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Olmert gibt auf

Israels Premier tritt im September zurück *

Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat seinen Rücktritt in sieben Wochen angekündigt. Ungeachtet dessen wollen Israel und Palästinenser ihre Friedensgespräche fortsetzen.

Der durch Korruptionsvorwürfe massiv unter Druck stehende israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hat überraschend seinen politischen Rückzug angekündigt. Er werde bei den Vorwahlen innerhalb seiner Kadima-Partei Mitte September nicht mehr als Kandidat antreten, sagte Olmert am Mittwoch. Nach der Wahl seines Nachfolgers für den Vorsitz der Kadima- Partei werde er dann als Ministerpräsident zurücktreten, um eine schnelle Regierungsbildung zu ermöglichen.

»Ich habe Fehler gemacht, und das weiß ich.« Er werde seine Unschuld beweisen, kündigte Olmert mit Blick auf das gegen ihn laufende Korruptionsverfahren an. »Ich habe beschlossen, bei den Vorwahlen der Kadima nicht anzutreten«, sagte Olmert in der im Fernsehen übertragenen Ansprache weiter.

Nach Olmerts Rücktritt wird Präsident Shimon Peres einen Kandidaten benennen, der eine Mehrheit hinter sich bringen kann. Dieser hat dann 42 Tage Zeit für die Regierungsbildung. In dieser Zeit wird Olmert die Übergangsregierung führen. Olmert betonte, er werde seine Ämter ehrenhaft und auf korrekte und verantwortungsvolle Weise abgeben, »genauso, wie ich auch während meiner Amtszeit gehandelt habe«.

Der 62-jährige Olmert ist seit mehr als zwei Jahren Regierungschef, er trat die Nachfolge des nach einem Schlaganfall ins Koma gefallenen Ariel Scharon an. Wegen Korruptionsvorwürfen geriet er in den vergangenen Monaten immer stärker unter Druck. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, mehrfach illegale Gelder von dem US-Geschäftsmann Morris Talansky angenommen zu haben. Zuletzt wurde er verdächtigt, als Bürgermeister von Jerusalem sowie als Industrie- und Handelsminister Dienstreisen mehrfach abgerechnet zu haben.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas versicherte, auch mit dem neuen israelischen Regierungschef zusammenarbeiten zu wollen. Olmerts Rückzug sei eine »interne Angelegenheit« Israels. Abbas' Sprecher Nabil Abu Rudeina sagte, dass die Teilnahme des israelischen Regierungschefs am Friedensprozess wichtig sei. Daher werde Abbas mit jedem israelischen Ministerpräsidenten zusammenarbeiten. Auch die USA kündigten an, mit jeder neuen israelischen Regierung zusammenzuarbeiten. Trotz des bevorstehenden Rückzugs Olmerts werde die USRegierung am Friedensfahrplan für den Nahen Osten festhalten, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Gordon Johndroe.

Oppositionsführer Benjamin Netanjahu hat unterdessen Neuwahlen gefordert. »Diese Regierung hat ihre Mission beendet«, sagte der Chef der rechtsgerichteten Likud-Partei am Donnerstag. Jedes Mitglied des Kabinetts von Olmert sei für »eine Serie von Misserfolgen« verantwortlich. Das Volk müsse nun bei Neuwahlen über die Regierung entscheiden, deren Mitglieder sich an ihre Stühle klammerten, sagte Netanjahu.

* Aus: Neues Deutschland, 1. August 2008

Kommentare

Roland Etzel stellt im "Neuen Deutschland" fest, der ursprünglich erfolgsverwöhnte Olmert sei als Premierminister von Anfang an eine "Zweitbesetzung" gewesen.

Zum Höhenflug im Amt des Premiers hat es nicht gereicht. Der politische Aufsteiger Ehud Olmert, der einst in Jerusalem den legendären Teddy Kollek als Bürgermeister verdrängte, galt als Ministerpräsident von Anfang an als Zweitbesetzung. Olmert wurde zur Landung gezwungen, noch bevor er abheben konnte. Seine kurze Ära als Premier Israels geht zu Ende. Galt er bislang schon nur noch als lahme Ente, weil ihm wegen der Korruptionsvorwürfe kaum jemand Chancen auf eine Wiederwahl als Parteichef einräumte – die Voraussetzung, um weiter Premier sein zu können –, so ist diese Ente nun ganz stehengeblieben.

Noch letzte Woche gab sich Olmert kämpferisch, doch wirkte diese Attitüde bloß noch lächerlich. Oder wie soll man es werten, wenn die Gremien in der Partei, deren Vorsitzender Olmert ist, an ihm vorbei seine

Nachfolge organisieren? Bedenkenswert ist, dass Olmert nicht scheiterte, weil er vor zwei Jahren in Libanon Krieg führte, wobei durch israelische Bomben Hunderte Zivilisten starben, auch UNO-Soldaten, und eine Ölpest verursacht wurde, sondern eher, weil die eigenen Verluste dabei unerwartet hoch ausfielen – und wegen im Vergleich dazu harmloser Korruptionsanschuldigungen.

Die eigentlichen Verlierer der Affäre könnten die Palästinenser sein, denn alle, die als potenzielle Nachfolger Olmerts nun in den Startlöchern sitzen, gelten an ihm gemessen als politische Scharfmacher.


Susanne Knaul zieht in der taz eine "verheerende Bilanz" von Olmerts Amtszeit und stellt nüchtern fest, dass sich auch ohne Olmert für die Palästinenser wenig ändern dürfte.

(...) Selbst Ariel Scharon beendete seine von Krieg gezeichnete Laufbahn mit dem Abzug aus dem Gazastreifen; Ehud Barak, der am Frieden mit den Palästinensern und Syrien scheiterte, zog wenigstens die Truppen aus dem Libanon ab. Von Olmert hingegen bleibt nur ein bitterer Nachgeschmack. Eine Mischung aus dem Gedanken an die vielen Opfer des Libanon-Feldzuges und der endlosen Reihe von Korruptionsvorwürfen.
(...)
Für den Friedensprozess mit der PLO spielt es dennoch keine sonderlich große Rolle, ob es Olmert ist, der in Jerusalem das Zepter hält, oder ein anderer. Unter den relevanten Politikern herrscht in den Kernfragen weitgehend Konsens. Der angekündigte Rücktritt des israelischen Ministerpräsidenten ist deshalb für die palästinensische Führung so unspektakulär, dass sie es noch nicht einmal für nötig befanden, öffentlich darauf zu reagieren.
Auch mit Blick auf Syrien ändert die sich frühestens für den Spätherbst abzeichnende neue israelische Führungslage wenig, da momentan Damaskus direkte Gespräche ablehnt. Frischer Wind für beide nahöstlichen Friedensgleise könnte einzig aus dem Weißen Haus kommen, wenn dort der neue Chef einzieht.


Inge Günther (Frankfurter Rundschau) teilt die Skepsis bezüglich der trüben Aussichten für die Palästinenser. Eine Nachfolgerin Namens Zipi Livni könnte wenigstens für "Kontinuität" sorgen.

(...) Entsprechend trüb sind die Aussichten im Nahost-Friedensprozess. Allerdings nicht erst seit gestern. Olmert kann sich zwar zugute halten, nach jahrelangem Stillstand die Gespräche mit den Palästinensern wieder angeschoben zu haben.
Ähnliches gilt für die indirekten Verhandlungen via Türkei zwischen Israel und Syrien. Nur, Olmerts Stärke lag dabei eher im Verbalen. Das Regierungshandeln widersprach oft eklatant seinen schönen Reden, wonach Frieden mit den Nachbarn im höchsten israelischen Interesse liege.
Statt den Siedlungsbau konsequent auf Eis zu legen, wie in der internationalen Roadmap, der Straßenkarte zum Frieden, verlangt, wurden seit Beginn des Annapolis-Prozesses im vergangenen November kräftig Baulizenzen an Siedler in der Westbank wie in Ost-Jerusalem verteilt.
Auch sonst gab es kaum nennenswerte Zugeständnisse an die moderate palästinensische Führung. Stets wurde bedauernd auf Koalitionsrücksichten verwiesen. Umso großspurigere Töne spuckt jetzt die Hamas in Gaza. Sie nahm Olmerts Rücktrittankündigung als Beleg für das, was sie schon immer behauptet: nämlich dass man Verhandlungen mit den Israelis von vornherein vergessen könne.
Olmert hat noch eine letzte Gelegenheit, dem entgegenzuwirken. Wenn ihm wirklich am Friedensprozess liegt, muss er für Kontinuität sorgen. Die kann nur Zipi Livni garantieren, die Chefin des Verhandlungsteams mit der palästinensischen Seite. Derzeit munkelt man, Olmert wolle aus persönlicher Ranküne Zipi Livni als Nachfolgerin verhindern. Um wenigstens seine politische Glaubwürdigkeit zu retten, muss Olmert über diesen Schatten springen.

