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Israel verstärkt Siedlungsausbau

Palästinenserführung empört / EU verlangt Rücknahme des Beschlusses / Bei Tel Aviv neue Rakete getestet *

Die Europäische Union hat Israel zur Rücknahme seines Beschlusses zur Ausweitung des Siedlungsbaus in Ostjerusalem und im Westjordanland aufgefordert. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton appellierte am Mittwoch an die israelische Regierung, die Entscheidung über den Bau von 2000 neuen Wohnungen vom Dienstag rückgängig zu machen.

Die Hoffnungen auf eine baldige Fortsetzung der Nahostfriedensverhandlungen haben einen schweren Dämpfer erhalten. Als Reaktion auf die Aufnahme der Palästinenser in die UNESCO will der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Siedlungsausbau in Ostjerusalem und im Westjordanland noch beschleunigen. Trotz aller internationaler Kritik will Israel 2000 neue Wohneinheiten bauen. Die Palästinenser aber haben einen Siedlungsstopp zur Bedingung von Verhandlungen gemacht. Außerdem sollen Steuer- und Zollrückzahlungen vorerst nicht an die Palästinenser weitergeleitet werden. Das sagte ein Regierungssprecher. Es gehe um eine Zahlung von 100 Millionen Dollar.

Das Außenministerium in Berlin äußerte sich am Mittwoch besorgt über die Verhärtung der Positionen. Minister Guido Westerwelle ließ mitteilen, das Ziel eines Palästinenserstaates könne nur über Verhandlungen erreicht werden. »Es gibt keine Abkürzungen durch Aufnahmeanträge in internationale Organisationen, die an der Lage vor Ort nichts ändern«, stand in einer schriftlichen Mitteilung des Ministeriums. Deutschland hatte gegen die Aufnahme der Palästinenser in die UNESCO gestimmt. Zugleich hieß es aber in der Mitteilung: »Ebenso klar ist, dass die fortgesetzte Siedlungspolitik die Aufnahme von Verhandlungen erschwert«.

Die Palästinenserführung reagierte mit großer Empörung auf die Maßnahmen Israels. »Mit dieser Entscheidung wird das Ende des Friedensprozesses beschleunigt», sagte Nabil Abu Rudeineh, Sprecher von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah. Israel nehme die Entscheidung der UNESCO nur als Vorwand. »Der Ausbau von Siedlungen hat nicht aufgehört, bevor die UNESCO Palästina als Mitglied aufgenommen hat, und wird auch danach nicht aufhören«, sagte der Sprecher.

Israelische Medien berichteten derweil über angebliche Pläne eines Militärschlags gegen iranische Atomanlangen. Netanjahu bemühe sich im Kabinett um eine Mehrheit für eine solche Aktion, schrieb die Zeitung »Haaretz«. Mark Regev, Sprecher Netanjahus, wollte sich am Mittwoch nicht zu dem Thema äußern. »Wir kommentieren nicht jede Spekulation in der Zeitung.«

Israelische Medien haben in den vergangenen Tagen mehrfach über das Thema Iran und einen möglichen israelischen Angriff berichtet. Israel und westliche Länder behaupten, dass Iran an einer Atombombe baut. Israel fühle sich angesichts der feindseligen Haltung Teherans existenziell bedroht. Es gibt jedoch zahlreiche Stimmen, vor allem aus dem Geheimdienstbereich, die vor den gefährlichen Konsequenzen eines Militärschlags warnen.

Derweil haben die israelischen Streitkräfte haben am Mittwoch eine neue Rakete getestet. Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums in Tel Aviv teilte mit, man habe ein Raketenantriebssystem erfolgreich eingesetzt. »Der Test war schon lange geplant«, sagte der Sprecher. Das Geschoss sei von der Militärbasis Palmachim in der Nähe von Tel Aviv abgefeuert worden.

Der Repräsentant wollte sich nicht zu Medienberichten äußern, denen zufolge es sich um eine ballistische Rakete mit großer Reichweite handelt, die mit Nuklearwaffen bestückt werden kann. Der israelische Rundfunk berichtete, Israel habe in den vergangenen Jahren Raketen des Typs Jericho weiterentwickelt, die als Interkontinentalraketen gelten. Das System sei bereits 2008 erfolgreich getestet worden.

Das iranische Militär hat Israel vor einem möglichen Angriff gewarnt und zugleich mit schweren Konsequenzen gedroht. »Wir würden sie einen derartigen Fehler bedauern lassen und sie schwer bestrafen«, sagte Generalstabschef Hassan Firusabadi am Mittwoch nach Angaben der Agentur Isna. Er bezog sich dabei auf Berichte aus Israel, nach denen Netanjahu im Kabinett angeblich um Unterstützung für einen Angriff auf Ziele in Iran wirbt. »Sollte uns das zionistische Regime angreifen, dann werden auch die USA getroffen«, fügte Firusabadi hinzu.

* Aus: neues deutschland, 3. November 2011


Häuser schleifen

Israel reagiert mit Zerstörung von Wohnungen und forciertem Siedlungsbau auf UNESCO-Entscheidung

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Mit neuen Hauszerstörungen und der Ankündigung des Baus von 2000 neuen Wohnungen und Häusern für Siedler in Ostjerusalem hat die israelische Regierung auf die Aufnahme der Palästinenser in die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) reagiert. Mit einer Zweitdrittelmehrheit hatten die Delegierten dem Antrag der Palästinenser am Montag zugestimmt.

