, vor allem durch eine massive jüdische Besiedlung aller seit 1967 besetzten Gebiete. Was Sharon jedoch von seinen zahlreichen ähnlich denkenden Kollegen unterscheidet ist der brutale, menschenverachtende und rücksichtslose nationalistische Aktivismus einen besonders ambitionierten Aufsteigers, der gelegentlich mit einem Bulldozer oder einer Dampfwalze verglichen wurde. Uzi Bensmann charakterisiert ihn in seinem Buch „An Israeli Caesar“ als „hinterlistig, verschlagen, grobschlächtig…mit wenig Interesse an demokratischen Werten“.

Ariel Sharon wurde 1928 im Moshav Kfar Malal geboren. 1945 trat er der Hagana bei und bald danach der jüdischen Siedlungspolizei. Im 1948er Krieg diente er bereits als Offizier der Alexandroni-Brigade, die an der Vertreibung von Palästinensern im Süden des Landes beteiligt war und deren Mitglieder neuerdings eines bisher unbekannt gebliebenen Massakers im Jahre 1948 in Einwohnern des palästinensischen Dorfes Tantura südlich von Haifa beschuldigt werden.

In der israelischen Armee avancierte Sharon schnell zum Kommandeur verschiedener größerer Truppenverbände und wurde schließlich 1951 zum befehlshabenden Aufklärungsoffizier im Stab der Nordarmee ernannt. Zwei Jahre später übernahm Sharon das Kommando der berüchtigten Sondereinheit 101. Diese Truppe, der nicht mehr als 50 gesondert ausgebildete Soldaten angehörten, sollte Spezialaufträge des Generalstabes der Armee ausführen, d.h. destroy and kill-Operationen in arabischen Nachbarländern, die in Israel zumeist als „Vergeltungsschläge gegen Infiltranten“ bezeichnet wurden. (1) Einige Zerstörungsaktionen und regelrechte Massaker an arabischen Frauen und Kindern, die auf das Konto der Einheit 101 gingen – wie z.B. am 14. Oktober 1953 im palästinensischen Dorf Qibiya auf dem damals jordanischen Westufer, wo es 69 Tote gab, darunter zwei Drittel Frauen und Kinder, und 45 Häuser gesprengt wurden – sind auch von der Weltöffentlichkeit verurteilt worden. Das Massaker in Qibiya sollte ein Attentat bei Tel Aviv „vergelten“, bei dem eine Israelin und ihre zwei Kinder umkamen. Der damalige Außenminister Moshe Sharett schrieb nach dem Massaker in sein Tagebuch: „Eine Vergeltungsmaßnahme diesen Ausmaßes…ist niemals zuvor durchgeführt worden. Ich ging in meinem Zimmer auf und ab, perplex und völlig depressiv; ich fühlte mich hilflos.“(2) Als verantwortlicher Kommandeur sah sich Sharon gezwungen, Ben Gurion zu versichern, daß seine Männer keine professionellen Killer seien.(3)

Der erste Einsatz der Einheit 101 unter der Führung Sharons, erfolgte kurz vor dem Qibiya-Massaker am 28/29. August 1953 im Flüchtlingslager al-Bureij im damals ägyptischen Gazastreifen. Der Einsatz sollte die Vergeltung für die Ermordung eines jüdischen Restaurantbesitzers in Ashkalon durch einen Araber sein. Sharon drang mit 15 Leuten in das Lager ein, wurde jedoch entdeckt und von unbewaffneten Flüchtlingen umzingelt. Der Rest der Einheit schoß sich daraufhin den Weg frei und befreite Sharon aus der Umzingelung. Dabei wurden 20 Menschen getötet, darunter sieben Frauen und fünf Kinder, und 22 verletzt.(4)

