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"Der Schwanz kann auch mit dem Hund wedeln"

US-Präsident Obamas starke Worte in Richtung Israel sind nicht viel mehr als Gerede. Ein Gespräch mit Michael Warschawski


Michael Warschawski lebt in Jerusalem. Er ist ­Marxist, Antizionist und Mitbegründer des Alternative Information Center (AIC). Seine Analysen erscheinen u.a. in Le Monde diplomatique, ZNetund Monthly Review. Wegen Unterstützung der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) wurde er 1989 zu 20 Monaten Gefängnis verurteilt.

Wie beurteilen Sie die vor einigen Tagen von US-Präsident Barack Obama verkündeten Leitlinien der US-Politik insbesondere zur Palästina-Frage? Sind die Differenzen zwischen Washington und Tel Aviv ernst zu nehmen?

Die Forderung, Israel solle sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen, dient offenkundig dazu, die arabischen Staaten und deren Bevölkerung zufriedenzustellen. Obama will offenbar signalisieren, daß die USA nicht bedingungslos hinter Israels Politik stehen. Dessen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat diese Forderung dann unverblümt abgelehnt – wahrscheinlich hat die US-Regierung auch darauf gehofft.

Was bedeutet das?

Worte kosten nichts. Ich gehe jede Wette ein, daß die USA und ihr Präsident bei der nächsten Gelegenheit Israel wieder beistehen werden – Netanjahu und Co. brauchen nur auf der internationalen Bühne um praktische Unterstützung zu bitten. Man muß auch kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um zu erkennen, daß zwischen Obama und Netanjahu eine Koordination sowie eine Art Arbeitsteilung stattfinden: Der eine spricht sich gegen israelische Siedlungen in Palästina aus, und der andere baut sofort 1400 neue Wohnungen in einer dieser Siedlungen.

Das Gerede von der angeblichen Krise zwischen Israel und den USA ist also nur Propaganda?

Meines Erachtens kann nur dann von einer Krise die Rede sein, wenn Washington Sanktionen gegen Tel Aviv verhängt, zum Beispiel die Militärhilfe für mehrere Monate aussetzt. Aber auch das muß nicht viel heißen: 1991 zum Beispiel fror US-Präsident George Bush senior. vom Kongreß zugesagte Bankbürgschaften im Wert von 13 Milliarden Dollar ein, weil sich der damalige Likud-Ministerpräsident Yitzhak Shamir weigerte, einen Baustopp für die Siedlungen zu verkünden. Das Geld blieb solange in den USA, bis Shamir stürzte und durch eine von Arbeitsparteichef Yitzhak Rabin geführte Regierung ersetzt wurde.

Druck aus den USA ist also durchaus möglich. Es ist allerdings sehr zweifelhaft, daß Obama eine solche Möglichkeit nutzen wird. Seine markanten Statements sind nichts weiter als eine Ablenkung davon, daß die USA Israel in der UN-Generalversammlung im September wieder einmal unterstützen werden.

Es bleibt also alles beim alten?

Absolut nicht. In dieser Region treten mittlerweile neue Akteure auf wie China, Indien und Brasilien, zudem mischt auch Rußland nach fast zwei Jahrzehnten wieder mit. Darauf müssen die USA weitsichtig reagieren, um ihre Vormachtstellung zu bewahren. Selbst ein neokonservativer Politiker wie Netanjahu begreift, daß sich die Lage nicht zu Israels Gunsten entwickelt. Er wird wohl zu dem Schluß kommen, daß er keine andere Wahl hat, als nach bewährter Methode auf eine neue militärische Konfrontation zu setzen. Daran allerdings ist die US-Regierung am allerwenigsten interessiert. Wie gesagt, Obama wäre durchaus in der Lage, die extremste Regierung in der Geschichte dieses Landes zu zügeln. Aber wir sehen manchmal: Der Schwanz kann auch mit dem Hund wedeln.

Welche Auswirkungen hat in diesem Kontext die neu gewonnene Einheit der Palästinenser?

Für Israel ist dieser Zusammenschluß eine Niederlage, schon weil die Entscheidung der neuen ägyptischen Regierung, die Grenze zum Gazastreifen wieder zu öffnen, de facto die verbrecherische Belagerung von 1,5 Millionen Menschen in Gaza beendet. Interessant ist übrigens, daß die viel gerühmten israelischen Geheimdienste am meisten von dem Abkommen zwischen Fatah und Hamas überrascht waren.

Und welche Auswirkungen haben die Aufstände im arabischen Raum?

Die arabische Revolution verändert die Kräfteverhältnisse in der gesamten Region. Die Palästinenser werden davon profitieren, wenn ihre Führung die Einheit wahrt und eine umfassende Offensive für die Anerkennung der palästinensischen Rechte startet.

Der erste Schritt wird die UNO-Generalversammlung sein. Hier müssen die palästinensischen Spitzenpolitiker ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, die Versuche der US-Regierung zu vereiteln, Israel eine weitere diplomatische Niederlage zu ersparen.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 31. Mai 2011


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