Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Israel schafft Fakten

Das Land plant, von Energielieferungen unabhängig zu werden und künftig Erdgas zu exportieren. Der Streit um die großen Vorkommen im östlichen Mittelmeerraum dauert an

Von Karin Leukefeld *

Nach eigenen Angaben hat die US-Firma Noble Energy im Auftrag Israels in der vergangenen Woche mit Jordanien einen 15-Jahresvertrag über die Lieferung von Erdgas abgeschlossen. Laut Abkommen wird Israel an den arabischen Nachbarn Gas im Wert von 11,4 Mil­liarden Euro (15 Milliarden US-Dollar) verkaufen. Quelle des fossilen Brennstoffs ist das Leviathan-Feld, das 2010 in 130 km Entfernung vor der Küste Israels entdeckt wurde. Ab 2016 soll der geförderte Brennstoff Noble Energy zufolge an die Nationale Energieversorgungsgesellschaft (NEPCO) Jordaniens geliefert werden. Die Reserven in Leviathan werden auf 18,9 Trillionen Kubikfuß geschätzt, etwa 535 Milliarden Kubikmeter. Drei israelische Fördergesellschaften teilen sich die Ausbeutung des Feldes, Noble Energy hält einen Anteil von 40 Prozent. Die Nachrichtenagentur AFP, die am Wochenende über den Vertrag berichtete, zitiert eine ungenannte israelische Quelle mit den Worten, der Vertrag sei »geopolitisch wichtig für Israel, um unsere Beziehungen mit Jordanien und anderen arabischen Ländern zu begründen«.

Ein weiterer Abnehmer soll Zypern werden, dem ein Teil der Ausbeute aus dem Leviathan-Feld zusteht. Im August 2013 unterzeichneten Nikosia und Tel Aviv ein Memorandum über die geplante Ausbeutung. Gleichzeitig begann Israel Verhandlungen mit der Türkei über den Bau einer Pipeline nach Europa, die aber aufgrund der abgekühlten Beziehungen beider Staaten wegen der Lage in Gaza keine Fortschritte machen. Die bauliche Umsetzung einer solchen Unterwasserpipeline wird als schwierig eingestuft; zudem lehnt Zypern Verhandlungen mit der Türkei ab. Nikosia, Hauptstadt der Republik Zypern, sieht die Türkei als Besatzungsmacht von Nordzypern. Die türkische Armee hatte den Norden der Insel 1974 besetzt und systematisch mit Bevölkerung aus Anatolien besiedelt.

Seit 1999 hat Israel neun Felder im östlichen Mittelmeer gefunden, die es ausbeuten will. Bisher bezieht das Land sein Gas aus Ägypten. Anschläge auf die über die Sinai-Halbinsel verlaufenden Leitungen haben in den letzten Jahren wiederholt zu empfindlichen Ausfällen geführt.

Die beiden größten bisher erschlossenen Felder sind Leviathan und Tamar. Die hat sich Israel ohne weitere Rücksprache mit anderen Anrainerstaaten angeeignet. Während Leviathan für den Export ausgebeutet werden soll, könnte Tamar die Energieversorgung Israels selbst sichern. Aus dem Export erhofft sich das Land in den nächsten 20 Jahren rund 60 Milliarden US-Dollar Einnahmen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bereits die Aufstellung einer militärischen Sondereinheit zum Schutz der Gasfelder angeordnet.

Weitere, bisher aber nicht erschlossene Vorkommen gibt es im gesamten östlichen Mittelmeerraum vor dem palästinensischen Gazastreifen, vor den Küsten Libanons und Syriens. Auch Ägypten fordert seinen Anteil. Während die anderen Staaten ihre maritimen Wirtschaftszonen noch nicht eindeutig abgesteckt haben, hat Israel mit Hilfe US-amerikanischer Fördergesellschaften Fakten geschaffen. Libanon, das sich formal mit Israel im Krieg befindet, hat Widerspruch zu den israelischen Begehrlichkeiten eingelegt und sich bei den Vereinten Nationen beschwert, daß Tel Aviv sein Gebiet überdehnt. Ägypten gibt an, daß das Leviathan-Feld näher an der ägyptischen Hafenstadt Damietta liege als an Haifa und daher Ägypten zustehe. Grundlage des Anspruches ist die Unterwasserscheide, auf der sowohl die Gasfelder als auch der ägyptische Landsockel liegen.

Wie andere Öl- und Gasförderstaaten in der Region will Israel Geschäfte mit Westeuropa machen, einer der energiehungrigsten Industriezonen der Welt, die ihren Bedarf derzeit vor allem aus Rußland deckt. Marktanalysen 2013 gingen noch davon aus, daß über Moskau im Jahr 2020 etwa die Hälfte der europäischen Gaslieferungen abgedeckt würden. Angesicht des aktuellen Konfrontationskurses dürften Alternativlieferanten Brüssel willkommen sein. Nach Einschätzung des israelischen Instituts für Politik und Strategie in Herzliya könnte die EU ihre Gasabhängigkeit von Rußland um 25 Prozent abbauen und hätte in Israel für die nächsten 50 Jahre einen »zuverlässigen« Ersatzlieferanten.

Die größten bekannten Öl- und Gasvorkommen der Welt befinden sich in den Golfstaaten und im Iran. Katar hat mit der Produktion von Flüssiggas (LNG) derzeit die führende Stellung auf der Welt inne. Vor wenigen Jahren, als die Beziehungen zwischen Syrien und Katar sehr eng schienen und die gesamte Region sich in einem ökonomischen Aufwind befand, brachte das Emirat die Wiedereröffnung der Transarabischen Pipeline ins Spiel, die 1947 als Gemeinschaftsprojekt westlicher Ölfirmen gebaut worden war. 1950 ging sie in Betrieb und sollte Öl vom Persisch-Arabischen Golf durch Saudi-Arabien und Syrien nach Sidon im Libanon pumpen, um die teuren und langen Transporte durch den Suezkanal zu umgehen. Die politischen Entwicklungen führten schließlich zu einer Schließung der Pipeline. Die 2005 diskutierte Wiederinbetriebnahme hätte die Transportkosten allein für Rohöl um 40 Prozent gesenkt.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 10. September 2014


Zurück zur Israel-Seite

Zur Israel-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Erdöl-/Erdgas-Seite

Zur Erdöl-/Erdgas-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage