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"Nicht der geringste Zweifel"

Israel will Siedlungsbau im Westjordanland wieder aufnehmen *

Israels Regierung will den Bau jüdischer Siedlungen nach dem Ende eines Moratoriums auch im Westjordanland wieder vorantreiben.

»Es gibt nicht den geringsten Zweifel: Die Baumaßnahmen im Westjordanland werden unmittelbar nach dem vorgesehenen Ablaufdatum des Baustopps am 26. September wieder aufgenommen«, sagte Kultur- und Sportministerin Limor Livnat am Dienstag (6. Juli) dem Militärrundfunk. Die Regierung habe lediglich einen »vorübergehenden Baustopp« verhängt; diese Entscheidung sei »unantastbar«. Es stehe für Israel außer Frage, »zum Preis von Zugeständnissen« die Palästinenser zu direkten Friedensverhandlungen bewegen zu wollen, ergänzte Livnat. Livnat gehört der rechtsgerichteten Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an.

Dieser traf am Dienstag (6. Juli) zu einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama in Washington ein. Zum fünften Mal hat Obama Netanjahu zu Gast. Eigentlich ein Privileg – allerdings verliefen die Gespräche nicht immer harmonisch. Schuld daran war vor allem der Streit über die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und arabischen Ostteil Jerusalems.

Und die Siedlungen bleiben ein Dauerbrenner in den bilateralen Beziehungen. Ende September läuft ein zehn Monate währender Baustopp Israels im Westjordanland aus. Siedlerorganisationen haben schon Pläne für Tausende neue Wohnungen. Netanjahu steht bei seinen rechten und siedlerfreundlichen Koalitionspartnern im Wort, dass die Bauarbeiten wirklich nur zeitlich befristet ruhen.

Als Kontrapunkt zu Netanjahus Gesprächen im Weißen Haus hat die israelische Menschenrechtsorganisation Betselem am Dienstag (6. Juli) die neuesten Zahlen über Siedlungen veröffentlicht. Danach leben im Westjordanland rund 301 200 israelische Siedler in 121 Siedlungen sowie rund 100 wilden Außenposten unter 2,4 Millionen Palästinensern. Weitere 200 000 Israelis wohnen in Ostjerusalem.

Die Zahl der Siedler im Westjordanland hat sich in den 17 Jahren seit Beginn des Friedensprozesses von Oslo von rund 110 000 nahezu verdreifacht. Etwa 30 Prozent der Siedler sind nach Angaben der Friedensorganisation Peace Now ultra-orthodoxe Juden. Diese haben auch gesonderte Städte mit preiswerten Wohnungen für ihre Religionsgemeinschaften gebaut. Weitere 38 Prozent sind nationalreligiös eingestellte Juden. Sie sehen das Westjordanland als Land der jüdischen Verheißung.

Nach dem Nahost-Friedensplan (Road Map) von 2004 hätte Israel den Siedlungsbau einfrieren müssen. Allerdings beruft sich die israelische Regierung auf einen Brief von US-Präsident George W. Bush an den israelischen Ministerpräsident Ariel Scharon aus dem selben Jahr. Israel leitet daraus ab, dass die großen Siedlungsblöcke nach einem Friedensschluss mit den Palästinensern in israelisches Staatsgebiet übergehen können.

Unterdessen hat Israel das Einfuhrverbot für bestimmte Güter in den streng abgeriegelten Gaza- Streifen gelockert. Künftig darf unter engen Bedingungen auch Baumaterial in das Palästinensergebiet transportiert werden, wie das israelische Außenministerium mitteilte. Die Außenminister mehrerer europäischer Länder wollen noch diesen Monat in den Gaza-Streifen reisen und auch die Umsetzung der Maßnahmen begutachten. Tausende Israelis haben auf einem Marsch durch Tel Aviv an den seit Juni 2006 von der Hamas im Gaza-Streifen gefangen gehaltenen Soldaten Gilad Schalit erinnert.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2010


