Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ernsthafte Fortschritte wird es nicht geben"

Keine Hoffnung auf Frieden durch Regierungsbildung in Israel. Ein Gespräch mit Zeev Sternhell

Zeev Sternhell ist Professor für Politikwissenschaften in Jerusalem, Faschismusforscher und »Peace Now«-Aktivist. Ende September 2008 verübten vermutlich rechtsradikale Zionisten einen Bombenanschlag auf ihn



Nach dem Sieg des rechten Lagers bei den Knessetwahlen bleibt die Frage, ob Zipi Livnis Kadima oder Benjamin Netanjahus Likud die nächste Regierung bilden werden. Was meinen Sie?

Leider ist das ein strukturelles Problem der israelischen Demokratie, daß durch die mangelnde Eindeutigkeit des Systems in einer Situation wie der jetzt entstandenen sowohl Netanjahu als auch Livni die Möglichkeit zur Regierungsbildung läßt. Weder der eine noch die andere können aber eine Regierung präsentieren, die den Herausforderungen, vor denen Israel steht, wirklich gewachsen ist. Unser Wahlsystem hat den Vorzug, daß es allen Teilen der Gesellschaft Stimme verleihen will. Damit schafft es allerdings faktisch eine politische Zersplitterung, die fast nicht zu handhaben ist. In der Vergangenheit gab es Versuche mit der Direktwahl des Ministerpräsidenten. Die hat sich im Falle Israels allerdings auch als ungeeignet erwiesen. Ich denke, daß man Zwischenlösungen finden sollte, um die Anzahl der Parteien zu reduzieren. Nur sind dazu die Abgeordneten, die unter solchen Bedingungen um ihre Wiederwahl fürchten, natürlich nicht bereit.

Was bedeutet das Wahlergebnis vom 10. Februar für Israels Zukunft?

Was den Frieden mit den Palästinensern anbelangt, so wird es keine ernsthaften Fortschritte geben - egal, welche Regierung am Ende zustande kommt. Es wird immer diejenigen geben, die wollen, diejenigen, die nicht wollen, und diejenigen, die nicht können. Das ist traurig, andererseits ist es aber auch ein Spiegelbild der heutigen israelischen Gesellschaft: Sie weiß, daß sie große Probleme hat, kann sich aber nicht entscheiden, wer sie wie lösen soll. Die große Mehrheit will den Frieden, ist aber nicht bereit, eine Vollmacht auszustellen, um den notwendigen Preis dafür zu zahlen. Wir werden daher weiterhin gezwungen sein, in demselben kleinen Sumpf zu stecken, in dem nur sehr wenig Platz ist, und das ist besonders heikel, wenn man mit solch existenziellen Problemen zu kämpfen hat wie Israel.

Vor den Wahlen wurde ein Rückgang der Linken befürchtet, aber stattgefunden hat ein regelrechter Einbruch. Wie ist das zu erklären?

Was den (linkszionistischen - R.R.) Meretz anbelangt, so hat er einen schicksalsschweren Fehler begangen: Er wollte sich als »neue Bewegung« präsentieren, obwohl an ihm überhaupt nichts Neues ist und es sich mit Sicherheit auch nicht um eine Bewegung handelt. Die Wähler sahen keinen triftigen Grund, eine Partei zu wählen, die im besten Fall den Schwanz der Arbeitspartei bildet.

Und die Sozialdemokratie selbst?

Die Arbeitspartei zahlt weiterhin den Preis für den Verlust ihrer Identität und die Reduzierung der parlamentarischen Positionsrendite, die sich daraus ergab, daß man sie als die »Anti-Likud-Partei« betrachtete. Unabhängig von ihrer nicht zu bestreitenden Führungskrise zeigte die Wählerwanderung in den letzten Tagen vor der Abstimmung den Willen vieler Israelis, den Zuwachs der Rechten und insbesondere den von Liebermans Jisrael Beiteinu aufzuhalten. Mittlerweile wird nicht mehr die Labour Party als Bollwerk gegen die Rechte betrachtet, sondern Zipi Livnis Kadima. Aber mal ganz abgesehen vom Bedauern über den Einbruch der Linksparteien muß ich sagen, daß die Überlegung der Wähler durchaus logisch ist.

Inwiefern?

Die Stärkung der Kadima war in der aktuellen politischen Konjunktur der einzige Weg, um Netanjahu in Schwierigkeiten zu bringen und ihm fast jede Regierungsalternative zu nehmen, die ausschließlich die Rechte umfaßt. Im Grunde war das ein intelligentes Kalkül und zeigt eine gewisse Reife der linken Wähler, die es vorgezogen haben, die Kräfte mehr in die Mitte zu verlagern und dort zu konzentrieren, um die von Netanjahu repräsentierte Rechte einzudämmen. Für diesen taktischen Schachzug hat die Arbeitspartei den höchsten Preis bezahlt.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2009


Zurück zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage