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Regierungsbildung wird zum Politkrimi

Israelische Politik steckt in einer tiefen Parteienkrise

Von Oliver Eberhardt *

Sieben Wochen nach der Wahl steht Israel vor der Bildung einer Regierung aus Rechtskonservativen, Nationalisten und Zentrum. Fortschritte in den Verhandlungen mit den Palästinensern sind damit nicht zu erwarten, dafür aber kontroverse Veränderungen bei der Sozialhilfe, beim Wehrdienst und am Wahlsystem.

Bis zur letzten Minute wurde gerungen. Gekämpft. Während die Medien bereits am Mittwochabend vermeldeten, die Regierung sei nun in trockenen Tüchern, verschob man immer wieder ein letztes Treffen. Stattfinden sollte es zwischen dem designierten Premier Benjamin Netanjahu (Likud/Jisrael Beitenu), der auch das Amt des Außenministers übernehmen soll, solange Avigdor Lieberman vor Gericht steht, und den Vorsitzenden der potenziellen Koalitionspartner Jesch Atid (19 Sitze), Jair Lapid (Finanzminister), und der nationalistischen HaBajit HaJehudi (12 Sitze), Naftali Bennett (Handelsminister). Als am Donnerstagnachmittag endlich die Unterschriften unter den Koalitionsvertrag gesetzt werden sollten, weigerte sich Bennett jedoch plötzlich: Netanjahu habe die Vereinbarung verletzt, da er keine stellvertretenden Minister ernenne.

Ein Zitterpartie, die sich auch im politischen Tagesgeschäft fortsetzen dürfte. Denn worauf man sich im Laufe dieses Politkrimis einigte, ist auf viele Weisen kontrovers: Da ist die Frage der Dienstpflicht für ultraorthodoxe Juden und israelische Araber, zwei Bevölkerungsgruppen, die seit der Staatsgründung vom Wehrdienst freigestellt waren. Künftig sollen auch sie einen Dienst ableisten. 1800 Studenten in religiösen Institutionen können im Jahr befreit werden; alle anderen müssen spätestens mit 21 Jahren zum Dienst antreten, besagt die Vereinbarung. Wer das nicht tut, verliert bis zum 28. Lebensjahr den Anspruch auf die staatliche Unterstützung, die Ultraorthodoxen bisher das Studium überhaupt erst ermöglichte.

Die religiösen Parteien, die zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht an der Regierung beteiligt sind, kritisieren: Ein Teil der Gesellschaft zwinge damit einer anderen Bevölkerungsgruppe den eigenen Lebensstil auf. Sie kündigen heftigen Widerstand an, bei dem sie auch auf Teile von Netanjahus Likud-Block zählen können. Indem die neue Regierung den einst von Staatsgründer David Ben Gurion geschlossenen Kompromiss zwischen Säkularen und Religiösen aufkündige, gefährde sie den gesellschaftlichen Frieden, kritisiert beispielsweise Mosche Feiglin, Netanjahus wichtigster parteiinterner Widersacher.

Für zusätzlichen Ärger sorgt schon jetzt die Vereinbarung, jene Beihilfen, die bislang vor allem mit den Ultraorthodoxen in Verbindung gebracht werden, zugunsten von finanziellen Erleichterungen für die Mittelschicht zurückzufahren. Dies allerdings wird grundsätzlich alle kinderreichen Familien treffen - und damit auch die Wählerschaft von Likud/Jisrael Beitenu, die zu einem erheblichen Teil in der von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Peripherie lebt.

Die dritte kontroverse Vereinbarung zielt derweil direkt auf die politische Vertretung kleiner Bevölkerungsgruppen ab: Durch eine Erhöhung der Wahlhürde von zwei auf vier Prozent sollen die Zersplitterung der politischen Landschaft eingedämmt und die Regierungsbildung erleichtert werden.

Bei dieser Wahl hätte das bedeutet, dass keine der drei arabischen Parteien im Parlament vertreten wäre. 11,29 Prozent der Stimmen wären damit zusätzlich unter den Tisch gefallen - mit allen Parteien, die es nicht über zwei Prozent schafften, sogar 17,64 Prozent.

Im Friedensprozess mit den Palästinensern hingegen ist unter dieser Regierung nicht mit Fortschritten zu rechnen. Zwar wird die künftige Justizministerin Zipi Livni von der zentristischen HaTnuah, mit der schon vor Wochen ein Koalitionsvertrag unterzeichnet worden war, auch für Verhandlungen mit der palästinensischen Führung zuständig sein. Doch HaBajit HaJehudi, deren Wähler überwiegend jüdische Siedler im Westjordanland sind, hat ausgeschlossen, selbst einen Baustopp in den Siedlungen mitzutragen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. März 2013


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