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Mythos vom langen Arm

Israels Geheimdienst Mossad soll Wissenschaftler im Iran ermordet haben. Teherans Atomprogramm wird durch Terroranschläge weder verhindert noch verzögert

Von Knut Mellenthin *

Israels Mossad ist vermutlich der einzige Geheimdienst der Welt, der sich gern mehr Verbrechen andichten läßt, als er wirklich begangen hat. Den Mythos vom »langen Arm«, dem fast gar nichts unmöglich ist, ermutigt und pflegt Israel gern durch eigene Desinformationen. Für deren Verbreitung sorgen unter anderem der Mossad-nahe Online-Dienst Debkafile, israelische Tageszeitungen, aber auch freundlich gesonnene Journalisten in aller Welt.

Nach der Ermordung eines iranischen Wissenschaftlers am 11. Januar schwirren wieder einmal die Gerüchte. So behauptete die Sunday Times am Wochenende, sie habe von einer anonymen »israelischen Quelle« erfahren, daß der Bombenanschlag vom Mossad organisiert worden sei. »Kleine Gruppen von Mossad-Agenten« hätten zuvor »sorgfältig Schlüsselgebiete in Teheran observiert«, die für das Attentat relevant erschienen. Die Überwachung des Wissenschaftlers sei von einem »improvisierten Kontrollraum in einem nahegelegenen abgesicherten Haus« aus erfolgt. Der Anschlag sei als »Vorläufer, nicht als Alternative« zu Militärschlägen gedacht gewesen.

Die Sunday Times gehört zum Medienimperium News Corporation. Dessen Gründer und Chef ist der Neokonservative Rupert Murdoch. Das Blatt ist seit Jahren dafür bekannt, daß es Falschmeldungen verbreitet, an denen der Mossad und andere israelische Stellen interessiert sind.

Vertrauliche Quellen

Schon am Tag des Anschlags hatte die konservative französische Tageszeitung Le Figaro behauptet, daß Mossad-Agenten in Kurdistan – gemeint war offenbar der irakische Teil – aktiv seien, um iranische »Dissidenten« für den Kampf »gegen das Ajatollah-Regime« zu rekrutieren und auszubilden. Der Bericht beruhte angeblich auf einer »Sicherheitsquelle in Bagdad«, deren Name nicht genannt wurde. Am selben Tag meldete der US-amerikanische Journalist Richard Silverstein, seine »eigene vertrauliche israelische Quelle« habe ihm »bestätigt«, daß der Mord eine gemeinsame Arbeit des Mossad und der exiliranischen Organisation MEK, auch bekannt als »Volksmudschaheddin«, gewesen sei. Drei Tage später berichtete auch das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time unter Berufung auf »westliche Geheimdienstquellen«, daß der Mossad für das jüngste Attentat verantwortlich sei.

Den Rahmen der üblichen Gerüchte und Vermutungen sprengte ein Artikel von Mark Perry, der am 14. Januar im Magazin Foreign Policy erschien. Der Autor behauptete, daß Mossad-Agenten zumindest in den Jahren 2007 und 2008 Mitglieder der terroristischen Separatistenorganisation Jundallah, die in der iranischen Provinz Sistan und Baluchestan aktiv ist, rekrutiert, ausgebildet und unterstützt hätten. Der eigentliche Sprengstoff dieser Story: Die Israelis hätten sich gegenüber den Jundallah-Leuten als US-Amerikaner ausgegeben und diese Legende unter anderem mit gefälschten Pässen untermauert. Perry behauptete, daß die Geschichte ihm von zwei aktiven und vier im Ruhestand befindlichen US-Geheimdienstlern erzählt worden sei. Der damalige Präsident George W. Bush sei »total in die Luft gegangen«, als er davon erfuhr. Jetzt war die Meldung allerdings keiner der beiden Seiten eine offizielle Stellungnahme wert.

