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Netanjahu gibt sich siegessicher

Koalitionsbildung könnte schwierig werden / 34 Parteien und Listen stellen sich den Wählern

Von Oliver Eberhardt *

Gibt es eine Wahl? Wenn man sich Premierminister Benjamin Netanjahu anschaut, könnte man meinen, es gäbe keine. Und schon gar nicht morgen. Unbekümmert macht der Mann das, was israelische Regierungschefs eben so machen: Kabinettssitzungen abhalten, Kindergärten besuchen, ab und zu mal wieder vor der iranischen Gefahr warnen. Wahlkampf? Keine Spur! Wenn sich jemand äußert, dann sind es die Leute vom Kampagnenteam seines Parteienbündnisses, eines Zusammenschlusses aus Netanjahus Likud-Block und der rechten Jisrael Beitenu (Unser Haus Israel) des vor einigen Wochen zurückgetretenen Außenministers Avigdor Lieberman.

»Das ist, als würde man sich den Piepton eines Testbildes anhören, um zu schauen, wie lange man es aushält«, klagt ein Likud- Abgeordneter, »Diese Arroganz ist unerträglich.« Denn es heißt, Netanjahu sei der sichere Gewinner der morgigen Parlamentswahl, die Rechte werde eine haushohe Mehrheit einfahren. Und genau so benimmt sich das Team Netanjahus.

Die Realität ist eine andere: Ja, so wie es jetzt aussieht, dürfte Likud- Beitenu die stärkste Fraktion werden. Ja, Netanjahu dürfte deshalb mit der Regierungsbildung beauftragt werden. Doch ob er seine Wunschregierung wird bilden können, ist ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, ob er am Ende tatsächlich Premierminister wird.

Die Wähler werden morgen nur die Zusammensetzung des Parlamentes bestimmen. Wie sich die künftige Regierung zusammensetzt und welche Politik sie betreiben wird, das wird erst Tage, möglicherweise sogar Wochen nach der Wahl feststehen.

Und ob es eine rein rechts-religiöse Regierung sein wird, ist sehr fraglich. Denn Likud-Beitenu befindet sich trotz der prognostizierten Stärke in einer tiefen Krise. Die 32 Sitze, die das Bündnis den Vorhersagen zufolge erringen wird, werden sehr viel weniger sein als die 42 Mandate beider Parteien in der gegenwärtigen Knesset. Am rechten Rand werden die siedlerfreundliche HaBajit HaJehudi (Das jüdische Heim) und die nationalistische Otzma LeJisrael (Kraft für Israel) Stimmen kosten, wobei letztere wegen ihrer Nähe zur jüdischen Terrororganisation Kach als »unkoalierbar « gilt. Auch eine Koalition mit dem Jüdischen Heim dürfte schwierig werden, denn dessen Chef Naftali Bennett hat erhebliche persönliche Probleme mit Netanjahu, dem er einst als Bürochef diente. Die Differenzen sind noch sehr viel größer geworden, seit Bennett Anfang der Woche während einer Fernsehsendung sagte, er habe damals einen »Kurs in Terror bei Sara Netanjahu belegt «. Die Ehefrau des Regierungschefs gilt als ebenso exzentrisch wie aufbrausend.

Doch Netanjahu scheint ohnehin eine ganz andere Variante im Auge zu haben: Eine Koalition aus Likud-Beitenu, den religiösen Parteien und einer der Parteien im Zentrum. Dort treten mit der »Bewegung « (HaTnuah) der ehemaligen Außenministerin Zipi Livni und der Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) des Fernsehmoderators und ehemaligen Boxers Jair Lapid gleich zwei neue Gruppierungen an, die offen in alle Richtungen sind. Dagegen wird die Partei Kadima (Vorwärts), die einst in Person Ehud Olmerts den Ministerpräsidenten stellte und 2009 noch 28 Sitze bekam, nur noch mit sehr wenigen Mandaten oder gar nicht mehr in der Knesset vertreten sein.

Vor allem Jesch Atid ist interessant für Netanjahu: Die Partei hat keine nennenswerte Plattform oder gar Forderungen – ein idealer Partner also für eine Koalition, in der Netanjahu dominiert. Aber nur dann, wenn Likud-Beitenu in die Nähe von 40 Sitzen kommt.

