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Eine Sperranlage, aber keine Grenze

Israel beginnt mit dem umstrittenen Bau eines Zauns zum Westjordanland. Neue "chinesische Mauer"?

Was lange angekündigt war, wurde am 16. Juni 2002 begonnen: Der Bau eines "Verteidigungswalls", eines "Schutzzauns" oder wie man auch immer dieses neue Instrument israelischer Sicherheitspolitik nennen will. Die mehr als 110 Kilometer lange Anlage soll nach Angaben der israelischen Armee vom nördlichen Westjordanland bis nach Kfar Kassem bei Tel Aviv reichen. Damit will Israel das Eindringen von palästinensischen Selbstmordattentätern in sein Kernland verhindern. Der palästinensische Kommunalminister Sajeb Erakat warf Israel vor, durch den Bau des Zaunes "vollendete Tatsachen schaffen" zu wollen. "Er macht alle abgeschlossenen Verträge zunichte und verwandelt das Westjordanland in Kantone", warnte der Politiker. Das Wort vom "Bantustan" macht wieder die Runde.

Die Arbeiten an dem umstrittenen elektronischen Sperrzaun, der zusätzlich mit Kameras, Wachtürmen, Gräben und Hindernissen gesichert wird, sollen ein Jahr dauern und rund 940.000 Euro pro Kilometer kosten. Nach den Worten von Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser soll die Schutzanlage aber nicht die künftige politische Grenze zu den Palästinensergebieten markieren. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon erklärte, "die Bedingungen für die Errichtung eines wie auch immer gearteten palästinensischen Staates sind noch nicht reif". Nach einem heftigen Streit innerhalb seines Kabinetts kündigte Scharon an, dass sich das Sicherheitskabinett am kommenden Mittwoch mit dem Bau des Zaunes beschäftigen werde. In einer offiziellen Stellungnahme der Palästinensischen Autonomiebehörde hieß es am Sonntag, Israel wolle durch den Bau des Zauns die Grenze zum Westjordanland "zu seinen Gunsten verändern". Der Gaza-Streifen ist bereits durch einen Sperrzaun von Israel getrennt. Nach Angaben der israelischen Armeeführung ist es dort seit Ausbruch der Intifada nur einem Dutzend Palästinensern gelungen, nach Israel zu gelangen.

Der Baubeginn war von zahlreichen Protesten begleitet. Interessant, dass nicht nur die israelische Friedesnbewegung und die Palästinenserbehörde protestierte, sondern dass der Bau auch bei jüdischen Siedlern und rechtsgerichteten israelischen Politikern teilweise auf Ablehnung stößt. Während die Palästinenser eine weitere Enteignung ihres Landes und eine Vorwegnahme der Grenzziehung zu ihren Lasten befürchten (einschließlich einer Zerschneidung des Landes in verschiedene Teile), sehen rechtsextreme Israelis die "Gefahr", dass mit der Grenzziehung Fakten geschaffen würden, die auf eine künftige palästinensische Staatsbildung hinausliefen, was diese Kräfte gern verhindern wollen.

Hans Lebrecht befasst sich in seinem Wochenbericht vom 16. Juni ebenfalls mit dem Bau des Schutzwalls.


Neue chinesische Mauer

Von Hans Lebrecht


Nun hat das israelische Verteidigungs Establishment mit dem Bau eines so genannten Verteidigunswalles gegen palästinensische Terroranschläge auf israelischem Gebiet begonnen. Beim Bau dieser 110 Km langen Mauer und Stacheldrahtverhaue mit elektronischer Sicherung werden nicht etwa, oder jedenfalls nur wenige israelische Arbeitskräfte beschäftigt, um damit die in die Höhe schießende Anzahl von Arbeitslosen (gegenwärtig bei 10.7 Prozent der zivilen Arbeitskräfte) zu verringern. Am Bau des "Walles" werden hauptsächlich billige Fremdarbeiter aus Thailand und China beschäftigt werden. Dies hat dazu geführt, dass im israelischen Volksmund und einigen Medienorganen vom "Bau einer neuen chinesischen Mauer" geredet wird - "zwei Jahrtausende nach der originalen chinesischen Mauer und 13 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer".

Nach offizieller israelischer Ansicht soll diese Mauer, deren Bau über ein Jahr in Anspruch nehmen wird, lediglich der so weit als möglichen Verhinderung von, aus den besetzten paläsinensischen Gebieten kommenden Terroristen, welche Anschläge innerhalb von Israel vorhaben, ihr Ziel zu erreichen. Aber bereits wird dazu, auch aus maßgebenden Kreisen der Armee und anderen "Sicherheitsdiensten" festgestellt, dass auch so ein Wall, obwohl mit den modernsten Abwehrsystemen ausgerüstet, die Infiltrierung von fanatischen Selbstmördern nicht vollständig verhindern könne.

