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Gauck: Wir dulden Antisemitismus nicht

Bundespräsident lobt Beziehungen Deutschlands zu Israel / Präsident Riviln: "Wunderbare Partnerschaft" / Ex-Botschafter Primor: Müssen "offen, ehrlich und kritisch miteinander sein" *

Berlin. Anlässlich des 50. Jahrestags der bilateralen diplomatischen Beziehungen hat Bundespräsident Joachim Gauck gemahnt, die Erinnerung an die Verfolgung und Vernichtung der Juden unter der NS-Herrschaft dürfe »niemals verblassen«. Leider gebe es immer noch Antisemitismus in Europa. »Die antisemitischen Ressentiments und antijüdischen Aggressionen in Teilen Europas bereiten mir natürlich sehr große Sorge«, sagte Gauck. Auch Deutschland habe bei Demonstrationen im vergangenen Jahr »einen teils als Kritik an Israel verbrämten, teils offenen Antisemitismus erlebt: neben einem 'traditionellen' Antisemitismus sehen wir uns verstärkt mit Antisemitismus aus Zuwandererfamilien konfrontiert«, warnte Gauck.

Gauck appellierte an die Bürger, Antisemitismus offen entgegen zu treten. »Hier ist ein jeder von uns in jedem Moment gefordert, deutlich zu sagen: Wir wollen keinen Antisemitismus und wir dulden ihn in Deutschland nicht.«

Zugleich würdigte er die Beziehungen Deutschlands zu Israel, die »enger denn je« seien. Der Bundespräsident sagte, er wünsche den Menschen in Israel, »dass ihr Land künftig sicher und in Frieden mit seinen Nachbarn leben kann. Dazu gehört für mich auch, einen friedlichen Weg für das Zusammenleben mit den Palästinensern zu finden. Grundlage dafür ist eine Zwei-Staaten-Lösung, davon bin ich überzeugt.«

Allerdings hatten sich am ersten Tag des Staatsbesuchs des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin in Berlin am Montag deutliche Differenzen offenbart. Neben Gauck hatte sich auch Kanzlerin Angela Merkel klar für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten ausgesprochen. Rivlin lehnt zusammen mit der neuen rechts-religiösen Regierung in Tel Aviv unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen eigenen Palästinenserstaat ab.

Rivlin bezeichnete Deutschland unterdessen als führende Demokratie in der internationalen Gemeinschaft. »Deutschland ist heute ein Leuchtturm der Demokratie in der Welt«, sagte Rivlin in einem Interview mit der »Bild«-Zeitung und der israelischen Zeitung »Jedioth Ahronoth«. Viele Menschen könnten dabei »an dieser wunderbaren Reise aus der dunklen Geschichte in eine bessere Zukunft« teilhaben. Die heutige starke und enge Freundschaft beider Länder beruhe darauf, dass Deutschland seine Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit übernommen habe, fügte Rivlin in dem Interview hinzu.

Die Erinnerung an den Holocaust sei trotz der mittlerweile guten Beziehungen immer präsent. »Sie werden gewiss keinen Juden in der Welt finden, der beim Thema Deutschland nicht an den Holocaust denkt«, sagte Rivlin. Doch aus der Asche der Vergangenheit hätten Deutsche und Israelis in vielen Bereichen wie Medizin und Wirtschaft eine »wunderbare Partnerschaft erblühen lassen«.

Israels früherer Botschafter in Deutschland, Avi Primor, hat die Deutschen zu einer kritischeren Haltung gegenüber seinem Land aufgefordert. »Zu einer dauerhaften Freundschaft gehört, dass man offen, ehrlich und kritisch miteinander umgeht, doch das fehlt bislang in unserem Dialog«, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Die Deutschen seien wegen des Holocausts noch immer gehemmt gegenüber Israel und äußerten Kritik deshalb nur verhalten, besonders mit Blick auf die Politik in den besetzten Gebieten und gegenüber den Palästinensern.

Gegenüber »nd« sagte Primor, er habe der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel vor 50 Jahren anfangs ablehnend gegenübergestanden. »Für mich war Deutschland ein Land, mit dem es keine Beziehung geben dürfte«, sagt er. »Ich war der Ansicht, dass man einen ewigen Bann gegen Deutschland verhängen sollte. Ich begriff nicht, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in unserem Interesse war.« Wie Primor dachte seinerzeit die Mehrheit der Israelis. »Wir wollten weder deutsche Waren noch Waffen und auch kein Geld von der Bundesrepublik«, kommentiert der Diplomat die Ablehnung auch des Wiedergutmachungsabkommens von 1952. Es sei der Autorität des damaligen Premiers Ben-Gurion zu verdanken, dass sich das Verhältnis zwischen den beiden Staaten allmählich normalisierte.

