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Grünes Licht für Landraub

Von Karin Leukefeld *

Israel darf weiter ungestört seine illegale Landnahme im Westjordanland und in Ostjerusalem fortsetzen. Der Versuch der USA, Tel Avivs großer Bruder in Übersee, einen dreimonatigen Baustopp für jüdische Siedlungen durchzusetzen, ist gescheitert. Das wurde am Mittwoch bekannt, nachdem ein Sprecher des State Department in Washington eingeräumt hatte, daß ein Angebot der USA an die Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu von dieser nicht angenommen worden war.

Vor vier Wochen war den Israelis ein spezieller Deal unterbreitet worden, vorgeblich um die festgefahrenen Gespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde wieder in Gang zu bringen: Washington würde zwanzig F-35-Kampfflugzeuge im Wert von etwa 2,3 Milliarden Euro liefern, wenn Tel Aviv im Gegenzug den Siedlungsbau für ein Vierteljahr aussetze. Zudem würden die USA den Nahost-Staat im Falle kritischer UN-Resolutionen mit ihrem Vetorecht verteidigen.

Das alles fruchtete nicht. Philip Crowley, Sprecher des US-Außenministeriums, räumte ein, daß die Baustopp-Verhandlungen mit Israel ergebnislos eingestellt worden seien. »Wir konnten keine feste Basis schaffen, um unserem gemeinsamen Ziel für ein Rahmenabkommen näherzukommen.« Noch im September hatte US-Präsident Barack Obama selbstbewußt vorgegeben, den Konflikt um die »Sicherheit Israels« und die »Festlegung der Grenzen« innerhalb eines Jahres zu lösen. Nun kündigte Crowley an, daß Verhandlungen erneut in weitere Ferne gerückt sind. Zunächst sollten »indirekte Gespräche« mit beiden Seiten »Vertrauen schaffen«, um so »direkte Verhandlungen wieder möglich« zu machen.

Der Siedlungsbau werde in Zukunft keine zentrale Rolle mehr spielen, meinte Crowley. Sein Geheimnis blieb, wie er die Palästinenser davon überzeugen will. Israel habe »ein Baumoratorium zurückgewiesen und damit auch die Chance auf Frieden in der Region«, sagte ein palästinensischer Regierungsvertreter am Mittwoch gegenüber AFP. Unterdessen bestritt ein Sprecher Netanjahus die Bedeutung der Baumaßnahmen. Diese seien »nicht Wurzel des Problems«, sondern »ein Vorwand« der Palästinenser, um nicht verhandeln zu müssen. Der stellvertretende israelische Parlamentssprecher Danny Danon lobte Netanjahu für seinen »Erfolg«, einen erneuten »störenden und nutzlosen« Siedlungsstopp abgewehrt zu haben.

Derzeit befinden sich 300000 jüdische Siedler im Westjordanland, 200000 leben in Ostjerusalem. Etwa 45 Prozent des palästinensischen Gebiets werden von Israel kontrolliert. Während die Palästinenser ihren zukünftigen Staat unter illegalen Baustellen Stück für Stück verschwinden sehen, fühlt sich die Regierung in Tel Aviv sicher. Zwar kritisierte EU-Außenamtssprecherin Catherine Ashton am Mittwoch, daß die Errichtung von Siedlungen »illegal« und das Verhalten Tel Avivs »bedauerlich« sei, doch zog sie keinerlei Konsequenzen.

Weder die EU noch die USA drohen dem Land wie in anderen Fällen von Völkerrechtsverletzung mit Sanktionen oder Eingreifen. Im Gegenteil, die Obama-Regierung weitete 2010 den bilateralen Handel aus und erhöhte die Militärhilfe massiv. Zuletzt wurden 205 Millionen US-Dollar an Israel für dessen Raketenabwehrschirm »Eiserner Dom« überwiesen. Ähnlich rasant entwickelten sich die ökonomischen und militärischen Beziehungen zwischen Tel Aviv und Brüssel.

* Aus: junge Welt, 9. Dezember 2010


Obama lahmt

Von Olaf Standke **

So langsam droht Barack Obama wohl doch zur »lame duck«, zur sprichwörtlichen lahmen Ente zu werden, ob nun innen- oder außenpolitisch. Erst kippte der USA-Präsident im Streit um Steuererleichterungen für die Reichen und Superreichen im angeblich eigenen Land Gottes um, und dann trat er bei der Friedenssuche fürs sogenannte Heilige Land resigniert den Rückzug an.

