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Botschafterin des Friedens

Zum Tod von Lea Rabin

Am Samstag, den 11. November, starb Lea Rabin im Alter von 72 Jahren an Lungenkrebs. Mit ihr starb eine große Persönlichkeit Israels in einer Situation, wo man ihrer so dringend bedürfte. Gehörte sie doch zu den prominenteren Stimmen der israelischen Gesellschaft, die in den letzten Jahren, insbesondere nach der Ermordung ihre Manns Izchak Rabin, unbeugsam für die Fortsetzung des in Oslo 1993 begonnenen Friedensprozesses eintraten. Solche Stimmen waren in der Regierungszeit Netanjahus nicht gern gehört und auch Barak wahrte eher Distanz zu Lea Rabin und erst Recht natürlich zur israelischen Friedensbewegung. Dabei macht es nichts, wenn Lea Rabin die Verdienste ihres Mannes in der Erinnerung etwas verklärte. Rabin war nicht nur - zusammen mit Schimon Peres - der Architekt von Oslo (beide erhielten dafür mit Arafat den Friedensnobelpreis 1994), er war auch der gefeierte militärische Held des Sechs-Tage-Krieges 1967, und auch nach Oslo hielt er nicht immer geraden Kurs auf Frieden und Versöhnung mit den Palästinensern, sondern verfolgte eine höchst gefährliche Doppelstrategie der Friedensrhetorik gegenüber den Palästinensern und der Nachgebigkeit gegenüber den konservativen Kräften in der israelischen Politik. So wurde etwa der Siedlungsbau auch unter Rabin und trotz Oslo munter voran getrieben - der Zorn der Palästinenser ist also auch eine Frucht dieser Doppelzüngigkeit.

Lea Rabin engagierte sich in den letzten Jahren für die Fortsetzung des einen Teils des Werks ihres Mannes: den Friedensprozess voranzutreiben. Ihre Autobiografie trägt denn auch den Titel: "Ich gehe weiter auf seinem Weg". Darin versuchte sie sich in Briefen an den Ermordeten, die im Ton zwischen Selbstanklagen und Selbstermunterungen angesiedelt sind, Rechenschaft abzulegen über das Erreichte und den persönlichen und politischen Verlust aufzuarbeiten. "Ich bin nicht stark, und ich weiß nicht recht, was ich für sie (die Friedensbewegung, P.S.) tun kann. Eine Leere ist zurückgeblieben, die niemand füllen kann." Immer wieder klagte sie gegen die hartherzige und riskante Konfrontationspolitik Benjamin Netanjahus. "Statt als Partner gelten die Araber wieder als Feinde. Von Versöhnung kann überhaupt keine Rede sein. Aber ohne Versöhnung gibt es keinen Frieden, und ohne Frieden gibt es keine Sicherheit."

Lea Rabin begriff das Attentat auf ihren Mann zurecht als Versuch, den israelisch-palästinensischen Annäherungsprozess zu sabotieren und sie konnte und wollte sich nicht damit abfinden, dass der Attentäter, der Ultrarechte Yigal Amir, sein Ziel erreichen würde. Deshalb entfaltete sie eine schier rastlose Tätigkeit im In- und Ausland, um die verhängnisvolle Politik Netnjahus anzuprangern. Im Ausland vor allem wurde sie mit Ehrungen überschüttet - sie galten posthum zwar auch ihrem Mann, wurden zunehmend aber auch ihr persönlich für ihr Engagement verliehen. Die Franz-Rosenzweig -Medaille gehört ebenso dazu wie das "Glas der Vernunft", das ihr 1999 in Kassel verliehen wurde.

Am 4. November 1995 wurde Izchak Rabin bei einer großen Friedensmanifestation mit rund 150.000 Menschen von einem religiös-politischen Fanatiker erschossen. Am fünften Todestag konnte Lea Rabin an der seither jährlich stattfindenden Gedenkkundgebung nicht mehr teilnehmen. Die tödliche Krankheit - von der sie meinte, dass sie davon nie befallen worden sei, wäre ihr Mann am Leben geblieben - nahm ihr die letzte Kraft. Eine Woche später starb sie in einem Krankenhaus in Tel Aviv.
Pst