Arik, König Israels

Während des Suezkriegs 1956 führte Sharon eine Fallschirmjägereinheit in „eigener Regie“ in eine überaus verlustreiche Sinai-Schlacht am Mitla-Paß und löste damit einen scharfen Konflikt mit dem damaligen Generalstabschef Moshe Dayan aus. (5) Sharon wurde zunächst zu Offizierslehrgängen nach England „verbannt“, doch er wurde auch später noch von den Nachfolgern Dayans im Hauptquartier boykottiert, weil sie ihm und seinen Methoden tief mißtrauten. Erst als im Jahre 1964 Yitzhak Rabin als Stabschef eingesetzt wurde, konnte Sharon seine militärische Karriere wieder vorantreiben. Er wurde Stabschef der Nordarmee (Grenzgebiet mit Syrien und Libanon), und dann, nunmehr im Generalsrang, oberster Ausbildungsoffizier im Generalstab der Armee. In dieser neuen Funktion beauftragte Sharon seinem Stab zu recherchieren, wie viele Busse und Lastwagen notwendig wären, wenn man im Falle eines Krieges 300 000 israelische Araber außer Landes transportieren müßte. Uzi Bensmann, der diesen Plan in Haaretz veröffentlichte, schrieb dazu, daß die meisten Mitglieder von Sharons Stab die Mitarbeit jedoch verweigerten, weil kein schriftlicher Befehl aus Tel Aviv vorlag.(6)

Kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967, in dem sich Sharon als Kommandeur großer Panzereinheiten im südlichen Sinai hervortat, seit 1969 diente er als Kommandeur der Südarmee. In dieser Funktion beaufsichtigte er den Bau der großangelegten Bar-Lev- Verteidigungslinie entlang des Suezkanals und begann mit der Kolonisierung des nördlichen Sinai. Zu diesem Zweck vertrieb er die dort ansässigen Beduinenstämme – wiederum unter Anwendung übermäßiger Gewalt, was der damalige Generalstabschef Haim Bar-Lev nachträglich scharf kritisierte.

Nach dem Sechs-Tage-Krieg hatte die PLO den bewaffneten Kampf gegen die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten aufgenommen. Im Gazastreifen operierten die PFLP und Fatah. Ariel Sharon bekam von der Armeeführung den Auftrag, die „Terroristen“ gnadenlos auszumerzen. Seine Methoden zur Liquidierung des Widerstandes im Gazastreifen zeichneten sich denn auch durch ihre Brutalität aus.(7)

1970 erhielt Sharon das Kommando über eine neue Spezialeinheit, der Rimon- Brigade. Diese sollte die Aufgaben der bereits zuvor im besetzten Gazastreifen operierenden Einheit Zikit (Chamäleon) übernehmen, der ersten israelischen Einheit, deren Soldaten als Araber „verkleidet“ waren, wie Araber aussahen und Arabisch sprachen. Zikit sollte in Gestalt der Rimon-Briade zu einer „effektiveren Einheit“ gemacht werden: Benannt nach ihrem Symbol – Granatapfel (rimon), Messer und Flügel – sollte die Rimon-Brigade vor allem „gesuchte Personen“ eliminieren. Eine entsprechende Liste umfaßte 200 Namen, entweder in rot oder in schwarz geschrieben. War der Name in schwarz geschrieben, wurde vermutet, daß die Person einer „terroristischen Organisation“ angehörte oder sie unterstützte. Im Falle der „Roten“ war sofort zu handeln…(8) 1971 war der Widerstand im Gazastreifen gebrochen: 100 Fedayin wurden getötet und über 700 verhaftet.

Allein in einem der Flüchtlingslager des Gazastreifens, dem Beach Camp, walzten die Bulldozer unter dem militärischen Schutz der Rimon –Brigade breite Straßen durch die engen Gassen des Lagers, wobei Hunderte von Häusern zerstört und die Familienobdachlos wurden. Damit sollten Durchfahrtsstraßen für schwere Militärfahrzeuge angelegt werden, um die Jagd auf Guerillas zu erleichtern. Der Journalist Phil Reeves beschreibt die Zerstörungen im Gazastreifen folgendermaßen: „Allein im August 1971 zerstörten die Truppen von Sharon 2000 Häuser im Gazastreifen und machten 16000 Menschen zum zweiten Mal in ihrem Leben obdachlos. Hunderte Palästinenser wurden festgenommen und nach Jordanien und Libanon deportiert. 600 Familienangehörige von angeblichen Terroristen wurden in den Sinai deportiert.“(9)

