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Instabile Lage

Israelischer Geheimdienst warnt vor Raketen im Südlibanon. Mit der neuen Regierung in Tel Aviv dürften sich die Beziehungen weiter verschlechtern

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Der alte Mann strahlt: »Ich wohne in Soest, genauer gesagt in Wickede-Ruhr. Meine Frau hier neben mir und meine vier Kinder, wir sind alle Deutsche«. In Beirut angekommen, schält er sich im Flugzeug aus dem Sitz, um dann seiner Frau zu helfen. Seit 30 Jahren leben sie in Wickede-Ruhr. Nun sei er Rentner und würde die Sommermonate mit seiner Frau in ihrem Dorf verbringen. »Im Süden liegt es, in der Nähe von Bint Jbeil.«

Während des Sommerkrieges 2006 zwischen Israel und Libanon, wurde Bint Jbeil von den israelischen Streitkräften nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Mit großzügiger finanzieller Unterstützung wurden der Ort und die anderen Dörfer entlang der Grenze zu dem »unfreundlichen Nachbarn im Süden« wieder aufgebaut. »Ja«, lacht der alte Libanese, »unser unfreundlicher Nachbar, Israel«. Jeden Tag könne er dort hinübersehen aus seinem Dorf: »Wir sehen alles.« Fast fünf Monate will das Ehepaar bleiben. »Die gute Luft, die Stille«, lächelt die Frau des Libanesen. »Nur die Vögel sind zu hören.«

Beim israelischen Geheimdienst sieht man die Lage im Süden Libanons weniger entspannt. Die Hisbollah habe ein »massives Raketenarsenal in den Dörfern im südlichen Libanon aufgebaut«, sagte ein namentlich nicht genannter Geheimdienstler ausgewählten US-amerikanischen Medienvertretern vor wenigen Tagen. Man schätze die Anzahl der Raketen auf 100.000. Die meisten davon hätten eine geringe Reichweite, hinzu kämen mehrere tausend Mittelstreckenraketen, die auch Tel Aviv erreichen könnten. Hunderte weitere Raketen seien in der Lage, das gesamte Israel zu treffen. Um die Angaben zu untermauern, zeigte er den Journalisten Satellitenbilder, die mit roten Markierungen Raketenwerfer, Waffendepots, Tunnel und Kommandostellungen zeigen sollten. Etwa 200 Dörfer im Südlibanon seien zu »militärischen Stützpunkten« ausgebaut worden.

Mit der erst letzte Woche bestätigten israelischen Regierung dürfte das Verhältnis der beiden Länder nicht einfacher werden. Die Riege neuer Minister repräsentiert den konservativen, religiös orientierten Teil der israelischen Siedlergesellschaft, der sich unversöhnlich gegenüber den Palästinensern und den anderen arabischen Nachbarn zeigt. Als erste Amtshandlung wurde ein Gesetzeszusatz verabschiedet, wonach die neue Regierung Netanjahu nicht mehr als 18 Minister haben soll. Fünf Ressorts, darunter auch das Außenministerium, bleiben bis auf Weiteres unter der Kontrolle des Premiers.

Kommentatoren und Oppositionspolitiker wie der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Yitzhak Herzog, haben dem rechtslastigen Kabinett ein frühes Scheitern vorausgesagt. Offenbar ist sich auch Netanjahu selbst nicht sicher, ob die von ihm zusammengestellte »Zirkustruppe« (Zitat Yitzhak Herzog) zusammenhalten wird. In der Knesset war die Regierung am Donnerstag vergangener Woche mit nur 61 von 120 Stimmen bestätigt worden.

Im Amt blieben Verteidigungsminister Moshe Yaalon und Transportminister Yisrael Katz, beide von Netanjahus Likud-Block. Katz wird zudem das Geheimdienstministerium mit übernehmen. Yuval Steinitz (Likud), der dieses Amt zuvor hatte, wird neuer Energieminister und soll zudem die israelische Position gegenüber dem Iran und dessen Atomprogramm vertreten. Sowohl Katz als auch Steinitz werden dem mächtigen Sicherheitskabinett angehören.

Wirtschaftsminister wurde Aryeh Deri, Vorsitzender der ultraorthodoxen Schas-Partei. Deri war im Jahr 2000 wegen Korruption, damals als Innenminister, verurteilt worden und blieb 23 Monate inhaftiert. Das Justiressort wird von der juristisch unerfahrenen Ayelet Shaked aus der Siedlerpartei »Das Jüdische Haus« übernommen. Shaked hat angekündigt, die weitreichenden Befugnisse des Obersten Gerichtshofs »reformieren«, also einschränken zu wollen. Yoav Galant von der als sozial-konservativ geltenden Kulanu-Partei, der 2010 Oberkommandierender der Streitkräfte werden sollte, wird das Bauministerium leiten. Den Posten als oberster Soldat trat Galant nie an, weil bekannt wurde, dass er illegal versucht hatte, sich Land anzueignen, das um seine Luxusvilla lag.

Die Koalitionsvereinbarungen der neuen Regierung sind vage. Man wolle sich darauf konzentrieren, den Wettbewerb zu erhöhen und die Lebenshaltungskosten zu senken, heißt es. Die Regierung wolle »den diplomatischen Prozess fortsetzen und sich bemühen, eine Friedensvereinbarung mit den Palästinensern und allen unseren Nachbarn zu erreichen«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015


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