Ein Herz und eine Seele

Obama betont gegenüber Netanjahu enge Verbundenheit mit Israel und verzichtet auf Forderung nach Baustopp

Von Karin Leukefeld **


Trotz frostiger Mimik zeigte US-Präsident Barack Obama am Dienstag (6. Juli) beim Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Weißen Haus deutlich Flagge für dessen Politik. Nach einem kräftigen Handschlag für die Kameras unterstrich Obama die »spezielle Freundschaft« mit Israel, dieses Band sei »unzertrennbar«. In bequemen Lehnsesseln vor einem Kamin sitzend, wiederholte Obama nicht die Forderung nach einem Siedlungsstopp in der Westbank und in Ostjerusalem, sondern konzentrierte sich auf eine Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern »deutlich vor dem Ablauf des Baustopps im September«. Wenn man erst einmal miteinander rede, würde »nicht alles, was der andere tut, als Vorwand genommen, nicht miteinander zu sprechen.« Netanjahu sprach von »konkreten Schritten, die in den nächsten Tagen und Wochen unternommen« werden könnten, um den »Friedensprozeß ganz robust« voranzubringen. Obama betonte, Washington erkenne an, daß Israel »angesichts seiner Größe, Geschichte, Lage und der Drohungen, die sich gegen uns, äh es richten, einzigartige Sicherheitsbedürfnisse« habe. Mögliche Meinungsunterschiede im Umgang mit den Palästinensern ordnete er damit den gemeinsamen Sicherheitsinteressen unter.

Netanjahu und den ihn stützenden Gruppierungen in den USA dürfte es also erneut gelungen sein, Israel als den »kleinen, schutzlosen David in feindlichem Gebiet« zu präsentieren, obwohl es selbst nuklear bis an die Zähne bewaffnet ist. Nach Meinung politischer Beobachter wie Fawaz Gerges von der London School of Economics (LSE) versucht Netanjahu seit seinem Amtsantritt 2009, die US-Administration davon zu überzeugen, daß die »iranische Gefahr wichtiger ist als jede Friedensvereinbarung zwischen den Palästinensern und Israel«. Seit zwei Jahren sei das »durchgängig israelische Strategie«. Yossi Shain von der Universität Tel Aviv erklärte gegenüber Al-Dschasira, der Konflikt zwischen Israel und Palästina sei »peripher« für die USA und Israel angesichts der angeblichen iranischen Bedrohung. Die Sanktionen gegen Iran, die der US-Kongreß kürzlich verhängte und die Obama unterzeichnet habe, »entsprechen sicher den Forderungen Israels«.

Der unabhängige palästinensische Politiker Mustafa Barghouti kritisierte derweil, »daß die USA nicht in der Lage sind, konkreten Druck auf Israel auszuüben«. Zwar hatte die US-Administration im November 2009 einen eingeschränkten zehnmonatigen Baustopp für Siedlungen durchgesetzt, doch im Kabinett Netanjahu ist man sich einig, nach dem Ende des Moratoriums im September sofort mit dem Siedlungsbau weiterzumachen.

»Entweder Siedlungen oder Frieden«, meinte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat und fügte hinzu, die Palästinenser wollten direkte Verhandlungen. »Das Problem ist nur, daß das Land, auf dem der palästinensische Staat entstehen soll, von Siedlungen verschlungen wird.« Die Forderungen nach einem Siedlungsstopp in der Westbank und Ostjerusalem sei »keine Bedingung, sondern ist eine Verpflichtung«. Ob so deutlichen Worten Taten der Autonomiebehörde folgen werden, bleibt abzuwarten, denn es gibt bereits direkte Gespräche zwischen ihr und Israel. Das machte ein Treffen des palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fayyad mit dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak in Jerusalem Anfang der Woche deutlich. Ungeachtet jeder Kritik an der israelischen Besatzungsmacht besprachen beide Politiker die weitere israelisch-palästinensische »Koordination im Bereich von Sicherheit und Wirtschaft«.

** Aus: junge Welt, 8. Juli 2010


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