Obwohl die Mauer entlang, d.h. auf der östlichen, palästinensischen Seite der 1949 festgelegten Waffenstillstandslinien (der "Grünen Linie") errichtet werden wird, wird von den israelischen Regierungssprechern eindeutig betont, diese Mauer stelle auf keinen Fall eine Festlegung der zukünftigen Grenze zwischen Israel und Palästina dar. Sie sei ausschließlich nur zur Sicherung Israels und seiner Bevölkerung gedacht. Zum Beispiel, der Minister für die innere Sicherheit und Polizei, Uzi Landau, wie auch sein Kollege, der Minister für Kommunikation Reuven Rivlin, betonen tagaus, tagein, dass Israel auch weiterhin sowohl diesseits als auch jenseits dieser Mauer seine volle Macht ausüben werde.

Die rabiaten rechtsextremistischen Sprecher der Siedlerkolonisten trauen ihren eigenen Führern in der Regierung nicht. Sie betonen demgegnüber, nicht eine Mauer, welche sie physisch von dem israelischen Mutterland trennen werde, sei notwendig, um die Sicherheit Israels und der "zionistischen Besiedlung des Landes" zu wahren, sondern man solle Mauern und Stacheldrahtverhaue rund um alle und jede palästinensische Stadt und Dorf anlegen, "damit die Terroristen nicht erst aus ihren Schlupfwinkeln herauskriechen können". So die "Yescha" Union der Siedungen in Jehuda, Samaria und Gaza (die offizielle isaelische Bezeichnung für die besetzten palästinensischen Gebiete).

Einige Leitartikel und Analysen in den wichtigsten israelischen Presseorgnen stellen fest, dass die Mauer Israel nicht hermetisch abschließen könne und Terroranschläge nur bedingt einschränken werde. Die nun begonnene Errichtung dieses Schutzwalles sei eher eine psychologische Therapie gegen die in Israel in Erscheinung getretene Angst vor Selbstmordanschlägen. "Kein Schutzwall kann die Sicherheit Israels so gut sichern, wie die Alternative dazu, nämlich Verhandlungen mit den Palästinensern um eine friedliche Lösung des Konflikts, welche allerdings von Israel wehtuende Kompromisse zu schließen erfordert, wie z.B., die Besetzung Palästinas aufzugeben und die illegal errichteten jüdischen Siedlungen zu verlassen", heißt es in der einflussreichen Tageszeitung Ha'aretz. Die eineinhalb Milliarden Dollar, welche für den Bau der Mauer von dem sowieso strapazierten und auf wirtschaftlichen Notstand getrimmten Staatshaushaltes seien nicht zu verantworten und besser zur Linderung der rapide wachsenden Not zehntausender von Familien, damit zur Verteidigung der Kaufkraft und zur Ankurbelung der Arbeitsbeschaffung anzulegen, betont eine weitere Analyse im Wirtschaftsteil der Zeitung Yediot Aharonot.

Die Führung der arabischen (Minderheiten) Bevölkerung in Israel protestierte gegen die Errichtung des Schutzwalles. Er trage in sich weitere Beschlagnahmen von arabischen Ländereien und isoliere zahlreiche arabisch-palästinensische Orte von ihren natürlichen Nachbarn und Familienbanden, ja sogar errichte Mauern und Stacheldraht innerhalb verschiedener arabischer Städte und Ortschaften. Das könne doch keinesfalls einer friedlichen Lösung des Konflktes, oder der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens dienen, heißt es in einer Verlautbarung des Monitorkomitees der über eine Million zählenden (19 Prozent aller israelischen Bürger) arabischen Bevölkerung.

In seinem wöchentlichen Kommentar betont der bekannte Publizist und Gush-Schalom Friedensaktivist Uri Avneri, "der Schutzwall wird den Frieden nicht näher bringen; er ist keine Alternative zum Frieden. Die Bauherren des Walles behaupten doch, es gebe auf palästinensischer Seite keinen Partner für Frieden, weil sie (die israelische Regierungs Bauherren) den Preis für Frieden nicht bezahlen wollen. Der Schutzwall wird das Gefängnis für die Palästinenser weiter befestigen."

Kibbutz Beit-Oren, 16. Juni 2002


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