Sharon erkannte jedoch sehr bald, daß er keine Aussichten hatte, zum Generalstabschef ernannt zu werden, und so verließ er im Jahre 1973 die Armee, um eine politische Laufbahn in der Führung des neu gegründeten Likud zu beginnen. Diese „zivile“ Laufbahn war allerdings von kurzer Dauer, denn wenig später begannen Syrien und Ägypten den Oktoberkrieg. Als Befehlshaber einer Panzerdivision überquerte Sharon in einer abenteuerlichen Operation den Suezkanal und besetzte das Westufer des Kanals – der erste Schritt, um die Rückeroberung des Sinai durch Ägypten zum Stillstand zu bringen und eine Gegenoffensive einzuleiten. Nach dieser trotz ihres abenteuerlichen Charakters erfolgreichen „Privatinitiative“ ließ er sich als siegreichen Helden feiern, und überall in Israel sollte nun von Arik, Melekh Israel (Arik – König Israels) zu hören sein. Zwar wurde erneut sein „taktisches Können“ und sein „außergewöhnliches Draufgängertum“ gepriesen, gleichzeitig jedoch sah sich das Oberkommando veranlaßt, Sharon´s spektakulären Alleingang und sein demonstrativ befehlswidriges Verhalten scharf zu rügen.

Vorsitzender im Ausschuß für Besiedlung

Nach dem Oktoberkrieg 1973 entstand Sharons Plan der „Lösung“ des Palästinenserproblems: ein palästinensischer Staat sollte in Jordanien entstehen, Sitz des Parlamentes sollte Amman sein. Sein Plan basierte auf dem „Transfer“ der arabischen Bevölkerung der Westbank (nach Jordanien), um dort eine intensive jüdische Besiedlung durchzuführen. Dieser Plan sollte auch beim Libanonfeldzug 1982 wieder eine Rolle spielen. Einstweilen gab Sharon jedoch Ende 1974 seinen Knessetsitz auf, um – einem Ruf der Armee folgend – „Sonderaufgaben“ zu erfüllen. Im Wahljahr 1977 kehrte er wieder zu seiner politischen Karriere und in die Knesset zurück. Nach dem Wahlsieg des Likud wurde er in der Regierung von Menahem Begin Landwirtschaftsminister und Vorsitzender des Kabinettsausschusses für Besiedlung. Von nun an widmete sich Sharon ganz der massiven Kolonisierung der Westbank und galt als Schutzengel der überparteilichen Siedlerlobby Gush Emunim. Das Projekt der Kolonisierung konnte er um so intensiver verfolgen, als infolge der Camp-David-Verträge zwischen Ägypten und Israel die größte arabische Armee neutralisiert war. Als Landwirtschaftsminister hatte er auch mit der Green Patrol zu tun, einer Einheit, die darauf spezialisiert war, den nur für Juden reservierten „nationalen Boden“ von Beduinen frei zu machen, d.h. diese aus ihren angestammten Gebieten zu vertreiben.(10)

Sharon´s Karrierewunsch war es gleichwohl, das Amt des Verteidigungsministers zu übernehmen. Doch Begin lehnte es zunächst ab, Sharon zu Ezer Weizmanns Nachfolger zu ernennen, als dieser 1980 von seinem Posten zurücktrat. Erst nach den Wahlen 1981 gelang es Sharon, das Verteidigungsministerium zu übernehmen. So gehörten zur neuen Begin-Koalititon, die seit 1981 auch aus rechten und religiösen Parteien bestand, zwei Hardliner: Sharon als Verteidigungsminister und Yitzhak Shamir als Außenminister. Beide waren gegen die 1979 zwischen Ägypten und Israel geschlossenen Abmachungen über die Rückgabe des Sinai, da dies natürlich auch die Aufgabe der Siedlungen bedeutete. Für Sharon, der selbst am Plan zur Kolonisierung des Sinai mitgearbeitet hatte, war das nicht akzeptabel. So gründete er gemeinsam mit Shamir die Bewegung „Stoppt den Rückzug“ und bereitete sich auf Auseinandersetzungen im Sinai vor. Tatsächlich kam es zwischen Ägypten und Israel bei der Umsetzung des Vertrages zu Spannungen. 1500 radikale Siedler hatten sich im April 1982 in der Siedlung Yamit festgesetzt. Sie wurden schließlich durch 20000 israelische Soldaten mit Wasserkanonen und Tränengas vertrieben.(11)