Intelligente Strategie

Die Ermordung iranischer Wissenschaftler wird in den meisten westlichen Mainstreammedien als intelligente israelische »Strategie« zur »Verzögerung von Teherans Atomwaffenentwicklung« glorifiziert. Sachlich läßt sich dieser Mythos allerdings nicht aufrecht erhalten. Seit Beginn der Anschlagserie im Januar 2010 wurden vier Wissenschaftler ermordet, ein fünfter überlebte mit relativ leichten Verletzungen. Das erste Opfer, der Physikprofessor Masud Ali-Mohammadi, hatte so wenig mit Nuklearphysik und dem iranischen Atomprogramm zu tun, daß sofort Gerüchte umliefen, er sei von Beauftragten des »Regimes« umgebracht worden, weil er mit der Opposition sympathisiert habe. Am 23. Juli 2011 wurde der Elektronikstudent Da­riusch Rezaei ermordet, der gleichfalls nichts mit dem Atomprogramm zu tun hatte und möglicherweise aufgrund einer Namensverwechslung ins Visier der Auftraggeber geraten war. Der am 11. Januar dieses Jahres getötete Mostafa Ahmadi Roschan hatte nach iranischen Angaben über Ölwirtschaft promoviert. Er soll zwar als stellvertretender Abteilungsleiter in der Urananreicherungsanlage von Natanz gearbeitet haben, aber dort nur für den Einkauf zuständig gewesen sein. Es gibt keine Hinweise, daß er Nuklearwissenschaftler war. Einzig und allein Fereydun Abbasi-Davani, der am 29. November 2010 durch eine Bombe an seinem Auto verletzt wurde, scheint eine bedeutende Stellung im Atomprogramm gehabt zu haben. Er leitet jetzt die Iranische Atomenergiebehörde.

Die Opfer der Anschläge hatten nur eine entscheidende Gemeinsamkeit: Alle waren Dozenten, die regelmäßig von ihrer Wohnung zu ihrem Arbeitsplatz an der Universität fuhren und dadurch leicht auszuspähen und anzugreifen waren. Wer immer die Morde organisiert hat: Er entschied nach Bequemlichkeit und Sicherheit der Durchführung, nicht nach der Stellung der Zielpersonen im Atomprogramm. Daß dadurch irgend etwas aufgehalten oder verzögert werden könnte, werden die Drahtzieher selbst nicht geglaubt haben.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2012


Der teuerste Wurm aller Zeiten

Von Knut Mellenthin **

Wenn vom „verdeckten Krieg“ gegen das iranische Atomprogramm die Rede ist, taucht regelmäßig der Computerwurm Stuxnet wieder auf, der in den Jahren 2009 und 2010 sein Unwesen trieb und von Spiegel Online als „großer Erfolg“ gefeiert wurde. Die New York Times bezeichnete den Störenfried am 15. Januar 2011 als „technisch raffinierteste Cyberwaffe, die jemals entwickelt wurde“. Stuxnet sei „der größte Einzelfaktor“ gewesen, der dazu geführt habe, dass sich die imaginäre Entwicklung einer iranischen Atombombe aufgrund „technischer Schwierigkeiten“ womöglich um drei Jahre, nämlich bis 2015 verzögern werde. Das jedenfalls behauptete der damalige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Meir Dagan, in der Knesset.

Mit vielen liebevoll ausgeschmückten Details, aber ohne eine einzige überprüfbare Quelle schilderte die New York Times vor einem Jahr, wie der Computerwurm angeblich in monatelanger Gemeinschaftsarbeit von den USA und Israel entwickelt worden sei. In einem unterirdischen Bunker des israelischen Reaktors Dimona sei sogar die Anreicherungsanlage von Natanz nachgebaut worden, um den Wurm zu testen. Die angebliche Wirkungsweise von Stuxnet ist so, dass er das Computerprogramm durcheinander bringt, das die Zentrifugen steuert. Dadurch würden diese abwechselnd extrem stark beschleunigt und dann jäh abgebremst. Das zerstöre die Maschinen schon nach kurzer Zeit, erläuterte die Zeitung.

Für die wirklichen Auswirkungen von Stuxnet gibt es jedoch klare Anhaltspunkte. Die Uran-Anreicherung in Natanz wird nämlich von der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEA ständig intensiv kontrolliert – durch rund um die Uhr laufende Monitoren und Messgeräte sowie durch regelmäßige Inspektionen. Seit dort im Februar 2007 die Arbeit aufgenommen wurde, lag bei allen Besuchen der Inspektoren ein erheblicher Teil der installierten Zentrifugen gerade still. Die Zahl der arbeitenden Maschinen schwankte deutlich: zwischen einem Maximum von 4920 (31. Mai 2009) und einem Minimum von 3772 (29. Januar 2010). Bei einer Inspektion am 16. November 2010 wurde sogar festgestellt, dass keine einzige Zentrifuge in Betrieb war. Allerdings liefen kurz vorher und kurz nachher rund 4800 Maschinen.