Der Wiener "Standard" hat weitere internationale Pressestimmen gesammelt. Tenor: Niemand wird Olmert vermissen.

"Le Monde" (Paris):
"Seit dem Mandat von Yitzhak Shamir (1986-92) hat kein israelischer Ministerpräsident eine Legislaturperiode beendet. Es gab die angeborenen Schwächen der verschiedenen Koalitionen, die allzu häufig aus kleinen Parteien mit wechselnden Interessen bestanden, und dann kam die Ermordung von Yitzhak Rabin 1995. Selbst wenn Außenministerin Tzipi Livni, die Kandidatin der Militanten in der Kadima-Partei, es schafft, die Macht zu übernehmen, besteht die Gefahr, dass ihre wohlüberlegten diplomatischen Initiativen an der Zersplitterung der Kräfte in der Knesset scheitern."

"La Repubblica" (Rom):
"Gegen ihn soll es, die Korruptionsvorwürfe betreffend, einen Berg an Beweisen geben. Auch der ehemalige Anwalt Ehud Olmert ist nicht darum herumgekommen, dies so zur Kenntnis zu nehmen und von der politischen Bühne abzutreten. Der Regierungschef war also gezwungen, das Redliche zu tun, was ihm fairerweise Gegner und politische Fachleute hoch angerechnet haben. Er hat das Handtuch geworfen. Ein anständiger Schritt, der gleichwohl zu einer Krise führt, die nicht so leicht gelöst werden kann. Und der auch den Friedensprozess aufs Spiel setzt, die radikalislamische Hamas jubeln lässt und den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas nicht wenig in Verlegenheit bringt."

"The Independent" (London):
"Olmert hat seinen Rückzug erst angekündigt, nachdem ihm klar war, dass er als Kandidat seiner eigenen Kadima-Partei um die Spitzenposition an letzter Stelle steht. Er wollte sich auch die Erniedrigung einer Klage wegen Korruption im Amt ersparen. Er hätte aber mehr tun können. Nur ein starker politischer Führer kann über Frieden verhandeln, und Israel kann sich keine schwache Führung leisten. Hoffentlich wird die Wahl das Problem lösen, doch wegen des israelischen Wahlsystems, das kleinen extremen Parteien unangemessenes Gewicht gibt, könnte das schwierig werden. Olmert hätte seinem Land und der Region einen besseren Dienst erwiesen, wenn er früher zurückgetreten wäre."

"Süddeutsche Zeitung" (München):
"Olmert erweist mit seinem Rückzug auf Raten Israel einen letzten Dienst - und zeigt wenigstens einen Funken Würde, wenn auch Monate zu spät. Vermissen wird man ihn nicht. Unwiederbringlich ruiniert hatte Olmert seinen Ruf durch den überstürzt beschlossenen Libanon-Krieg 2006. Eine Untersuchungskommission warf ihm schwerwiegende Fehler vor. Der Meister der Verdrängung behauptete zwar, der Krieg sei zielführend gewesen, aber die entführten Soldaten konnten nicht befreit werden und die Hisbollah-Miliz bewaffnet sich wieder. Die Korruptionsaffären des Luxus-Liebhabers Olmert brachten das Fass zum Überlaufen. Da half auch kein Ablenkungsmanöver mehr (...) Im Schatten der innenpolitische Malaise werden die Gespräche mit den Palästinensern nicht weiterkommen."

"de Volkskrant" (Den Haag):
"Die Anschuldigungen gegen den Premier sind schwerwiegend und schaffen eine Atmosphäre, die keinem Land zu wünschen sind, ganz sicher nicht Israel in der jetzigen unsicheren Situation. (...) Nur ein glaubwürdiger Politiker kann heikle Verhandlungen mit Erfolg führen - und dann die Israelis davon überzeugen, dass sie Konzessionen machen müssen, die für einen Frieden unausweichlich sind. Dafür ist Olmerts Weste zu beschmutzt. Die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Frage, ob die heutige Koalition erhalten bleibt und wer an Olmerts Stelle tritt. Aber auf längere Sicht ist ein umfassender Machtwechsel mindestens ebenso wichtig. Denn die jetzige politische Konstellation hat einen etwas byzantinischen Einschlag - mit Schwindeleien, zu vielen Parteien, die jeweils vor allem die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen vertreten, und zu vielen "alten Elefanten" im Zentrum der Macht. Das Land braucht neues politisches Blut."




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