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Gesellschaft in Geiselhaft

Israel geht mit massiver Gewalt gegen Palästinenser vor. Mehr als 750 Wohnungen durchsucht und teilweise verwüstet. Über 300 Festnahmen

Von Karin Leukefeld *

Seit dem Verschwinden von drei israelischen Jugendlichen vor einer Woche geht Israel auf allen Ebenen mit massiver Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung vor. Die beiden 16jährigen Naftali Frenkel und Gilad Shaar und der 19jährige Eyal Yifrach waren unweit der Siedlung Gush Etzion beim Trampen verschwunden. Nach Polizeiangaben soll einer der Jugendlichen sich unmittelbar danach telefonisch bei der Polizei gemeldet und erklärt haben, »entführt« worden zu sein. Zur Identität der »Entführer« gibt es keine Angaben. Völkerrechtlich gilt die Siedlung, in der die Jugendlichen verschwanden, als illegal, weil sie auf besetztem Land der Palästinenser erbaut wurde. Gush Etzion liegt zwischen Bethlehem und Hebron in einem von der israelischen Besatzungsbehörde als »Gebiet C« bezeichneten Territorium, das vollständig von der israelischen Armee kontrolliert wird.

Die israelische Regierung beschuldigt die Hamas, die Jungen entführt zu haben. Die Organisation weist die Anschuldigung zurück. Die Knesset-Abgeordnete Haneen Zoabi (Balad-Partei) brachte die Entführung der Jugendlichen mit der Unterdrückung durch die israelischen Besatzungstruppen in Verbindung. In einem Interview mit Radio Tel Aviv sagte sie, es sei nicht verwunderlich, wenn Palästinenser die Jugendlichen entführt hätten. Die Palästinenser lebten in »unnatürlichen Umständen, wo Israel die Menschen täglich entführt und festnimmt«. Die Palästinenser seien keine Terroristen, sondern »ein Volk, das keinen anderen Ausweg sieht, um seine Lage zu ändern. Sie werden gezwungen sich so zu verhalten, bis Israel ein Einsehen hat, bis es das Leid der anderen sieht und spürt.« Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman nannte Zoabi daraufhin eine »Terroristin«, die das gleiche »Schicksal wie die Entführer« der Jugendlichen ereilen werde. Der israelische Schriftsteller Avraham Burg äußerte sich in einem Beitrag in der Tageszeitung Haaretz dagegen ähnlich wie Haneen Zoabi. Unter dem Titel »Die Palästinenser: Gesellschaft in Geiselhaft« schrieb Burg: »Wir sind unfähig, das Leid einer Gesellschaft, ihren Schrei und ihre Zukunft zu verstehen, einer Nation, die von uns gewaltsam entführt worden ist.«

Die israelischen Besatzungskräfte haben seit dem Verschwinden der Jugendlichen mehr als 750 Wohnungen durchsucht, wobei es teilweise zu erheblichen Verwüstungen in den Räumen kam. Der Leiter der Palästinensischen Gefangenenhilfsorganisation in Hebron, Amjad Al-Najjar, sagte, daß mehr als 300 Personen festgenommen wurden. 52 der Festgenommenen sind demnach ehemalige Gefangene, die in einem Gefangenenaustausch für den israelischen Soldaten Gilad Shalit im Oktober 2011 freigekommen waren. Elf der Verhafteten sind Mitglieder des palästinensischen Parlaments. Die Stadt Hebron sowie weite Teile des südlichen Westjordanlandes wurden abgeriegelt.

In der Nacht zum Donnerstag bombardierte die israelische Luftwaffe erneut Ziele im Gazastreifen. Vier israelische Panzer haben Augenzeugenberichten zufolge am vergangenen Mittwoch landwirtschaftlich bewirtschaftetes Land bei Khan Younis im südlichen Gazastreifen niedergewalzt. Sieben palästinensische Familien wurden obdachlos, als ihre Häuser in Al-Khader bei Bethlehem von der israelischen Armee niedergewalzt wurden. Auch ein Brunnen des Ortes wurde von den israelischen Militär-Bulldozern zerstört. Weitere vier Häuser und zwei Ställe wurden südlich von Hebron zerstört. Nach israelischen Angaben waren die Gebäude ohne Genehmigung von den Palästinensern gebaut worden. Israel erteilt in den besetzten Gebieten Baugenehmigungen nur für Siedlungen.

Zeitgleich mit der Zerstörung der palästinensischen Häuser wurde denn auch der Bau von 170 weiteren Wohneinheiten für Siedler im von Israel besetzten Ostjerusalem genehmigt. Im Mai erst hatten EU-Vertretungen in Jerusalem und Ramallah Israel aufgefordert, die Zerstörung von palästinensischen Häusern in der »C-Zone« einzustellen. Das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) hat seit Anfang 2014 den Abriß von 248 palästinensischen Häusern und Gebäuden dokumentiert. Dabei wurden 492 Personen obdachlos. Seit der völkerrechtswidrigen Besetzung des Westjordanlandes durch Israel 1967 haben die Besatzungstruppen etwa 27000 palästinensische Wohnungen dem Erdboden gleichgemacht.

