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Die Farbe Rauchblau

Der israelische Autor Amos Oz wird siebzig Jahre alt

Von Irmtraud Gutschke *

Begegnet bin ich ihm zuerst 1992 zur Frankfurter Buchmesse. Da war er 53, jünger als ich jetzt. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Es war ihm damals schon bewusst, wie die Zeit verrinnt, wie seltsam sich unsere tagtäglichen Aufregungen und Bemühungen ausnehmen müssen, vom Tode her gesehen. Vielleicht wird er ja noch hundert Jahre alt und vorher israelischer Staatspräsident. Warum soll dieser Geburtstag etwas ändern am Leben von Amos Oz, das seit Langem dreigeteilt verläuft. Durch die Welt reist er, lässt sich über die Zukunft Israels befragen und sehnt sich nach seinem Schreibtisch in Arad. Dabei gehört seine Zeit auch zu Hause nicht ganz der Literatur. Bekanntlich war er schon in den 70er Jahren einer der Gründer der Bewegung »Peace now«, die sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern in Form einer Zweistaatenlösung einsetzt. Unlängst initiierte er sogar eine neue linksliberale Partei, die bei den Parlamentswahlen allerdings unterlag.

Welche Diskussionen er in seinem Land zu bestehen hat, welchen Anfeindungen er vielleicht ausgesetzt ist, das wäre nur vor Ort zu sehen. Wenn Amos Oz nach Deutschland kommt, um einen Preis entgegenzunehmen – Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, Tübinger Poetik-Dozentur, Goethepreis, Corine-Ehrenpreis, Stefan-Heym-Preis, Heinrich Heine-Preis sind nur einige von vielen –, kommt er als Hoffnungsträger. So souverän er wirkt, denkt man, werden er und seine Freunde es irgendwann schaffen mit dem Frieden in Nahost. Und wenn nicht? Er jedenfalls wird daran glauben bis zum letzten Atemzug.

Dabei ist mir klar, dass ich überhaupt nicht weiß, wie es ihm derzeit geht. Suhrkamp hält über zwanzig Oz-Titel lieferbar und hatte für das Frühjahr ein neues Buch angekündigt: »Geschichten aus Tel Ilan«; nun ist die Veröffentlichung auf Ende Juni verschoben. Lag's an der vielbeschäftigten Übersetzerin Mirjam Pressler oder am Autor, dem die politische Arbeit zu wenig Zeit zum Schreiben ließ? Wie verkraftet er das Hin und Her zwischen zwei Tätigkeiten? Dass er in seiner Essayistik eine ganz andere Herangehensweise habe als in seinen Romanen, hat er mehrfach erklärt. Ein schwarzer und ein blauer Kugelschreiber auf seinem Schreibtisch versinnbildlichten den Unterschied.

Israel: Er hat mir mit seinen Büchern dieses Land von Ferne nahegebracht. So habe ich ihn in »Panther im Keller« als Kind gesehen, das bereit war, für die Unabhängigkeit seiner Heimat zum Kämpfer zu werden. Die Zeit vor der Staatsgründung habe ich mir vorstellen, die zionistischen Sehnsüchte nachempfinden können. In Gedanken war ich durch ihn auch im alltäglichen Israel von heute, wo Leute mit ihrem Leben klarzukommen suchen und es nicht ganz schaffen, so wie hier auch. Mit ihren Unzulänglichkeiten hadern sie, mit körperlichen Wehwehchen, sie sehnen sich nach Glück, so klein es auch sein mag – der Angestellte in einer Aztpraxis (»Der dritte Zustand«), die kinderlose Lehrerin (»Nenn die Nacht nicht Nacht«), der Steuerberater (»Allein das Meer«) oder der Schriftsteller (»Verse auf Liebe und Tod«). Nie wird alles in Erfüllung gehen, was sie sich wünschen, aber etwas wird geschehen, was ihnen Hoffnung gibt.