Washington will künftig auf ein Kernelement seiner Nahost-Politik verzichten und besteht nicht mehr auf den Baustopp für neue jüdische Siedlungen in den Palästinensergebieten, nachdem sich der wichtigste Verbündete in der Region einfach verweigert. Das ist ein herber Rückschlag für die israelisch-palästinensischen Verhandlungen und erstickt die ohnehin vagen Friedenshoffnungen in Nahost vielleicht vollends.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas jedenfalls spricht von einer schweren Krise. Und wenn man in Washington jetzt über eine »andere Taktik« nachdenken will, stellt sich die Frage, wo die eigentlich ansetzen soll, wenn Israel durch den Siedlungsbau seine schleichende Landnahme unbehelligt fortsetzt und vollendete Tatsachen schafft. Zur Konfliktberuhigung und einem lebensfähigen, souveränen palästinensischen Staat führt das mit Sicherheit nicht. Nicht nur in der Konfliktregion Nahost dürfte man sich fragen, was ein Vermittler USA auch unter Obama inzwischen überhaupt noch wert ist.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2010 (Kommentar)


Meschugge

USA-Verzicht auf Baustopp-Forderung

Von Werner Pirker ***


Die Obama-Administration hat sich von ihrer Forderung nach einem 90tägigen Stopp des jüdischen Siedlungsbaus in den besetzten palästinensischen Gebieten verabschiedet und ist damit ein weiteres Mal vor Israels extrem rechter Regierung eingeknickt. Doch auch der israelische Premier Netanjahu wähnt sich als ein von seinen noch weiter rechts stehenden Koalitionspartnern Getriebener. Das würde bedeuten, daß Israels meschuggenes (verrücktes) Siedlerspektrum weitgehend das Nahost-Geschehen bestimmt. Verrückte Welt.

Auf einen Siedlungsstopp zu beharren, sei »keine solide Basis« für einen Friedensprozeß, begründete US-Außenamtssprecher Philip Crowley die amerikanische Kehrtwendung. Im Umkehrschluß hieße das, daß nur die Duldung der fortgesetzten Siedlerexpansion eine solide Basis für den Nahost-Friedensprozeß herstellen könne. Wer einer solchen Logik folgt, kann wohl kaum einen beiderseitig annehmbaren Frieden im Sinn haben.

Dabei war sich Washington nicht zu schade, israelisches Entgegenkommen zur Wiederbelebung der Friedensgespräche erkaufen zu wollen. Als Gegenleistung für 90 Tage ohne Siedlungsbau boten die Amerikaner 20 Kampfflugzeuge des Typs F 35. Doch auch der Bestechungsversuch schlug fehl. Die israelische Führung läßt sich von ihrer Friedensblockadepolitik durch nichts abbringen. Es scheint, als wäre in der amerikanisch-israelischen Arbeitsteilung aus dem Koch der Kellner geworden. In Wahrheit aber können Netanjahu und die Seinen die Obama-Administration in ihren Nahost-Initiativen nur deshalb nach Belieben ausbremsen, weil sie den nach wie vor neokonservativen Kern des außenpolitischen Establishments in Washington auf ihrer Seite wissen. Dieser wiederum weiß Israel als Antreiber einer aggressiven Weltordnungspolitik zu schätzen. Als nächstes Angriffsziel des dynamischen Duos bietet sich offenbar der Iran an.

Amerikanisches Bemühen um eine Befriedung des Palästinaproblems folgte immer auch der Absicht, sich den Rücken für eine weitere Expansion freizuhalten. Obamas schnöder Verrat an der den USA bisher treu ergebenen Autonomiebehörde in Ramallah beweist, daß auch für ihn die Palästinenser so etwas wie Wechselgeld im großen Nahost-Poker darstellen. Offenbar meint man in Washington, die reaktionären arabischen Regime auch ohne Fortschritte in der Palästinafrage auf eine Kriegsallianz gegen den Iran einschwören zu können. Das aber könnte sich als eine sehr kurzsichtige Strategie herausstellen. Washingtons Kurswechsel in der Siedlerfrage bringt die »moderaten«, prowestlichen Palästinenser um Abbas in eine extrem schwierige Lage, weil er der Kollaboration die Grundlage entzieht. Er macht auch alle von der arabischen Reaktion gemachten Vermittlungsbemühungen zunichte. Und auch wenn die arabische Straße seit Jahrzehnten außer Lärm nicht viel zustande gebracht hat: auf Dauer wird sich der (noch) schlafende Riese nicht ruhigstellen lassen.

*** Aus: junge Welt, 9. Dezember 2010 (Kommentar)


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