Bei allem, was darunter liegt, wird es dagegen eng: Zipi Livni steht einer Koalition kritisch gegenüber. Die traditionsreiche Arbeitspartei unter Shelly Jachimovitsch, die zweitstärkste Kraft werden dürfte, hat eine Beteiligung an einer Regierung Netanjahu ebenso ausgeschlossen wie die linksliberale Meretz. Da käme eine völlig andere Option ins Spiel: ein gemeinsamer Kandidat von Linken und Zentrum könnte versuchen, mit Hilfe einer religiösen Partei eine Mehrheit zu bilden.

Insgesamt 34 Parteien und Listen stellen sich den Wählern, 13 davon waren bisher in der Knesset vertreten.

* Aus: neues deutschland, Montag, 21. Januar 2013


Linke zersplittert und zerstritten

Arabische Parteien sind für Shelly Jachimowitsch »keine Partner«

Oliver Eberhardt **


Vor den Parlamentswahlen befindet sich Israels Linke in einer Krise: Zerstritten und zersplittert, hat sie Schwierigkeiten, sich in der gegenwärtigen Situation im Nahen Osten zu verorten. Stattdessen wird mit Macht versucht, sich alle Optionen offen zu halten - auf Kosten des Programms.

Es war ein dramatischer Moment, wie man ihn in Israel liebt: Zipi Livni hatte gerade in die Kamera gesagt, dass sich die Spitzen der linken und zentristischen Parteien dringend auf eine gemeinsame Linie einigen müssten und dass sie offen für Gespräche sei - »jederzeit, überall«. Und schon piepste, mitten in der Livesendung, ihr Telefon. Shelly Jachimowtisch, Vorsitzende der Arbeitspartei, hatte eine Nachricht geschickt: Man möge sich doch bitte so bald wie möglich treffen. Doch die Zusammenkunft Livnis mit Jachomwitsch und Jair Lapid, dem Chef der zentristischen Jesch Atid, verlief wenige Tage später im Sande.

Und das, obwohl es nur um eine einzige Sache gegangen war: ob sich die drei Parteien darauf einigen könnten, eine Koalition mit dem derzeitigen Regierungschef Benjamin Netanjahu auszuschließen. Denn wie es aussieht, werden alle drei Parteien zusammen mehr Mandate bekommen als die Netanjahu-Liste Likud-Beitenu. Gemeinsam mit den ultraorthodoxen Parteien wäre sogar eine Mehrheit drin - die Religiösen sind nicht von Werk aus rechts.

Es sind Momente wie dieser, die ein grelles Licht auf die Probleme der Linken und des Zentrums werfen. Kitschige Dramatik und Hochglanzdesign haben eindeutige Positionierung ersetzt: So heißt Livnis junge Partei »Die Bewegung - geführt von Zipi Livni«. Lapids ebenfalls sehr junge Gruppierung nennt sich »Es gibt eine Zukunft«. Doch wohin man sich bewegt, welche Zukunft erstrebt wird, das sind Fragen, die man nicht beantworten kann: Livnis »Bewegung« hat bisher nur ein paar hundert Mitglieder und ein nur wenige Seiten dickes Programm, dessen Hauptbestandteil die Forderung nach der Ausweitung des Recycling ist. Was allerdings immer noch besser ist als das Programm der Lapid-Partei: Sie hat überhaupt keins.

Das Zentristische, das sich beide Parteien auf die Fahnen schreiben, leitet sich - wie bei der mit dem politischen Tode ringenden Kadima - daraus ab, dass diese Gruppierungen Sammelbecken für einstige Politiker von Likud und Arbeitspartei sind.