Wie weit das aber wirklich dem Wurm zuzuschreiben ist, lässt sich nicht genau ermitteln. Das größte technische Problem liegt offenbar darin, dass Iran in Natanz immer noch ausschließlich die veralteten, sehr störanfälligen Zentrifugen im Einsatz hat, die von der IAEA als IR-1 bezeichnet werden und ursprünglich aus Pakistan stammen. Außerdem behauptete selbst die New York Times lediglich, dass etwa ein Fünftel aller iranischen Zentrifugen vorübergehend durch Stuxnet lahmgelegt worden sei. Diese Störungen erstreckten sich insgesamt ungefähr über ein Jahr. Das kann also die iranische Uran-Anreicherung unmöglich „um Jahre zurückgeworfen“ haben.

Die Entwicklung von Stuxnet wird die USA und Israel vermutlich, niedrig geschätzt, mehrere Millionen Dollar gekostet haben. Das Ergebnis aber war letztlich nicht viel mehr als politische Effekthascherei. Inzwischen hat Iran begonnen, die alten Zentrifugen durch zwei neuere Modelle zu ersetzen, die um ein Mehrfaches effektiver sind.

** Aus: junge Welt, 18. Januar 2012

Zitate: "Mord ist eine wundervolle Sache"

»Ein Wissenschaftler, der im Iran am Atomprogramm mitgearbeitet hat, ist ums Leben gekommen. Ich meine, das ist eine wundervolle Sache, ehrlich gesagt. Ich denke, wir sollten eine klare Botschaft aussenden: Wenn du ein Wissenschaftler aus Rußland, Nordkorea oder aus dem Iran bist und du arbeitest an einem Atomprogramm mit, um für Iran eine Bombe zu entwickeln, dann ist dein Leben nicht sicher.«
Rick Santorum, christlich-fundamentalistischer Präsidentschaftsbewerber der US-amerikanischen Republikaner, 12. Januar 2012

»Ich weiß nicht, wer an dem iranischen Wissenschaftler Vergeltung geübt hat. Aber ich vergieße ganz bestimmt keine Träne.«
Brigadegeneral Joaw Mordechai, israelischer Militärsprecher, 11. Januar 2012

»2012 wird voraussichtlich ein entscheidendes Jahr werden, was die Fortsetzung der (iranischen) Nuklearisierung, die inneren Veränderungen in der iranischen Führung, den zunehmenden Druck der internationalen Gemeinschaft und die Dinge, die ihnen auf unnatürliche Weise zustoßen werden, angeht.«
Generalleutnant Benny Gantz, Stabschef der israelischen Streitkräfte, 11. Januar 2012

»Ich glaube, ehrlich gesagt, daß halbherzige Maßnahmen wie Morde oder Sanktionen nur dazu führen, den Ausbruch der Krise zu beschleunigen. Der bessere Wege, um Iran am Erwerb von Atomwaffen zu hindern, besteht darin, ihr Atomwaffenprogramm direkt anzugreifen und ihre Kontrolle über den nuklearen Brennstoffkreislauf zu brechen.«
John Bolton, Botschafter der USA bei der UNO 2005–2006, 11. Januar 2012

»Selbst den wildesten schiitischen Muslimen, (...) wird es schwer fallen, zu glauben, daß es reiner Zufall ist, wenn Leute aus Irans Atomindustrie in die Luft fliegen. Und es sind genau diese Leute, und niemand sonst, die ungefähr alle zwei Monaten das Todesschicksal trifft. (...) Die Unklarheit (die diese Morde umgibt) dient folgendem Zweck: Sie vermittelt, daß Israel weiß, wer im iranischen Atomprojekt tätig ist, daß Israel weiß, wo und wann sie zu finden sind und wie man sie aus der Gemeinschaft der Wissenschaftler auslöschen kann.«
Amir Oren, Kolumnist der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz, 12. Januar 2012




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