Ägypten hatte Israel 50 Mio. Dollar angeboten, um die Häuser und Infrastruktur der Siedlungen intakt zu übernehmen. Israel lehnte jedoch ab und machte Yamit und andere Siedlungen, mit Ausnahme von Ofira (Sharm ash-Sheikh), mit Bulldozern dem Erdboden gleich. Die Entscheidung über die Zerstörung war von Menahem Begin getroffen worden – mit Unterstützung von Ariel Sharon. Es gab dazu weder eine Kabinettsentscheidung noch politische Diskussionen. Sharon argumentierte, das Dilemma einer möglichen „Gegenbesiedlung“ durch Araber im Auge, folgendermaßen: Wenn die Gebäude und die Infrastruktur intakt blieben, könnten viele Ägypter dort siedeln, und das würde zu unnötigen Spannungen führen.(12)

Sharons großer Plan, ein Fehlschlag

Von 1970 an und bis 1981 verstärkte die PLO ihre militärischen Aktionen gegen Israel vom Südlibanon aus. Bereits 1978 ging die israelische Armee gegen die militärische Infrastruktur der PLO in der sogenannten Litani-Operation im Südzipfel des Libanon vor: Innerhalb einer Woche besetzte Israel das Gebiet südlich des Litani und errichtete in dem christlich geprägten Gebiet eine „Sicherheitszone“. Nach Begins Wahlerfolg 1981 begann ein weiterer Schlagabtausch zwischen Israel und der PLO. Israel bombardierte die Flüchtlingslager und Militärbasen der PLO, und diese schoß zurück nach Nordisrael (und vice versa). Über ihren Botschafter Habib bemühten sich die USA intensiv um ein Waffenstillstandsabkommen, was am 24. Juli 1981 dann auch gelang. Der Waffenstillstand rief in Israel jedoch ein Gefühl der politischen und militärischen Niederlage hervor. Yasir Arafat setzte alles daran, den Waffenstillstand an der libanesisch-israelischen Grenze einzuhalten. Benny Morris schreibt, daß Arafat es vermieden hätte, in die Falle zu tappen, und die PLO sich an das Abkommen gehalten hätte.(13)

Während in der israelischen Propaganda immer wieder von Verletzungen des Waffenstillstands gesprochen wurde – die es jedoch nicht gab –, drohte Sharon offen mit der Zerstörung der PLO. Selbst Philip Habib war entsetzt über seine brutalen Äußerungen. „General Sharon, wir befinden uns im 20. Jahrhundert und die Zeiten haben sich geändert…General Sharon, Sie können nicht einfach Länder angreifen, alles in Grund und Boden schlagen und Zivilisten töten.“(14)

Ariel Sharon ließ vom Generalstab eineni Plan ausarbeiten, der die Grundlage für den Angriffskrieg auf den Libanon bildete. Die Invasion, die angeblich nur bis zu einer Tiefe von 40km geplant war, sollte allerdings zu einem drei Jahre währenden Krieg werden. Den Vorwand für den Einmarsch in den Libanon lieferte das Attentat auf den israelischen Botschafter SHlomo Argov in London, ausgeführt von der Abu NidalGruppe, die zu dieser Zeit – so vermutet man –, für den irakischen Geheimdienst arbeitete. Obwohl die PLO nichts mit der Abu Nidal-Gruppe zu tun hatte, diente der Anschlag als Rechtfertigung. In Begins Worten: „Sie sind alle PLO, Abu Nidal, Abu Shmidal. Wir müssen die PLO schlagen.“(15)

