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Politik der aufgehaltenen Hand

Ehud Olmerts "Konvergenz-Plan": Das Zwei-Staaten-Modell ist möglich - die Annexion sicher

Von Norman Paech *

Dieser Premierminister ist nicht Ariel Sharon, aber ein Ast von diesem einst mächtigen Baum auf jeden Fall. Und so atmet Ehud Olmerts "Konvergenz-Plan" zur Bildung zweier unabhängiger Staaten noch ganz den Geist der Sharon´schen Rückzugsstrategie aus dem Gaza-Streifen - auf den bekanntlich verzichtet wurde, um damit die Aneignung weiter Teile des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems zu legitimieren und als Kompromiss zu etikettieren.

Nun bereitet Olmert Sharons Erbe auf und hat seine Vorliebe für die Zwei-Staaten-Lösung entdeckt. "Ich reiche meine Hand in Frieden Mahmoud Abbas, dem gewählten Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde erklärte er vor beiden Häusern des US-Kongresses und bot ihm Verhandlungen unter der Bedingung an, "dass die Palästinenser den Terrorismus aufgeben, die terroristische Infrastruktur auflösen, alle vorhergehenden Verträge und Verpflichtungen akzeptieren und das Existenzrecht Israels anerkennen." Abgesehen davon, dass die PLO und Abbas diese drei Bedingungen bereits anerkannt haben, stehen vergleichbare Vorleistungen der Hamas - aber auch der israelischen Regierungen - bisher aus. Weder haben die Israelis jemals den in der Road Map vereinbarten Siedlungsstopp eingehalten noch auf gezielte Tötungen von Palästinensern verzichtet. Und die Anerkennung eines "unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staates" - sie wird gleichfalls in der Road Map versprochen - steht offensichtlich erst jetzt zur Debatte, nachdem Olmert an der Zwei-Staaten-Lösung Gefallen findet. Doch wie soll ein Staat der Palästinenser aussehen? Das ist die allein entscheidende Frage, bei der Olmert seine Schwierigkeiten mit den Siedlern ebenso wie Abbas mit der Hamas hat.

Das Verhandlungsangebot des israelischen Premiers signalisiert bereits mit dem Namen "Konvergenz-Plan", worum es ihm geht: Eine Vereinigung der wichtigsten Siedlungsgebiete zu großen Siedlungsblöcken, um sie mit israelischem Territorium verschmelzen zu können. Es handelt sich um drei gewaltige Areale in unmittelbarer Nähe zur so genannten Grünen Linie, der Waffenstillstandslinie von 1949. Hier wurde bereits seit den frühen neunziger Jahren die Ansiedlung forciert. Ariel im Norden zwischen Kalkilia und Nablus, Ma´ale Adumin im Zentrum östlich von Jerusalem und südlich von Bethlehem Gush Etzion. Diese Blöcke sind bereits weitgehend durch Grenzzaun und Mauer vom übrigen palästinensischen Gebiet getrennt oder stehen in der Planung für weitere Absperrungen. Ungeachtet des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes vom Juli 2004, das Sperrzaun und Mauer als rechtswidrig deklariert und die israelische Regierung auffordert, sie von palästinensischem auf israelisches Territorium zurückzuverlegen, wird an den Sperranlagen weitergebaut. Nach ihrer Vollendung werden sich 76 Prozent der Westbank-Siedler - das heißt über 170.000 - zwischen dem Sperrzaun und der Grünen Linie befinden. Weitere 170.000 Siedler um Ost-Jerusalem kommen hinzu. Mit anderen Worten, mehr als zehn Prozent des Territoriums der Westbank und Ost-Jerusalems werden nach Olmerts Plan israelischem Staatsgebiet zugeschlagen - zum Teil die fruchtbarsten und wasserreichsten Regionen der Westbank, in denen derzeit in 38 Ortschaften über 49.000 Palästinenser leben. Ihre Existenz ist schon jetzt durch die Absperrungen in höchstem Maße gefährdet, ihre Zukunft vollkommen unsicher.

Als "Gegenleistung" wird die Räumung isolierter und über die Westbank verstreuter Siedlungen angeboten. Das ist ein recht wohlfeiler Preis, den die Siedler in Gänze zu zahlen haben. Den Palästinensern hingegen verlangt der Olmert-Plan auch noch den Verzicht auf das gesamte Jordantal ab, das aus Sicherheitsgründen ein Puffer gegenüber Jordanien sein soll. Die israelische Regierung äußert sich noch nicht dazu, ob sie auch diesen Streifen annektieren oder pachten will. Sicher ist nur, dass Israel die Souveränität über dieses, schon jetzt weitgehend unter seiner militärischen Kontrolle stehende Gebiet nicht abgeben will. Damit bleiben einem palästinensischen Staat nicht mehr als 54 Prozent der Westbank - ein Bantustan, umschlossen von israelischem Hoheitsgebiet. Derzeit sind alle Augen auf Abbas gerichtet, da es ihm gelungen zu sein scheint, die Hamas-Führung durch die Einigung über das 18-Punkte-Papier von Marwan Barghouti zu einer faktischen Anerkennung Israels zu bringen. Doch was kommt danach, sollte er tatsächlich Erfolg haben? Die Israelis haben Arafat niemals die Anerkennung durch Fatah und PLO mit einem adäquaten Entgegenkommen gelohnt.

Olmert hat sein Angebot auf ein Jahr befristet und mit einseitiger Grenzziehung gedroht, sollten Verhandlungen ohne akzeptables Ergebnis bleiben. Es hofft offenbar, Sharons Erfolg des Gaza-Rückzugs in der Westbank wiederholen zu können, doch dürfte es diesmal nicht ohne die Palästinenser gehen, auch wenn schon jetzt außer Frage steht, dass Präsident Mahmud Abbas diese dargebotene Hand nicht ergreifen kann. Zu brüskierend und demütigend sind die Konditionen. Wer in der EU etwas anderes behauptet, kolportiert Friedensschimären. Gelingt es nicht, den "Konvergenz-Plan" mit der völkerrechtlich verbindlichen Ausgangslage von 1967 - der Grenzziehung vor dem Sechs-Tage-Krieg - abzugleichen und die israelische Führung zu substantiellen Konzessionen zu bewegen, wird es auch weiter keine Friedensperspektive geben.

* Aus: Freitag 26, 30. Juni 2006


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