Pressestimmen: Auszüge aus Nachrufen

Vermisst hatte man sie schon vor mehr als einer Woche, beim fünften Jahrestag der Ermordung ihres Mannes, Yitzhak Rabin. Der Lungenkrebs hatte sie da schon gezeichnet und ans Bett gefesselt. Doch ihren Kampfgeist behielt Lea Rabin auch dort. Zum 4. November, dem Datum des Anschlags, empfing sie die Reporter im Krankenzimmer. "Ich bin so frustriert, nicht präsent sein zu können bei den Veranstaltungen zur Erinnerung an Yitzhak", sagte sie in einem der letzten Interviews. Doch sie blieb anwesend. Die Witwe, die Verwalterin eines Vermächtnisses, das vor allem die Botschaft vom Frieden enthielt. Noch Ende Oktober fand sie scharfe Worte für Barak, der nicht genug tue, um den Friedensprozess zu retten: Er hätte längst den alten Partner ihres Mannes, Schimon Peres, zu PLO-Chef Yassir Arafat schicken müssen, kritisierte sie. Barak blieb nichts anderes, als Peres freie Hand für einen Gesprächsversuch zu lassen. Und trotzdem zeigte sich Lea Rabin überzeugt, "dass Arafat es nicht gewagt hätte, diese Unruhen anzufangen, wenn Yitzhak Premier wäre." So kannte man sie: als eine, die protestierte, wenn Krisen den Friedensprozess störten. Sie machte Ex-Generalstabschef Barak bald nach seiner Amtsübernahme ebenso Druck wie zuvor Regierungschef Benjamin Netanyahu, den sie als einen der Hauptverantwortlichen für den stockenden Friedensprozess sah.

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Geboren wurde Lea Rabin 1928 in Königsberg als Tochter eines jüdischen Getreidehändlers. Wie sehr man sie in Deutschland schätzte, zeigte 1998 ihre Auszeichnung mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Aber zu ihrer Vita gehörte auch die kämpferische Seite. 1933 mit ihrer Familie nach Palästina ausgewandert, schloss sie sich mit kaum 18 Jahren der jüdischen Selbstverteidigungsorganisation Hagana an. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen. "Wir waren nicht nur vom ersten Tag des Staates Israel an zusammen", blickte sie einmal im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau zurück, "sondern innerlich so verbunden mit seiner Geschichte: den Kriegen wie dem Verlangen nach Frieden." ...
Aus: Frankfurter Rundschau, 13.11.2000

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Lea Rabin wurde nach dem Tod ihres Mannes 1995, der von einem fanatischen Israeli in Tel Aviv im Anschluss an eine Rede ermordet worden war, zu einer der bedeutendsten Verfechterinnen für den Frieden. Sie reiste zu Treffen mit Staatschefs unermüdlich durch die Welt und rief zuletzt bei den Jubiläumsfeiern in Oslo im Beisein von US-Präsident Bill Clinton zu einer Aussöhnung mit den Palästinensern auf. Die jüngsten Unruhen kommentierte die in Königsberg geborene und Deutsch sprechende Lea Rabin in ihrem letzten Fernsehinterview vor zwölf Tagen als "Besorgnis erregend". Mitte Oktober veröffentlichte sie einen Brief an Premier Ehud Barak und bat ihn darum, den Minister für "Regionale Kooperation" und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres zu einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat zu entsenden, um die jüngsten Unruhen zu stoppen. Tatsächlich war Peres mit Arafat zusammengetroffen, allerdings ergebnislos zurückgekehrt. In Arafat sah Frau Rabin "einen Teil der Familie". Nach dem Tod ihres Mannes war der Palästinenserführer überraschend zu einem Kondolenzbesuch in ihrer Tel Aviver Wohnung aufgetaucht, der erste öffentliche Auftritt Arafats in Israel überhaupt.

Lea Rabin war bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Im September erklärte sie in einem Interview, ihr verstorbener Mann würde sich "im Grab umdrehen" angesichts der ihrer Ansicht nach verfehlten Friedenspolitik von Barak. Den Wahlsieg von Benjamin Netanjahu kommentierte sie 1996 mit den Worten, sie werde ihre Koffer packen und emigrieren. Sie warf Netanjahu vor, durch agitatorische Reden das Klima angeheizt zu haben, das die Ermordung ihres Mannes erst ermöglicht habe. Schimon Peres erklärte in einer ersten Stellungnahme zu ihrem Tod, Lea Rabin sei eine "außerordentliche Kämpferin für den Frieden" gewesen. Sie habe zugleich für die Erinnerung ihres Mannes gekämpft und als eine der Mitbegründerinnen des Staates Israel die Idee des Zionismus verwirklicht.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 13.11.2000

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