Am 6. Juni 1982 marschierte die israelische Armee im Libanon ein, offiziell hieß die Operation jetzt „Frieden für Galiläa“. Die Ziele Sharons waren offensichtlich: Er wollte sowohl die militärische als auch die politische Präsenz der PLO im Libanon beenden und damit die Palästinenser am Westufer und in Gaza völlig von Israels Gnaden abhängig zu machen. Außerdem sollte in Zusammenarbeit mit den maronitischen Christen eine neue libanesische Regierung eingesetzt werden, die mit Israel Frieden schließen würde. Gleichzeitig sollte der syrische Einfluß im Libanon eliminiert werden. Schon acht Monate vor der Invasion hatte Sharon in einem Interview mit Uri Avneri erklärt, daß er „die Palästinenser nach Syrien treiben wolle, in der Hoffnung, daß die Syrer sie weitertreiben würden nach Jordanien, das man dann zu einem palästinensischen Staat machen werde.“(16)

Nach der israelischen Invasion war der Libanon in vier Teile geteilt: Die Israelis waren im Süden bis Beirut und bis zur Straße Damaskus-Beirut vorgedrungen; ihre christlichen Verbündeten kontrollierten Ostbeirut und das Gebirge im Osten; syrische Einheiten und die PLO hielten Westbeirut, eingeschlossen von der israelischen Armee und den christlichen Milizen.

Angesichts der permanenten israelischen Bombardements stand die PLO – auch von libanesischer Seite – unter verstärktem Druck, ihren Abzug vorzubereiten, wozu Arafat am 2. Juli seine Bereitschaft signalisierte. Allerdings wollte er die Flüchtlingslager in Westbeirut nicht ohne Schutz zurücklassen. Am 4. August stießen israelische Armeeeinheiten in Richtung des Zentrums von Beirut vor, und trotz der Proteste der USA setzte Israel sein Artilleriefeuer und seinen Luftwaffeneinsatz fort, der allein am 12. August 300 Tote forderte. Doch Begin setzte weiter sein Vertrauen in Ariel Sharon, hatte er doch schon am 26. Juni gesagt: „Gesegnet ist das Land, dessen Verteidigungsminister Ariel Sharon ist.“(17)

Arafat stimmte schließlich den Bedingungen des amerikanischen Unterhändlers Philipp Habib zu, der den Schutz der Flüchtlingslager Westbeiruts zusicherte. Am 31. August war der Abzug der PLO beendet. Die israelische Armee stand kurz vor der Einnahme Westbeiruts. Am Abend zuvor hatte Sharon mit Begin und Eitan die Besetzung Westbeiruts diskutiert. Am 15. September traf er sich mit den Phalangistenführern Fadi Frem und Eli Hobeika und signalisierte ihnen, daß er nicht wünsche, daß auch nur ein „Terrorist“ übrigbliebe.(18)

Hobeika´s Milizionäre und Haddad´s von Israel unterhaltene Südlibanesische Armee drangen am 18. September in die Flüchtlingslager Sabra und Shatila ein. Das Massaker dauerte 30 Stunden. Die Phalangisten schlachteten ganze Familien ab. Die offizielle israelische Erklärung lautete dann, daß die libanesisch-christliche Phalangistenmiliz, die in die Flüchtlingslager eingedrungen war, den Auftrag hatte, den Ort nach Terroristen zu durchsuchen.

Der amerikanische Vermittler Philip Habib, der der PLO die Zusicherung gegeben hatte, daß die Lager bei einem Abzug geschützt werden, fühlte sich verantwortlich. In einem Interview wies er später verbittert auf die Verantwortlichkeit Sharons hin: „Sharon war ein Killer, besessen vom Haß gegen die Palästinenser. Ich hatte Arafat die Zusicherung gegeben, daß seinen Leute nichts angetan wird, aber dies war für Sharon absolut unwichtig. Sein Wort war nichts wert.“(19) Die Zahl der Toten wird auf 700 bis 2000 geschätzt. Während die Phalange die Palästinenser massakrierten, zerstörte die israelische Armee das palästinensische Kulturerbe. Die gesamte, 25000 Bände umfassende Bibliothek des PLO Forschungszentrums wurde gestohlen, ebenso Mirkofilme, Archivmaterial, Manuskripte. Alles Übrige wurde zerstört. Nachdem das Massaker bekannt geworden war, demonstrierten in Tel Aviv etwa 400 000 Menschen gegen den Krieg. Unter dem Druck der Öffentlichkeit sah sich Begin gezwungen, eine Untersuchungskommission einzurichten. Die Kommission befand in ihrem Bericht schließlich Sharon, Rafi Eitan und andere israelische Befehlshaber für zumindest indirekt mitschuldig an dem Blutbad und empfahl den Rücktritt Sharons. Nach einer anfänglichen Verweigerung, legte dieser im Februar 1983 sein Amt nieder. Allerdings blieb er Kabinettsmitglied, als Minister ohne Geschäftsbereich.

Was hatte Israel nun durch diesen von Verteidigungsminister Sharon geplanten und durchgeführten Krieg gewonnen? Nach dem israelischen Abzug war Libanon fester in syrischer Hand als zuvor. Es entwickelte sich eine Guerillabewegung (Hizbullah), die stärker war als die der PLO. Die israelische Propagandamaschine hatte alle Hände voll zu tun, um ihren Mythos der „Reinheit der Waffen“ angesichts der während des Feldzuges eingesetzten Phosphorbomben und Schrapnellgeschosse aufrechtzuerhalten. Die Londoner Sunday Times berichtete, daß in den ersten zwei Monaten des Kriegs fünf UNO-Gebäude, 134 Botschaften bzw. Botschafterresidenzen, sechs Krankenhäuser, die Zentralbank, fünf Hotels, der Sitz des Roten Kreuzes und unzählige Privathäuser Zielscheibe der Bombardements waren.(20) Zwischen dem Juni 1982 und dem Juni 1985 gab es 650 israelische Tote und 3000 Verwundete. Die Zahl der Todesopfer auf Seiten der PLO belief sich auf mehr als 1000 Tote. Die syrischen Verluste lagen zwischen 500 und 1000. Die Gesamtschätzungen gehen bis zu 20 000 Toten und 30 000 Verwundeten. Im Dezember 1982 veröffentlichte die libanesische Polizei die Zahl von 19085 Toten, davon allein in Beirut 6775, bei einem Anteil von 84% Zivilisten.(21)

Als Ministerpräsident weiter für Kolonisierung und Vertreibung

In der Regierung der nationalen Einheit von Arbeitspartei und Likud (1984) wurde Sharon zum Minister für Handel und Industrie ernannt. Diese Funktion behielt er bis Juni 1990. In Yitzhak Shamirs Regierung gelang es Sharon dann 1990 das Ministerium für Wohnungs- und Siedlungsbau zu übernehmen. Nun war er endlich an dem Platz angelangt, von dem aus er energisch die Besiedlung bzw. Kolonisierung palästinensischen Bodens vorantreiben konnte. Aus dieser Zeit stammt der „Sieben- Sterne-Plan“, der damals in dem linken Verlag Hanitzotz/al-Sharara Publishing House veröffentlicht wurde. Offiziell hieß es, es handele sich um einen Plan zur Beseitigung des Wohnungsmangels, der durch die Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion entstanden war. In Wirklichkeit sollte eine demographische Wende in Israels schmalsten Landstrich, der mit arabischen Dörfern übersät ist, eingeleitet werden – mittels dem Bau von Siedlungen. Ben Eliezer, der 1992 die Nachfolge von Sharon antrat, trieb den Plan weiter voran.(22)

Mit anderen Rechtsradikalen versuchte Sharon die Madrider Konferenz für Frieden im Nahen Osten (1991) zu torpedieren. Obgleich er zu den Kritikern des Osloer Abkommens mit den Palästinensern 1993 gehörte, ließ sich Yitzhak Rabin häufig von ihm zu diesem Thema beraten. Einerseits heizte Sharon in populistischer Manier die Stimmung gegen die Regierung Rabin an: „Niemals hätte ich geglaubt, daß ein Tag kommen würde, an dem eine jüdische Regierung….in Jerusalem entscheiden würde, welche Juden geschützt und welche den Hunden vorgeworfen werden sollten.“(23) Andererseits aber äußerte er sich zufrieden über den Siedlungsbau in der Westbank. Er zeigte der Presse eine entsprechende Karte, die er schon 1977 entworfen hatte: Genau in diesem Sinne würde Rabin jetzt handeln und er fühle sich deshalb Rabin nahe, denn die beiden Pläne seien doch kongruent.(24)

In Netanyahus Regierung (1996) erhielt Sharon ein neu geschaffenes und auf seinen Wunsch mit besonderen Befugnissen ausgestattetes Ministerium für Infrastrukturentwicklung. Nach Baraks Wahlsieg im Jahre 1999 und nachdem sich Netanyahu zeitweilig aus der Politik zurückgezogen hatte, wurde Sharon dann Vorsitzender des Likud.