Während diese begeistert auf die Entscheidung reagierten und Aufnahmeanträge für weitere UN-Organisationen ankündigten, zerstörten israelische Soldaten am Montag morgen fünf Häuser in Khan Al-Ahmar in Ostjerusalem. Die Gebäude standen unweit der illegal von Israel errichteten Siedlung Maale Adumin. Das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD) teilte mit, daß durch die Zerstörung der Häuser 71 Personen obdachlos geworden seien, darunter 60 Kinder und Minderjährige. Die Vertreibung der Palästinenser aus Ostjerusalem sei Teil einer israelischen Politik, mit der sich die Regierung vermutlich Kriegsverbrechen schuldig mache, hieß es in einer Stellungnahme von ICAHD. Man beobachte einen »Prozeß der ethnischen Vertreibung«, sagte Rechtsanwalt Michael Sfard, der einen ausführlichen Bericht über die Vertreibung der Palästinenser vorgelegt hat. Israel verletze »nachhaltig und ernsthaft das Völkerrecht und zwar aus demographischen Gründen«, so Sfard. Ein Sprecher des israelischen Bürgermeisters von Jerusalem wies den Bericht über die systematischen Vertreibungen zurück. Er bestehe aus »irreführenden Fakten und krassen Lügen«, die den Vereinten Nationen sicherlich gefallen würden, sagte Stephan Miller mit einem Seitenhieb auf die UN. Die Weltorganisation und viele ihrer Nebenorganisationen haben die israelische Siedlungs- und Vertreibungspolitik immer wieder scharf kritisiert.

Am Tag nach der UNESCO-Entscheidung kündigten die USA an, daß sie ihre Zahlungen an die UN-Organisation bis auf weiteres einstellen würden. Der im November fällige Betrag von 60 Millionen US-Dollar werde nicht überwiesen, hieß es in Washington. Ob die Strafmaßnahme von Dauer sein wird, ließ man offen. Auch Israel erwägt offenbar eine Einstellung seiner Beitragszahlungen. Damit dürfte der Organisation im kommenden Jahr ein Viertel ihres Jahresetats fehlen.

Yigal Palmor, Sprecher des israelischen Außenministeriums, bezeichnete die Entscheidung der UNESCO als »Tragödie«. Diese und andere »einseitige Maßnahmen sollten Israel bei der UNO und im internationalen Rahmen vorführen«, die Palästinenser sollten lieber verhandeln.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte nach einer Kabinettssitzung am Dienstag abend an, man werde alle Geldüberweisungen an die palästinensische Autonomiebehörde (PA) vorübergehend einfrieren. Als Besatzungsmacht sammelt Israel Steuern auf Waren ein, die in die palästinensischen Gebiete importiert werden und überweist sie monatlich an die Autonomiebehörde. Der Betrag von etwa 100 Millionen US-Dollar macht 50 Prozent des palästinensischen Budgets aus. Nabil Abu Rudeina, Sprecher des Präsidenten der PA, sagte daraufhin, Israel stehle das Geld des palästinensischen Volkes.

Außerdem kündigte Netanjahu an, daß Israel alle Baumaßnahmen in Ostjerusalem und der besetzten Westbank beschleunigen werde, »die bei einer zukünftigen Vereinbarung mit den Palästinensern in israelischen Händen bleiben« würden. Derzeit leben rund 500000 israelische Siedler unrechtmäßig in den besetzten palästinensischen Gebieten. Sollte die UN-Vollversammlung für eine Vollmitgliedschaft der Palästinenser stimmen, hat Israel bereits angekündigt, Teile der besetzten Gebiete in der Westbank zu annektieren, wie das mit Ostjerusalem bereits völkerrechtswidrig geschehen ist. Die Palästinenser wollen hingegen, daß Ostjerusalem die Hauptstadt ihres zukünftigen Staates wird. Diese Absicht wird auch durch UN-Resolutionen bestärkt, die aber von Israel systematisch ignoriert und verletzt werden.

** Aus: junge Welt, 3. November 2011


Nicht oder gar nicht

Von Roland Etzel ***

Israel wird die Okkupation palästinensischen Bodens - in politischer Verniedlichung allgemein als Siedlungsausbau bezeichnet - jetzt verstärkt fortsetzen. Die Palästinenser hätten ja nicht hören wollen und sich die Mitgliedschaft in der UNESCO per Mehrheitsbeschluss der Organisation erzwungen. Das ist nun die Strafe, sagt Benjamin Netanjahu.

Wäre der israelische Ministerpräsident nicht ein so begnadeter Demagoge, müsste er wahrscheinlich selbst grinsen ob solcher Aussage, denn an diesen Zusammenhang glaubt natürlich niemand in der Politik. Ein so schlechtes Gedächtnis kann gar keiner haben. Im Sommer erklärte Netanjahu den Häuserbau auf Palästinenser-Land angesichts der Sozialproteste und hohen Grundstückspreise in Israel für notwendig; zu Jahresbeginn reklamierte er ein »natürliches Wachstum« der Orte wie in anderen Regionen der Welt auch; im vergangenen Jahr empörte sich der Premier gegen Proteste, man werde doch noch Schulen bauen dürfen.

Die Palästinenser wissen also sehr gut, dass so und so gebaut worden wäre - und dass es sich auch bei Teil zwei von Netanjahus Bestrafung, jetzt den Verhandlungsprozess einzufrieren, um reine Demagogie handelt. Schon bisher hat Israels ultrarechte Regierung jegliche Gespräche über die wesentlichen Streitpunkte - Siedlungsbau, Flüchtlinge, Grenzen - verweigert. Der Unterschied ist bei Lichte besehen also der, ob man nicht oder gar nicht verhandeln will.

*** Aus: neues deutschland, 3. November 2011 (Kommentar)


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