Rauchblau – in dieser Farbe erscheinen mir die Bücher von Amos Oz, rauchblau und darin mitunter ganz plötzlich ein goldener Funke. Die Kuppel, unter der sich ein Mensch befindet, kann sich öffnen für einen Moment. Durch eine besondere Art von Wahrnehmung der Wirklichkeit zwischen Schlaf und Wachen, zwischen Traum und Tag. Und der Einzelne, so emporgehoben, weiß doch: Seine Prüfungen hat er auf dem Boden der Banalitäten zu bestehen. »Wer ein wenig Barmherzigkeit hat, wird überall Barmherzigkeit finden.«

»Ein wenig« – ein wichtiger Gedanke für Amos Oz. Nicht auf ein vollkommenes Ganzes hinauswollen und sich verrennen. Nichts zuspitzen oder übertreiben, was selbst die besten Beweggründe in etwas Zwanghaftes verkehren würde. Locker bleiben, menschlich, sich in andere hineinversetzen, über sich selber lachen. »Fanatismus, Hass, Besessenheit – ich habe das jahrelang studiert, könnte gut und gern einen Lehrstuhl für vergleichenden Fanatismus übernehmen«, sagte Amos Oz 1997 im Berliner Haus der Kulturen der Welt. »So unversöhnlich sie auch sind, Fanatiker gleichen sich in vielem: Sie sehen sich hundertprozentig als öffentliche Persönlichkeiten, verfügen kaum über ein Privatleben und haben niemals Humor. Man müsste Humor in Kapseln verteilen können, da wäre aber die Frage, ob man als Anti-Fanatiker nicht selbst Fanatiker würde.«

Jemandem, der noch nichts von diesem Autor gelesen hat, sei für den Anfang als politischer Essay »Wie man Fanatiker kuriert« empfohlen und als Roman »Der dritte Zustand« oder vielleicht doch gleich »Eine Geschichte von Liebe und Finsternis«, dieses Mammutwerk, das um das Schicksal seiner Familie und den Selbstmord seiner Mutter kreist. Nach deren Tod verließ Amos Klausner sein Elternhaus, zog in einen Kibbuz und nahm den Namen Oz an, der Kraft und Stärke symbolisiert. So wollten viele Kinder von Einwanderern waschechte Israelis werden, ehe sie verstanden: Die Bindungen an Europa bestehen weiter, sind gleichsam in ihren Genen.

Amos Oz' Großeltern stammten aus Odessa, von wo sie 1917 nach Vilnius flüchteten und 1933 nach Palästina. »Bücher füllten unser Haus. Mein Vater konnte sechzehn oder siebzehn Sprachen lesen und konnte elf sprechen (alle mit einem russischen Akzent). Meine Mutter sprach vier oder fünf Sprachen und las sieben oder acht.« Wie konnte der Sohn da annehmen, dauerhaft mit Feldarbeit glücklich zu sein!

Liegt es an seinen slawischen Wurzeln, dass er so gern von Tschechow spricht? Seit meiner ersten Begegnung mit ihm geht mir nicht aus dem Kopf, was er über diesen russischen Schriftsteller sagte, exemplarisch für seine eigene Haltung zum Leben. Im Israel-Palästina-Konflikt könne man zwischen zwei sehr traurigen Lösungswegen wählen – wie bei Shakespeare oder wie bei Tschechow. »In Shakespeares Königsdramen ist die Bühne mit toten Körpern bedeckt, die vielleicht Gerechtigkeit gefunden haben, indem sie miteinander gestorben sind.« Er selbst jedoch ziehe die Variante Tschechows vor: »Bei ihm ist am Ende jeder unglücklich, frustriert, melancholisch, aber wenigstens sind alle am Leben geblieben.«

Neu bei Suhrkamp: der Sammelband »Die Romane« von Amos Oz mit den Werken »Ein anderer Ort«, »Mein Michael«, »Der perfekte Frieden«, »Black Box«, »Eine Frau erkennen«, »Der dritte Zustand«, »Nenn die Nacht nicht Nacht«, »Eine Geschichte von Liebe und Finsternis«, einem Nachwort von Ulla Unseld-Berkéwicz und einem Essay von Martin Ebel. (2569 S., brosch., 32 EUR).

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2009


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