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Palästinenser sind unerwünscht

Israelisches Menetekel: Arabische Ortsschilder werden entfernt

Von Ekkehart Krippendorff *

An schlechte Nachrichten sind wir ja inzwischen gewöhnt - nicht zuletzt aus dem Krisengebiet Israel/Palästina. Die seit langem erschreckendste Nachricht aber kam dieser Tage ganz harmlos daher: In Israel hat Transportminister Israel Katz von der Likud-Partei verfügt, landesweit nur noch hebräisch geschriebene Ortsnamen zuzulassen und aus neuen Straßenschildern die arabische Schreibweise bzw. die arabischen Namen zu tilgen.

In Israel leben 5,5 Millionen Juden und 1,3 Millionen Araber, arabisch ist offiziell (noch) zweite Amtssprache. Diese Maßnahme kam genau zu dem Zeitpunkt, als Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Druck der USA erstmals von der Möglichkeit eines palästinensischen Staates gesprochen hat (ein Staat, der, wenn er alle israelischerseits damit verknüpften Auflagen erfüllen sollte, den Namen »Staat« zur Farce machen würde). Was ist der - unheimliche - Zusammenhang?

Ein palästinensischer Staat böte den ultranationalistischen Scharfmachern, von denen einige - wie Katz oder auch Außenminister Avigdor Lieberman - inzwischen in der Regierung angekommen sind, die Möglichkeit, unbequeme palästinensische Israelis bei »Terrorismusverdacht« abzuschieben. Stimmen noch radikalerer Art, die die Aussiedlung sämtlicher palästinensischen Bürger in Erwägung ziehen, auf dass Israel ein homogen jüdischer Nationalstaat werde, sind bereits in Umlauf. Der spektakuläre Mauerbau war ja nur der erste unmissverständliche Schritt zur deutlichen Trennung Israels von seiner palästinensischen Um- und Mitwelt, die brutal sichtbare Demonstration einer Strategie, Israel als Fremdkörper im arabischen Raum festzuschreiben.

Mit der neuen Namensschilder-Regelung wird nun den eigenen Palästinensern einmal mehr deutlich gemacht, nicht, dass sie in Israel trotz eigener Parteien und Abgeordneter in der Knesset nicht nur Bürger zweiter Klasse sind (das wissen sie ohnehin), sondern dass sie in diesem Staat überhaupt unerwünscht sind und keine Perspektive haben werden: Sie sollten sich besser mit dem Gedanken der Auswanderung in den irgendwann einmal unvermeidlichen Staat Palästina vertraut machen. Und eines Tages könnte es sogar heißen: »Und gehst du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.«

Man darf, man muss aus der Geschichte lernen, von der es vor allem in Bezug auf den Nazismus und die Gräuel des Holocaust heißt, sie dürfe sich nicht wiederholen. Wir wissen heute, dass die Mitte der 30er Jahre in deutschen Städten, Dörfern und öffentlichen Einrichtungen angebrachten Schilder »Juden sind hier unerwünscht« der harmlos erscheinende, aber jedermann sichtbare erste Schritt zur Vertreibung waren: Den Juden wurde unmissverständlich klargemacht, dass sie nicht zur »Volksgemeinschaft« gehörten. Das strategische Ziel war, »Deutschland judenrein« zu machen. Bekanntlich spielte die NS-Regierung damals noch mit dem Gedanken einer Aussiedlung etwa nach Madagaskar.

Die scheinbar harmlose Verwaltungsmaßnahme des israelischen Verkehrsministers enthält das Potenzial einer ähnlichen Ungeheuerlichkeit. Wo bleibt da die Stimme des Zentralrats der Juden, der regelmäßig die Politik israelischer Regierungen gegen Kritiker verteidigt? Hält er wenigstens hier vor dem Hintergrund der Geschichte der eigenen Ausgrenzung und Vertreibung nicht einen bescheidenen Protest für angebracht? Zu erinnern an die Vision eines Martin Buber und der Gründungsväter vom binationalen Charakter des jungen Staates?

Die Maßnahme des Verkehrsministers ist zugleich ein Schlag ins Gesicht aller Friedensforscher und Friedensaktivisten, die überall in der Welt in ethnisch-politischen Konflikten Brücken bauen, für praktische Toleranz arbeiten, interkulturelles Verständnis fördern. Anstatt dass die Regierung Israels Arabisch als Zweitsprache in den Schulen lehrt, um langfristig die notwendigen israelisch-palästinensischen Dialoge möglich zu machen, lernen die jungen Israelis englisch und wird nun auch die Zweisprachigkeit von Ortsnamen und Verkehrsschildern dem Englischen vorbehalten. Die Abgrenzung Israels von seiner arabischen Umwelt wird damit zusätzlich zementiert und festgeschrieben - während doch genau das Gegenteil das Ziel einer zukunftsfähigen klugen Regionalpolitik sein sollte.

Aber es gibt dieser Tage auch eine optimistisch stimmende Nachricht, die sich in den schockierenden, aber leider nicht mehr überraschenden Berichten über mutmaßliche israelische Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg verbirgt und wert ist, gewürdigt zu werden: In welchem Land der Welt hat es je etwas so Unerhörtes gegeben, dass eine Gruppe Soldaten inmitten eines permanenten Kriegszustandes den Mut hat, mit »Breaking the Silence« das eigene Militär und dessen Führung offen und öffentlich anzuklagen, wohl wissend, dass ohne seine Armee Israel nicht überleben könnte - ohne für diesen Tabubruch bestraft zu werden?

Es gibt es also, das andere, das bessere, das mutige, menschenrechtlich sensible Israel, das unsere Unterstützung und Solidarität verdient. In Deutschland hat es vierundsechzig Jahre gedauert, bis in diesem Monat vom Bundestag den hingerichteten »Kriegsverrätern« der Wehrmacht ihre historische Würde und ihr Anstand zurückgegeben wurden.

* Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff lehrte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2009



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