Diese Entwicklung hat der Arbeitspartei heftig zugesetzt: Durch die zeitweilige Beteiligung an der Regierung Netanjahus unter dem Vorsitzenden und Verteidigungsminister Ehud Barak, der mittlerweile seine eigene Partei unterhält, hat sie in den Augen der Wähler an Profil eingebüßt. Ihre Abgeordneten werden als Stimmvieh angesehen. Dazu kommt, dass Baraks Nachfolgerin Jachimowitsch die Partei in die Mitte rücken wollte und dafür einen erheblichen Teil der Werte über Bord gekippt hat. So ist das Verhältnis zur Gewerkschaft Histadruth extrem angespannt, seit sich Jachimowitsch für Einschnitte in die Arbeitnehmerrechte ausgesprochen hat. Und auf die Frage, was mit Palästina geschehen soll, antwortet sie ausweichend. Auf die immer öfter zu hörende Forderung der Basis, man sollte endlich einmal auch arabische Parteien, die stets an die zehn Sitze einnehmen, in eine Regierung einbinden, sagt sie nur, das seien keine Partner. Derzeit sind drei arabische Parteien in der Knesset vertreten: die Demokratische Front für Frieden und Gleichheit (Chadasch, 3 Sitze), die Nationale Demokratische Versammlung (Balad, 3 Sitze) und die Vereinigte Arabische Liste (4 Sitze).

Dem Drang in die Mitte verweigert sich nur noch die kleine Meretz-Partei: Keine Koalition mit Netanjahu, soziale Gerechtigkeit und sofortige Verhandlungen mit den Palästinensern, heißt es dort. Und man fühle sich wohl in der Opposition, so lange es niemanden gibt, der auf diese simplen Forderungen eingeht. Oliver Eberhardt

** Aus: neues deutschland, Montag, 21. Januar 2013

Lexikon: Israels Wahlrecht

Eine Wahlnacht im Mai 1996, fast acht Monate nach der Ermordung Yitzhak Rabins: Ins Bett ging man mit dem Gedanken, der Sozialdemokrat Schimon Peres werde neuer Regierungschef. Am Morgen erfuhr man jedoch, Premierminister sei nun der rechte Benjamin Netanjahu. Das kann 2013 nicht mehr geschehen. Die Direktwahl des Premiers wurde bald wieder abgeschafft. Seit 2003 werden nur noch für das Parlament Stimmen abgegeben.

Wahlberechtigt sind alle Staatsbürger Israels ab 18 Jahren. Mehr als 15 Prozent der rund 5,5 Millionen Wahlberechtigten kommen aus arabischen oder drusischen Dörfern und Städten (850 000 arabische Israelis). Doch die wenigsten Wähler in den besetzten Gebieten der Golanhöhen, im Westjordanland und Ostjerusalem machen von ihrem Recht Gebrauch.

Die Parteien, die die Zwei-Prozent- Hürde übersprungen haben, werden zusammengezählt und durch 120 geteilt. Daraus ergibt sich die Stimmenzahl, die für einen Sitz nötig ist. Da dies nie genau aufgeht, können einzelne Gruppierungen mit anderen Parteien über die Aufteilung der überzähligen Stimmen verhandeln. Kommt kein Deal zustande, gehen die überschüssigen Stimmen zurück in einen Topf, aus dem sie nach einem komplizierten Schlüssel auf die Parteien aufgeteilt werden. Deshalb verändern sich die Fraktionsstärken häufig noch Tage nach der Wahl.

Nach der Wahl beauftragt der Staatspräsident meist den Chef der größten Fraktion mit der Regierungsbildung, wofür eine Frist von 21 Tagen gilt, die um 21 weitere Tage verlängert werden kann. Bleiben die Bemühungen erfolglos, kann der Präsident Neuwahlen anordnen oder einem anderen Politiker den Auftrag erteilen. Eine Mehrheit der Abgeordneten kann dem Präsidenten aber auch selbst einen Personalvorschlag unterbreiten, den er akzeptieren muss. Dieser Kandidat hat allerdings nur 14 Tage für die Koalitionsbildung.

Reguläre Neuwahlen stehen alle vier Jahre an – mit einer Besonderheit: Sie haben am dritten Dienstag des Monats Cheschwan stattzufinden. Das wäre in diesem Jahr der 22. Oktober. Da das derzeitige Parlament außerplanmäßig am 10. Februar 2009 gewählt wurde, hätte die Legislaturperiode also vier Jahre und acht Monate gedauert. Aber Regierungen schöpfen das Maximum nie ganz aus. Lieber beraumen sie, wie in Großbritannien, Neuwahlen an, wenn die Vorzeichen günstig zu sein scheinen. liv




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