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"Es gibt keine gemeinsame Basis"

Arabische Balad-Partei sieht wenig Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit israelischen Parteien in der Knesset. Ein Gespräch mit Hanin Zoabi


Hanin Zoabi ist palästinensische Abgeordnete der Balad-Partei in der israelischen Knesset. Sie nahm an der Gaza-Friedensflottille am 31. Mai 2010 teil.

Sie sind als eine von drei Abgeordneten der arabischen Balad-Partei in die Knesset gewählt worden. Das war im Februar 2009, einen Monat nach dem Ende des Gaza-Kriegs. Der Krieg wurde von großen Teilen der israelischen Gesellschaft unterstützt. Wer hat Sie gewählt?

Der Krieg wurde nicht von großen Teilen der Israelis unterstützt, sondern praktisch von allen Israelis. Gewählt haben mich die Palästinenser, die in Israel leben, das sind knapp 120000. Die meisten von von ihnen waren gegen den Krieg. Aber auch unabhängig vom Gaza-Krieg kann man sagen, daß die arabischen Parteien 99 Prozent ihrer Stimmen von Palästinensern erhalten.

Wie hoch ist die Wahlbeteiligung unter den Palästinensern in Israel?

Nur etwa 50 Prozent der Stimmberechtigten wählen auch. Viele sind sehr unzufrieden mit dem demokratischen System. Sie glauben, daß ihre Stimme ohnehin nichts ändert. Andere wählen nicht, weil sie sich schlicht nicht für Politik interessieren. Und knapp zehn Prozent der Nichtwähler boykottieren die Knesset aus ideologischen Gründen. Sie verzichten so lange auf ihr Stimmrecht, bis die palästinensischen Rechte anerkannt werden.

Bei den Wahlen im Februar hat die israelische Rechte massiv dazugewonnen. Die rechtsradikale Partei »Israel – unser Zuhause« von Außenminister Avigdor Lieberman ist an der Regierung beteiligt und stellt 15 Abgeordnete. Wie arbeiten Sie mit solchen Leuten zusammen?

Warum fragen Sie mich nach der Rechten? Nicht die Rechte hat die gesetzlichen Bedingungen geschaffen, unser Land zu konfiszieren, es war die Arbeitspartei. Wiederholen Sie nicht die große Legende der zionistischen Linken.

Und worin besteht die?

Darin, daß Israel eine Demokratie war, bis Benjamin Netanjahu (Likud) und Lieberman an die Regierung kamen. Diese religiösen und rassistischen Gruppen sind zwar schlimmer als die sogenannte Linke, doch die israelische Politik gegenüber den Palästinensern war immer rassistisch.

Was die Zusammenarbeit in der Knesset betrifft: Es gibt keinerlei Beziehungen zu den israelischen Parteien. Wir wünschen uns einen »Guten Tag« und einen »Guten Abend«. Mehr nicht. Wir arbeiten nicht zusammen, etwa bei der Erstellung von Gesetzesinitiativen, und stimmen unterschiedlich ab.

Es gibt immer wieder sexuelle Beleidigungen mir gegenüber, mit Anspielungen darauf, daß ich mit 41 Jahren noch Single bin. Aber die kamen von Abgeordneten der Opposition. Denn die Abgeordneten der Kadima-Partei waren auch nach dem Angriff auf die Gaza-Friedensflottille Ende Mai 2010 nicht weniger aggressiv als Avigdor Lieberman. Für die bin ich antiisraelisch. Aber das sind persönliche Sachen, das Wesentliche ist die Politik. Ich sitze im Parlament, um die Demokratie voranzubringen, und dafür gibt es keine gemeinsame Basis zwischen arabischen und jüdischen Knessetmitgliedern. Die Anfeindungen interessieren mich nicht, ich will keine positive Beziehung mit der Rechten und auch nicht mit der Linken.

Wie positioniert sich Ihre Balad-Partei im innerpalästinensischen Konflikt zwischen Fatah und Hamas?

Wir denken, daß die palästinensische Sache über Fatah und Hamas hinausgehen muß, keiner von beiden verspricht unserer Meinung nach etwas Hoffnungsvolles, keiner verfügt über klare demokratische politische Visionen. Aber beim Disput zwischen beiden geht es nicht nur um Macht, sondern um verschiedene Auffassungen darüber, wie und ob überhaupt mit Israel verhandelt werden soll, wenn es seinen Siedlungsbau fortsetzt. Es ist eine Illusion zu glauben, daß uns Verhandlungen weiterbringen, die nicht Teil eines Kampfes sind, sondern statt des politischen Kampfes geführt werden. Die Hamas hat nein zu Verhandlungen gesagt, aber nicht, weil sie nicht verhandeln will, sondern weil zuerst die palästinensischen Basisrechte akzeptiert werden sollen. Das müssen wir anerkennen. Aber im Endeffekt denken wir, daß Hamas verdorben ist, beide haben die palästinensische Sache zu einem schlechten Ende gebracht. Wir müssen etwas Neues schaffen.

Interview: Johannes Schulten

* Aus: junge Welt, 9. April 2011


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