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"Ohne Hoffnung kann man nichts ändern"

Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung an "Israelisch-Palästinensische Friedenskoalition" (IPPC) vergeben

Mit dem mit 10.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde am 17, Mai 2002 die "Israelisch-Palästinensische Friedenskoalition" (IPPC) ausgezeichnet, ein Zusammenschluss von israelischen und palästinensischen Politikern, Intellektuellen, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Künstlern, darunter der ehemalige israelische Verteidigungsminister Jossi Beilin, der palästinensische Kultur- und Informationsminister Yasser Abbed Rabbo und der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat. Die Gruppe ist seit Mai des vergangenen Jahres aktiv. Sie setzt sich mit öffentlichen Aktionen und Demonstrationen für eine Zwei-Staaten-Lösung auf Grundlage der Grenzen von 1967 und Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt ein.

"Wir wollen mit dem Preis nicht unbedingt den spektakulären Erfolg, sondern vielmehr die mühsame und engagierte Arbeit in dieser bitteren Zeit würdigen", sagte Holger Börner, der Vorsitzende der SPD-nahen Ebert-Stiftung. Nur gegenseitiges Verständnis und Dialog könnten zu einer konstruktiven Lösung in diesem Konflikt führen. Sowohl israelische wie palästinensische Vertreter der Delegation machten deutlich, dass sie weiter an den Frieden glauben, auch wenn es "heute schwieriger als noch vor zwei, drei Jahren" sei. Jossi Beilin betonte, dass jetzt keine Zeit mehr für Zwischenlösungen wie eine erneute palästinensische Interimsregierung sei. Die sofortige Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Isrealis und Palästinensern sei notwendig. Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview mit einem der Preisträger, dem früheren israelischen Justizminister Yossi Beilin. Es war abgedruckt im "Neuen Deutschland" am 18. Mai 2002.


Interview mit Israels Exminister Yossi Beilin

ND: Sie sind einer der Träger des Menschenrechtspreises der Friedrich-Ebert Stiftung. Wie beurteilen Sie anhand der aktuellen Lage die Friedensperspektiven im Nahost-Konflikt?

Die Situation ist im Moment ohne Zweifel schwieriger als vor zwei oder fünf Jahren. Wir von der Friedenskoalition konnten nach Monaten nun erstmals wieder miteinander sprechen – in Deutschland. In Israel war das zuletzt kaum mehr möglich. Trotzdem bin ich nicht grundsätzlich pessimistisch. Es hat sich im Nahen Osten immer wieder gezeigt, dass es umso schwieriger wird, je näher man sich an den Verhandlungstischen gekommen ist. Eigentlich liegt die Lösung ja auf dem Tisch: Israels Rückzug auf die Grenzen von 1967, Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten etc. Vor den Verhandlungen in Madrid 1991 gab es nicht einmal eine Übereinkunft über die Ziele. Jetzt gibt es diese, nur der Weg zur Umsetzung ist eben steinig.

ND: Woran liegt dies vor allem?

Beide Seiten fühlen sich zu 100 Prozent im Recht in Bezug auf ihr derzeitiges Handeln. Die Palästinenser rechtfertigen ihre Gewalt mit der Besatzung und Israel seine militärischen Vergeltungsaktionen mit den Terroranschlägen. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.

ND: Was können Sie als Friedenskoalition dazu beitragen?

Ohne Hoffnung kann man nichts ändern. Wir als Friedenskoalition versuchen deswegen Hoffnung zu stiften. Wir versuchen, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es Friedenspartner gibt und ein Friedensprogramm wie den Clinton-Plan, den Saudi-Plan, die es umzusetzen gilt. Es geht uns vor allem darum, die schweigende Mehrheit dafür zu gewinnen.

ND: Halten Sie es für denkbar, dass die Entscheidung des Likud, einen palästinensischen Staat abzulehnen, einen bedeutenden Stimmungswandel in der israelischen öffentlichen Meinung erzeugt?

Die Entscheidung wird keinen großen Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Jeder in Israel weiß, dass es früher oder später einen palästinensischen Staat geben wird. Keiner nimmt die Likud-Entscheidung für bare Münze – das war ein völlig anachronistischer Beschluss. Zumal sich zeigt, dass Scharon ihn weitgehend zu ignorieren gedenkt.

ND: Und bei den nächsten Wahlen? Ist nicht eine Stärkung der Arbeitspartei zu erwarten, die ähnlich wie in Meinungsumfragen die Mehrheit der Israelis eine Zwei-Staaten-Lösung propagiert?

Sie mögen Recht haben, aber nur dann wenn die Öffentlichkeit die Arbeitspartei wirklich als Alternative zu Likud sähe. So lange die Arbeitspartei Teil der Regierung ist, wird es sehr schwierig sein, der Bevölkerung zu vermitteln, dass sie eine alternative Option darstellt.

ND: Damit stellt sich automatisch die Frage nach einem Koalitionsaustritt. Steht er unmittelbar bevor?

Ich habe dafür im Januar dieses Jahres im Zentralkomitee plädiert. Ich bin gescheitert. Eine große Mehrheit sprach sich für einen Verbleib in der Koalition aus. Ich habe angekündigt, dass ich aus der Partei austrete, wenn wir mit dem jetzigen Parteichef, Benjamin Ben-Elieser, als Ministerpräsidentenkandidat in den nächsten Wahlkampf ziehen. Ich werde nicht der einzige sein. Der Arbeitspartei drohte dann die Spaltung.

ND: Für wie realistisch halten Sie es, dass ein Wandel in der derzeitigen Regierungspolitik möglich ist?

Ich bin da nicht völlig pessimistisch. Nicht weil Scharon wirklich will, aber der Druck auf ihn wächst. Die Überlegungen über eine internationale Konferenz, seine Aussage und die des USA-Präsidenten Bush, dass es einen palästinensischen Staat geben wird, sind dafür erste ermutigende Anzeichen. Scharons Aussage ist ein Sieg für die Friedensbewegung. Nicht weil es seine Überzeugung ist, seine Äußerung war rein taktisch. Aber sie widerspiegelt sein Gespür dafür, dass die Stimmung im Land für eine Zwei-Staaten-Lösung wächst. Das zeigt nicht zuletzt die große Friedensdemonstration letztes Wochenende in Tel Aviv, die ohne Unterstützung der sich als Friedenspartei betrachtenden Arbeitspartei organisiert wurde und Hunderttausend Menschen auf die Beine brachte. Dasselbe gilt für Arafats Ankündigung, die Autonomiebehörde zu demokratisieren. Ich kann nicht beurteilen, wie ernst es ihm damit ist. Aber der Zeitpunkt der Rede zeigt ebenfalls, dass er unter Druck steht, eine Friedenslösung für das palästinensische Volk zu erreichen. Und auf den Druck auf beide Seiten kommt es an. Sagt man, es ist unmöglich, Frieden zu erreichen, macht man es den Politikern beider Seiten zu leicht.

ND: Aber mit einer anderen Regierung wären die Chancen auf Frieden größer?

Natürlich wären die Friedensperspektiven bei einer Friedensregierung größer. Aber darauf können wir nicht warten. Unsere Rolle kann nicht sein zu schlafen, bis eine neue Regierung an die Macht kommt. Es geht vielmehr darum, eine Atmosphäre in Israel zu schaffen, die jede Regierung dazu zwingt, sich für eine Friedenslösung einzusetzen.

Fragen: Martin Ling

Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2002


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