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Ewig am Jordan

Washington fordert dauerhafte israelische »Militärpräsenz« in besetzten Gebieten

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung unterstützt die Verewigung der israelischen Militärkontrolle über das Jordantal. Das ist das Fazit der jüngsten Vorschläge Washingtons in den seit fünf Monaten laufenden »Friedensgesprächen« zwischen Israel und dem hilflos taktierenden Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas, der schon seit vier Jahren kein demokratisches Mandat mehr hat. Noch nie zuvor hat sich eine US-amerikanische Regierung so einseitig die Forderungen Israels zu eigen gemacht. Führende palästinensische Politiker kritisieren, daß das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat von Washington bewußt geopfert werde, um die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel jemals hatte, zu etwas mehr Toleranz gegenüber dem Genfer Interimsabkommen mit dem Iran zu veranlassen.

US-Außenminister John Kerry, der die »Friedensgespräche« als rasender Diplomat moderiert und kaum noch einen Tag hat, an dem er nicht stundenlang mit Israels Premier Benjamin Netanjahu sprechen muß, hatte am Donnerstag und Freitag voriger Woche in Jerusalem und Ramallah ein Paket mit Ideen zur israelischen »Sicherheit« vorgestellt. Nach Kerrys Aussagen handelt es sich um die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe von rund 160 »Experten« und Regierungsangestellten. Das Gremium hatte unter Leitung von Marinegeneral John Allen – bis zum Februar 2013 Oberkommandierender in Afghanistan – monatelang sämtliche von einem künftigen Palästinenserstaat ausgehenden »Bedrohungen« und die daraus resultierenden »Sicherheitsbedürfnisse« Israels untersucht.

Das Resultat der Studie gilt zwar als geheim, doch haben palästinensische Politiker zentrale Bestandteile an die Medien weitergegeben. Diesen Darstellungen zufolge soll Israel mindestens zehn oder 15 Jahre nach Abschluß eines »Friedensvertrags« die militärische Kontrolle über alle Außengrenzen eines pseudosouveränen palästinensischen Gemeinwesens auf der Westbank behalten. Anscheinend wird demnach in dieser »Übergangsphase« nicht einmal formal von einem Staat die Rede sein. Der US-Vorschlag beinhaltet insbesondere die fortdauernde Stationierung israelischer Streitkräfte im Jordantal. Diese soll durch ein von den USA zu lieferndes und zu bezahlendes Netz von hochmodernen Radarsystemen und anderen Überwachungsanlagen ergänzt werden. Israel würde daneben auch die Kontrolle über den gesamten Luftraum der Westbank behalten.

Unklar ist, ob Kerrys Vorschlag auch die Stationierung von NATO-Truppen im Jordantal vorsieht und welchen Status diese gegebenenfalls hätten. Tel Aviv lehnt solche Ideen grundsätzlich ab. Angeblich hat Kerry als Kompromißmöglichkeit angedeutet, daß die ­NATO-Truppen unter »israelische Kontrolle« gestellt werden könnten.

Es ist allerdings so gut wie ausgeschlossen, daß Israel nach Ablauf irgendeiner vereinbarten Frist freiwillig seine Truppen aus dem Jordantal abziehen würde. Ganz sicher würden die USA ihren »unverbrüchlichen Verbündeten« dazu nicht zwingen wollen. So ist denn im Kerry-Vorschlag angeblich nur die Rede davon, daß die »Übergangsvereinbarungen« nach zehn oder 15 Jahren »überprüft« werden sollen.

Nicht nur bei den über diese Zumutungen offenbar völlig schockierten Palästinenserpolitiken – lediglich Abbas schweigt beharrlich – sind die von Kerry übermittelten »Ideen« auf Ablehnung gestoßen, sondern auch bei Israels Regierung. Man werde überhaupt kein Abkommen akzeptieren, bei dem man nicht absolute »Bewegungsfreiheit« auf der gesamten Westbank behält, sagte Verteidigungsminister Mosche Jaalon. Tel Aviv ist am Jordantal nicht wegen seiner vorgeschobenen »Sicherheitsbedürfnisse« interessiert, sondern wegen dessen existentiell wichtigen Wasservorkommen und der damit verbundenen Landwirtschaft. Daran geht der Kerry-Vorschlag weit vorbei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. Dezember 2013


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