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Rechtlose Gefangene

Bis zu 11000 Palästinenser in Israel inhaftiert. Angehörige fordern Besuchsrecht

Von Eva Bartlett, IPS *

Seit 1995 versammeln sich jeden Montag Palästinenserinnen aus dem Gazastreifen vor dem Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Gaza-Stadt, um gegen ein von Israel verhängtes Besuchsverbot für Verwandte palästinensischer Gefangener zu demonstrieren. Das vor vier Jahren verhängte Verbot war eine Reaktion auf die Verschleppung des israelischen Soldaten Gilad Shalit.

Inzwischen kommen zu der Protestaktion wöchentlich mehr als 200 Männer und Frauen in Gaza-Stadt zusammen. Am 11. Juni dieses Jahres unterstützte der Palästinensische Rote Halbmond die Demonstranten dabei, vom Sitz des IKRK zum Park des Unbekannten Soldaten zu ziehen, um gegen die Anordnungen Israels zu protestieren. »Während unsere Söhne im Gefängnis sind, könnten wir Eltern sterben, ohne sie wiedergesehen zu haben«, sagt Umm Ahmed, deren 32jähriger Sohn vor vier Jahren inhaftiert wurde. Laut Berichten des IKRK sind etwa 30 Angehörige von Inhaftierten gestorben, seit Israel die Besuche verboten hat. Eine andere Frau hält ein älteres Foto ihres Sohnes hoch. Der damals 16jährige Teenager trägt ein schwarzes T-Shirt, hat Gel im Haar und lächelt in die Kamera. »Er sitzt seit 20 Jahren und zehn Monaten im Gefängnis. Und seit acht Jahren habe ich ihn nicht mehr sehen dürfen«, klagt sie.

Im Dezember 2009 hatte der Oberste Gerichtshof Israels im Sinne der Regierung entschieden, den Familien aus dem Gazastreifen kein Besuchsrecht in israelischen Gefängnissen zu gewähren. Zur Begründung hieß es, daß die »Familienbesuche nicht von grundlegender humanitärer Notwendigkeit für die Menschen im Gazastreifen« seien. Im Juni dieses Jahres teilte die israelische Strafvollzugsbehörde mit, daß sie den Gefangenen weitere Rechte aberkannt habe. Sie dürfen sich nicht mehr an Universitäten einschreiben und keine Mobiltelefone benutzen.

Laut Nasser Farrah von der Vereinigung palästinensischer Gefangener befinden sind zur Zeit mehr als 7000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Unter ihnen sind fast 40 Frauen und etwa 300 Kinder. 700 Häftlinge stammen aus dem Gazastreifen. Anderen Schätzungen zufolge sitzen sogar bis zu 11000 Palästinenser in Israel hinter Gittern. Wie Farrah erklärte, kommen außerdem noch Tausende weitere Menschen hinzu, die im Westjordanland festgenommen wurden. Zahlreiche Palästinenser werden auf unbestimmte Zeit in Untersuchungshaft gehalten und warten auf ihr Gerichtsverfahren. Viele sitzen zwischen sechs Monaten und sechs Jahren ein. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem erklärte, daß sich im Februar dieses Jahres 214 Palästinenser in Untersuchungshaft befanden.

Gemäß Artikel 49 der Genfer Konventionen dürfen Menschen nicht unter Zwang aus den besetzten Territorien weggebracht werden. Den Vereinten Nationen zufolge hat Israel aber genau dies getan und seit 1967 mehr als 700000 palästinensische Männer, Frauen und Kinder festgenommen.

Mehr als 1500 der Gefangenen gelten als schwer krank und erhalten keine angemessene medizinische Behandlung. Einem Bericht der Vereinigung palästinensischer Gefangener aus dem Zeitraum 2010 bis 2011 zufolge wurde bei 20 Häftlingen Krebs, bei 88 Diabetes und bei 25 Nierenversagen diagnostiziert. Mehr als 200 Gefangene seien aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung gestorben. Viele kranke Palästinenser landen hinter Gittern, wenn sie den Checkpoint Eres passieren, um sich außerhalb des Gazastreifens behandeln zu lassen. Sie werden einfach festgenommen, nachdem sie die Grenze mit von israelischen Behörden ausgestellten Passierscheinen überschritten haben.

* Aus: junge Welt, 29. Juli 2011


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