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Vertreibung durch Wohnungsbau

UN-Hilfsorganisation kritisiert israelische Siedlungspolitik

Von Karin Leukefeld *

Das israelische Innenministe­rium hat am Donnerstag (4. Aug.) den Bau von 900 neuen Wohneinheiten in einer Siedlung bei Ostjerusalem genehmigt. Gebaut werden sollen sie in Har Homa, das von den Palästinensern Abu Ghnaim genannt wird. Der Ausbau sei bereits vor zwei Jahren bewilligt worden, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Die Siedlung liegt unmittelbar neben Bethlehem in der von Israel besetzten Westbank und gilt deshalb nach dem Völkerrecht als illegal. Die israelischen Behörden betrachten sie jedoch als Teil des Jerusalemer Stadtgebiets.

Ostjerusalem wurde während des Sechstagekrieges 1967 von Israel besetzt und später völkerrechtswidrig annektiert. Inzwischen beansprucht die israelische Regierung ganz Jerusalem als »ewige, unteilbare« Hauptstadt eines jüdischen Staates. Heute leben in Ostjerusalem 200000 Israelis unter 270000 Palästinensern, während dort 1967 noch 660000 Palästinenser wohnten. In Siedlungen, die in der Westbank errichtet wurden, leben inzwischen mehr als 300000 Israelis.

Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP kritisierte Hagit Ofran, eine Sprecherin der israelischen Organisation Peace Now (Frieden Jetzt), die Baugenehmigung. Har Homa liege wie eine Barriere zwischen dem palästinensischen Ostjerusalem und Bethlehem. Die Siedlung zerstöre so den »territorialen Zusammenhang bei einer Zwei-Staaten-Lösung mit Ostjerusalem als palästinensischer Hauptstadt«. Seit Jahren habe die Regierung den Siedlungsbau forciert, anstatt in bezahlbaren Wohnraum in Israel zu investieren, kritisiert Ofran. Tausende seien gezwungen worden, »sich eine Wohnung auf der falschen Seite der Grünen Linie« (von 1967) zu suchen.

Es bestehe ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Ausbau von Siedlungen und der Zerstörung palästinensischer Wohnungen, kritisierte ebenfalls am Donnerstag Chris Gunness, Leiter der UN-Organisation zur Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge (UNRWA). Parallel dazu hätten gewaltsame Übergriffe israelischer Siedler zugenommen. »Die Palästinenser werden von dem Land ihrer Vorfahren vertrieben, damit sich die Siedler hier niederlassen können«, sagte Gunness der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan. Einer ­UNRWA-Statistik zufolge wurden allein im ersten Halbjahr 2011 exakt 356 Wohnungen und Wirtschaftsgebäude von Palästinensern zerstört, 700 Menschen wurden vertrieben. Im gesamten Jahr 2010 waren 431 Gebäude vom israelischen Militär zerstört und 594 Menschen vertrieben worden. Eine Fülle von Maßnahmen schränke zudem die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bevölkerung ein, Land würde beschlagnahmt und Palästinensern ihr Wohnrecht entzogen, kritisierte Gunness.

In einem anderen Fall hat Peace Now jetzt einen Erfolg erstritten. Israels Oberster Gerichtshof entschied am Freitag auf Antrag der Organisation, daß der Siedlervorposten Migron geräumt werden muß. Peace Now hatte den Antrag vor fünf Jahren eingereicht, nachdem der Vorposten 1999 auf palästinensischem Privatland nördlich von Jerusalem errichtet und seit 2001 stetig ausgeweitet worden war. Heute leben dort 250 Personen in 60 Gebäuden. Die Evakuierung der Siedler muß laut Gerichtsbeschluß innerhalb von acht Monaten erfolgen.

* Aus: junge Welt, 6. August 2011


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