* Aus: junge Welt, Freitag 20. Juni 2014

Israelischer General spricht Klartext: Es geht um Hamas **

"Hoch über Tel Aviv, in einem der oberen Stockwerke, laufen die Fäden der Militäroperation zusammen ...Umringt von drei Telefonen sitzt ein hoher Offizier ... an seinem Schreibtisch und zieht eine erste Bilanz: 'Wir wissen nicht, wo die drei sind', sagt er, 'aber wir glauben, die Gegend zu kennen.' Dann malt er zwei Kreise auf ein leeres Blatt Papier und sagt: 'Wir operieren auf zwei Ebenen.' Der kleine Kreis, erklärt er, stehe für die Suche nach den Entführten. Beim großen Kreis dagewgen gehe es um ein viel umfassenderes Ziel: 'Das ist der Kampf gegen die Hamas.'
(...) Die Entfüphrung wird zum Anlass genommen für eine groß angelegte Aufräumaktion. 'Wir sind entschlossen, die Hamas zu bekämpfen, wo immer sie zu finden ist', sagt der Offizier - und kündigt an, dass dieser Einsatz auch so schnell nicht enden wird. 'Die Kampagne gegen die Hamas hat nicht erst letzten Freitag begonnen, und sie wird weitergehen, auch wenn die vermissten Jungen gefunden werden.'"

** Aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung ("Die Keil-Strategie") vom 21. Juni 2014; [Autor: Peter Münch].

Und so stellt die israelische Armeeführung die Hamas dar (Wortlaut):

Entführungen der Hamas: Eine ständige Bedrohung für Israel ***

Die jüngste Entführung von drei israelischen Jugendlichen durch die Hamas stellt nicht den ersten Versuch dar, unschuldige Israelis zu entführen. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben palästinensische Terrororganisationen 64 Entführungen geplant. IDF und die israelischen Sicherheitskräfte haben alle diese Versuche vereitelt, aber Entführungen bleiben zentrales Element der Bemühungen der Hamas, Israel zu terrorisieren.

Hamas-Terroristen machen Jagd auf ahnungslose Tramper, versuchen sie in die Nähe von Autos zu locken und zu verschleppen. Das Ziel ihrer Bemühungen ist klar: Zivilisten oder Soldaten als Verhandlungsmasse für die Freilassung der verurteilten palästinensischen Terroristen zu benutzen. In anderen Fällen versuchen die Terroristen, innerhalb israelischer Gemeinden unschuldige Zivilisten zu ermorden und ihnen Angst einzuflößen.

Eine Geschichte der Hamas Entführungen

Im Jahr 2006 haben Hamas-Terroristen Israel infiltriert, zwei Soldaten getötet und einen dritten entführt, SFC Gilad Shalit. Die Organisation hielt Shalit bis 2011 in Gefangenschaft, als sich Israel bereit erklärte, 1027 verurteilte Terroristen für seine Freilassung auszutauschen. Im Jahr 1994 entführt die Hamas Sgt. Nachshon Wachsman mit der Absicht, ihn gegen Terroristen auszutauschen. Die Hamas-Aktivisten ermordeten Sgt. Wachsman, während die israelischen Streitkräfte versuchten, ihn aus der Gefangenschaft zu befreien. Zwei Jahre zuvor entführte die Hamas Sgt. Maj. Nisim Toledano, einen Grenzpolizisten, auf seinem Weg zur Arbeit. Sgt. Maj. Toledanos Entführer ermordeten ihn schließlich, seine Leiche wurde zwei Tage später gefunden.

Im September 1989 entführten zwei Hamas-Terroristen, verkleidet als religiöse Juden, Sgt. Avi Sasportas. Israelische Ermittler gehen davon aus, dass er nur wenige Augenblicke nachdem er in ihr Auto geschleppt wurde, brutal ermordet wurde. In einem ähnlichen Fall, später in jenem Jahr, entführten Hamas-Terroristen Cpl. Ilan Saadon. Er versuchte, gegen seine Entführer zu kämpfen, dennoch erschossen sie ihn und warfen seine Leiche auf einen Schrottplatz.

Israelische Sicherheitskräfte haben zwar die große Mehrheit der Entführungsversuche verhindert, aber die Terroristen unternehmen weiterhin erhebliche Anstrengungen, Entführungen durchzuführen.

Im September 2013 lockte ein palästinensischer Terrorist Sgt. Tomer Hazan, einen IDF-Soldaten, in ein Dorf im Westjordanland. Der Terrorist ermordete Sgt. Hazan und gestand, dass er geplant hatte, die Leiche des Soldaten zu benutzen, um die Freilassung seines Bruders, der wegen der Beteiligung an mehreren Terroranschlägen inhaftiert ist, zu erpressen.

Die Israel Secruity Agency verhinderte im letzten Jahr eine Entführung, als sie eine Zelle des Islamischen Jihad festgenommen hat. Nach der Festnahme der Terroristen fanden die Sicherheitskräfte Ski-Masken, Klebeband, ein Teppichmesser und eine Pistole in deren Besitz. Die Zelle, die finanzielle Unterstützung und Training von Terroristen aus Jenin erhalten hatte, hatte eindeutig eine Entführung vorbereitet.

Anfang des letzten Jahres waren Hamas-Aktivisten aus dem Gazastreifen mitten in der Vorbereitung, einen israelischen Soldaten zu entführen. IDF-Truppen verhafteten sie im Februar 2013 und fanden heraus, dass sie planten, einen Soldaten zu überfahren und dann in einem Auto zu verstauen.

Entführungen sind eine ständige Bedrohung für die Sicherheit der israelischen Zivilbevölkerung. Eyal, Gilad und Naftali sind die drei aktuellsten unglücklichen Opfer des kriegerischen Terrorismus und die IDF bleibt in Alarmbereitschaft, um zu versuchen, diese Angriffe zu verhindern.

>*** (IDF Blog, 16.06.14); Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 19.06.2014




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