Als er Ende September 2001 eine Gruppe von Likud-Abgeordneten auf den Haram ash-Sharif führte, geschah dies in der eindeutigen Absicht, die inzwischen im Zusammenhang mit der Jerusalem-Frage festgefahrenen israelisch-palästinensischen Verhandlungen noch komplizierter zu machen. Seine Provokation löste die blutigen Zusammenstöße zwischen israelischer Polizei, Grenzschutz (1000 Mann) und Palästinensern aus, die schließlich in die zweite Intifada mündeten. Wenig später gewann Sharon trotz seiner gewalteskalierenden Provokation die Wahl zum israelischen Ministerpräsidenten.

Damit erreicht der Militär und Politiker Ariel Sharon den Höhepunkt seiner Karriere. Der dreijährige Krieg im Libanon mit seinem hohen Blutzoll von Hunderten getöteten israelischen Soldaten hatte ihm offenbar ebensowenig geschadet wie sein „Krieg gegen den Terrorismus“ in den besetzten Gebieten. Er führt seine militärische Strategie der Vernichtung jeglicher staatlicher Strukturen auf palästinensischer Seite fort (25) und gleichzeitig forciert er die Kolonisierungspolitik im Gazastreifen und der Westbank. Das Ergebnis dieser Politik: der schleichender Transfer der palästinensischen Bevölkerung.

Nachtrag (Oktober 2005):

Sharons Rückzug aus dem Gazastreifen bedeutet nicht die Befreiung des Gazastreifens, wie das propagandistisch von Hamas vertreten wurde. Er bedeutet zwar, daß der Gazastreifen von Israel aufgegeben wird, aber dafür wird die Siedlungstätigkeit in der Westbank ausgeweitet. Die Mauer wird weiter gebaut; sie ist ein Instrument der gewaltsamen Landenteignung und –kontrolle. Und der Gazastreifen selbst: Israel positioniert lediglich die Mauern des Gaza-Gefängnisses neu.

Bashir Abu Manneh meint, daß Sharon mit dem Abzug aus dem Gazastreifen mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat. Es sei eine Antwort auf die wachsende interne und internationale Krise. Seit Beginn der al-Aqsa-Intifada hätte sich der Dissens in der israelischen Gesellschaft verstärkt. „Politisch zeigte sich dies in der Genfer Initiative und militärisch in der Refusenik-Bewegung. Das innerisraelische Ziel des Rückzugplans war daher, diese beiden Initiativen auf einen Schlag zunichte zu machen. Keine Sorge mehr um Reservepiloten aus Eliteeinheiten, die den Dienst und Befehle verweigern und keine aktive politischen Alternativen zur Regierungspolitik.“(26) Was nicht auf Sharons Agenda stand, war ein durch Verhandlungen erreichtes Friedensabkommen. Also mußte auch an der diplomatischen Front etwas getan werden. Wie Dov Weinglass, Sharons Berater es formulierte: Ziel des Abzugs sei die Einfrierung des Friedensprozesses gewesen. Abu Mannehs dritter Punkt ist: Sharon mußte die Kontrolle über die Siedlerbewegung zurückgewinnen. Dem Einfluß des messianischen Zionismus mußten Schranken gesetzt werden. „Das Ziel war ihn zu schwächen und zu kontrollieren, um ihn wieder den umfassenderen strategischen Erwägungen des israelischen Staates unterzuordnen.“

Fußnoten
  1. Moshe Dayan schrieb in seinem Tagebuch: „Patrouillen überquerten die Grenze. Die Marine…führte Einsätze durch und landete an der saudischen und ägyptischen Küste im Golf von Eilat (Aqaba), und Ranger in Kommandofahrzeugen und Jeeps überquerten die ägyptische Grenze und drangen in den Sinai ein.“ Zitiert in: Benny Morris, Israel´s Border Wars 1949-1956, Oxford 1993, S.240, FN 55.
  2. Zitiert bei: Benny Morris, Righteous Victims, New York 1999, S. 278.
  3. Morris, Israel´s Border Wars, S. 241.
  4. Ebenda, S. 242f.
  5. 1995 begann die israelische Presse die Massaker an ägyptischen Kriegsgefangenen im 56er Krieg zu enthüllen. General Arye Biro, der bei den Massakern am Mitla-Paß, in Ras Sudar und in Sharm ash- Sheikh beteiligt war, konnte die Kenntnis des Kommandeurs der Südarmee, Ariel Sharon, darüber nicht bestätigen. Sein vorgesetzter Regimentskommandeur Rafi Eitan sei dafür verantwortlich gewesen (Yossi Melman in Haaretz vom 17.08.1995).
  6. In einem Brief an die Zeitung der Histadrut, Davar, verneinte Sharon diesen Plan. Siehe dazu: Nur Masalha, Land without a People, London 1997, S. 34.
  7. Der damalige Vorsitzende der Liga für Menschen- und Bürgerrechte, Israel Shahak, organisierte damals Proteste gegen die Ausstattung der im Gazastreifen stationierten Fallschirmspringereinheiten mit Pferdepeitschen, die zur „Disziplinierung“ der Bevölkerung eingesetzt werden sollten.
  8. Diese Einheit hatte eine „Lizenz, Menschen zu töten, außerhalb jeder militärischer Operation.“ Yigal Mosko, Wochenzeitung Kol Hair, 30. Juni 1995.
  9. The Independent, 21. Januar 2002.
  10. Chef der Einheit war Reserve-General Abraham Yaffe, den die SZ am 17. Oktober 1978 als Naturschützer hoch lobte. In israelischen Zeitungen sprach Yaffe allerdings ganz offen über seinen Kampf gegen den „expansionistischen Beduinen-Zionismus“.
  11. Amnon Kapeliouk hielt dies allerdings für eine gut vorbereitete Show: „…one of the largest brainwashing operations conducted by the government in order to convince the Israeli people that they have suffered a ‘national trauma’ the effect of which will be felt for generations.” Zitiert bei: Noam Chomsky, The Fateful Triangle. The United States, Israel and the Palestinians, Cambrigde 1999 (updated edition), S. 193.
  12. Morris, Victims…S. 491.
  13. Morris, Victims…S. 512
  14. Avi Shlaim, The Iron Wall, Israel and the Arab World, London/New York 2000, S. 401.
  15. Ebenda, S. 404.
  16. Robert Fisk, Pity the Nation, Lebanon at War, Oxford 1992, S. 388 FN.
  17. Morris, Vicitms…S. 537.
  18. Ebenda, S. 543. Siehe auch INAMO Nr. 31, Das Massaker in Sabra und Shatila, S. 50f.
  19. In einem Interview mit Patrick Seale. Zitiert in: Patrick Seale, Asad – The Struggle for the Middle East, London 1990, S. 392.
  20. Stephan Green, Living by the Sword. America and Israel in the Middle East, Vermont 1988, S.168.
  21. Siehe auch die Zahlen, die Robert Fisk in Pity the Nation, s.o. veröffentlicht hat (S. 350 FN).
  22. Siehe Michael Schwarz, in: Junge Welt, 12.08.2002.
  23. Morris, Victims…, S. 635. Zuvor hatte Rafi Eitan schon Rabins Regierung als „Judenrat“ beschimpft.
  24. Chomsky, Triangle…S. 543.
  25. Siehe Baruch Kimmerling, Politizid, Ariel Sharons Krieg gegen das palästinensische Volk, München 2003.
  26. Bashir Abu Manneh: Koloniale Abkoppelung. INAMO Nr. 44, Winter 2005, S.35-38.
Quelle: INAMO NR. 32, Winter 2002, Jahrgang 8, Seiten 27-31.


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