Wegen des Jubiläums der diplomatischen Beziehungen hält sich Rivlin derzeit zu einem Besuch in Deutschland auf. Am Montag traf er Gauck, für Dienstag standen unter anderem Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf dem Programm.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Mai 2015


Kritische Worte statt Kriegsgerät

Linke zu Israel **

Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Annette Groth, sagte am Dienstag anlässlich des dreitägigen Besuchs des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin in Berlin:

Neben der Erinnerung an 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel ist es absolut unerlässlich, dass Präsident Gauck, Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier gegenüber dem israelischen Staatspräsidenten deutliche Worte in bezug auf die skandalösen und kriegstreiberischen Äußerungen aus der neuen israelischen Regierung finden.

Benjamin Netanjahu hat erst letzte Woche bekanntgegeben, dass er sich mit der Siedlerpartei von Naftali Bennet und den strengreligiösen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum auf eine rechts-religiöse Koalition geeinigt hat. Mit Bennets Partei »Unser Jüdisches Haus« haben die Siedler nun das Erziehungs- und Justizministerium in ihrer Hand. Justizministerin wird Ayelet Shaket, die während des Gazakrieges im Sommer 2014 dazu aufrief, alle Palästinenser zu töten – auch die palästinensischen Mütter, denn sie seien es, die »neue Schlangenkinder« auf die Welt bringen würden. Israel hat also nun eine Justizministerin, die zum Genozid aufgerufen hat. Wer dagegen nicht laut protestiert, macht sich mitschuldig. Alle demokratischen Regierungen müssen solche menschenverachtenden Hassreden auf das schärfste verurteilen!

Zwar hat Benjamin Netanjahu seine kurz vor den Knesset-Wahlen gemachte Aussage, mit ihm werde es keinen palästinensischen Staat geben, offiziell wieder zurückgenommen. Seine Politik und insbesondere der beschleunigte Siedlungsbau zielen aber seit Jahren darauf ab, eben diesen Staat, den übrigens auch Reuven Rivlin ablehnt, zu verhindern. Netanjahu ist damit absolut auf Linie mit seinen neuen Koalitionspartnern, denn insbesondere für Naftali Bennet, der sich wiederholt für eine Annexion des Westjordanlandes ausgesprochen hat, und seine Partei kommt eine Zweistaatenlösung ohnehin nicht in Frage.

Auch außenpolitisch ist nichts Gutes zu erwarten: Der israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon hat in aller Deutlichkeit gesagt, dass die israelische Armee auch in kommenden Kriegen gegen den Gazastreifen und/oder den Libanon viele Zivilisten und explizit auch viele Kinder töten werde. Darüber hinaus schloss er einen israelischen Atomwaffenangriff auf den Iran »ähnlich wie in Hiroshima und Nagasaki« explizit nicht aus.

(…) Als enger Verbündeter Israels muss sich die deutsche Regierung dafür einsetzen, dass endlich Konsequenzen aus den massiven Menschenrechtsverletzungen an der palästinensischen Bevölkerung gezogen werden. Ein erster Schritt wäre die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens, bis sich die israelische Regierung endlich an dessen Artikel 2, die Einhaltung der Menschenrechte, hält.


Israel kauft vier deutsche Kriegsschiffe im Wert von 430 Millionen Euro. Der Rüstungsdeal wird seitens der Bundesregierung mit 115 Millionen Euro Steuergeldern »bezuschusst«. Dazu erklärte am Dienstag der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Wolfgang Gehrcke:

Waffenlieferungen in den Nahen Osten schaffen keinen Frieden, sondern zerstören Sicherheit. Sie begründen keine Freundschaft, sondern ermuntern die Regierung Netanjahu, uneingeschränkt weiter die Zweistaatenlösung zu torpedieren. Aber nur die Zweistaatenlösung mit einem lebensfähigen demokratischen Staat Palästina ist die Voraussetzung für Sicherheit und Frieden auch für Israel. Dieser Vertragsabschluss ist in doppelter Hinsicht ein falsches Signal. Die harsche Ablehnung der berechtigten Forderungen nach ernsthaften Friedensverhandlungen mit neuen Waffenlieferungen zu beantworten, hat nichts mit Freundschaft zu tun und stört neue Gespräche erheblich. (…)




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