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Wiedervereinigung

Israels Rechte fusioniert

Von Knut Mellenthin *

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat es wieder einmal geschafft, nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch seine eigene Partei zu überraschen. Am Donnerstag abend trat er zusammen mit Außenminister Avigdor Lieberman vor die Presse, um bekanntzugeben, daß ihre beiden Parteien, der rechte Likud und die noch extremere Israel Beitenu, mit Blick auf die vorgezogenen Neuwahlen im Januar 2013 fusionieren wollen. Er hoffe, mit dieser vereinten Kraft im Rücken von den Wählern ein »klares Mandat« zu bekommen, »das es mir erlauben wird, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren«. Konkret nannte der seit März 2009 amtierende Regierungschef die Kampagne gegen den Iran sowie die angespannte wirtschaftliche und soziale Lage Israels. Beide Politiker teilten keinerlei Einzelheiten zu ihrer Fusionsvereinbarung mit und lehnten es ab, Fragen der Journalisten zu beantworten.

Der 1958 in der Sowjetunion geborene, 1978 nach Israel eingewanderte Lieberman hatte selbst lange dem Likud angehört und war 1993–1996 sogar dessen Chef, bevor er sich 1999 mit Israel Beitenu selbständig machte, die ihre Anhänger vor allem unter Immigranten aus Rußland und anderen Teilen der ehemaligen UdSSR hat. Über eine Fusion beider Parteien war schon wiederholt, unter anderem im Zusammenhang mit dem Libanon-Krieg 2006, diskutiert worden. Der jetzt vereinbarte Zusammenschluß war, wie Lieberman einigen israelischen Zeitungen erzählte, seit einem Jahr im Gespräch und im Grunde schon vor zwei Monaten besiegelt worden. Das alles freilich so geheim, daß die beiden Parteien nicht einbezogen waren. In Teilen des Likud, dessen Zentralkomitee erst am Dienstag über die Fusion abstimmen soll, ist die Empörung groß. Der Likud-Abgeordnete Michael Eitan, der der Regierung als Minister für die Verbesserung der öffentlichen Dienste angehört, erklärte, daß ein Zusammenschluß mit Israel Beitenu den Untergang des Likud und »eine Gefahr für die israelische Demokratie« darstellen würde.

Israelische Kommentatoren sehen in der Fusion eine Reaktion Netanjahus auf Prognosen, die deutliche Stimmenverluste für den Likud erwarten lassen. Der Premier habe Lieberman jetzt einbinden wollen, um zu verhindern, daß sich dieser nach der Wahl einer anderen Koalition anschließt. Ob die Rechnung aufgeht, ist jedoch ungewiß. Eine erste Blitzumfrage ergab, daß die neue Partei in der nächsten Knesset nur auf 33 Sitze kommen würde. Derzeit haben Likud und Israel Beitenu zusammen 42 Abgeordnete.

Fusionen ebenso wie Spaltungen, Neugründungen und verblüffende Koalitionen sind im israelischen Parteienspektrum sehr viel üblicher als in anderen Ländern. Oft dienen sie nur kurzfristigen taktischen Zielen. Ein Zusammenhang des jetzt verkündeten Zusammenschlusses mit akuten Kriegsplänen gegen Iran liegt zwar grundsätzlich nahe, ist aber nicht zwingend.

* Aus: junge Welt, Samstag, 27. Oktober 2012


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