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Liebermanns Rundbrief

Eine definitive Absage an israelisch-palästinensische Friedensverhandlungen

Von Norman Paech *

Der 26. Januar ist verstrichen, ohne dass Israel – wie verabredet – dem Nah-Ost-Quartett aus USA, Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik seine Vorstellungen für die Wiederaufnahme der Gespräche überreicht hätte. Präsident Abbas hatte dies für die PLO Anfang des neuen Jahres getan und steht jetzt wieder vor den alten Ruinen, die immer noch den zerschlissenen Titel „Friedensprozess“ tragen. Ein weiteres halbes Jahr der Täuschung, Irreführung und des Verrats, welches nichts anderes als mehr Siedler mit ihren Bauten, Überfälle, Geiselnahmen, gezielte Tötungen und Drohungen mit einem neuen militärischen Überfall mit sich gebracht hat. Über diese erneute Sackgasse, in die das Quartett die Palästinenser getrieben hat, durften sich die vier Regierungen keine Illusionen machen, denn sie kannten die Position der Israelis: keine Verhandlungen mit Abbas, unter keinen Bedingungen.

Dies hatte Außenminister Avigdor Liebermann am 26. Oktober 2011 allen israelischen Botschaften in einem Rundschreiben als außenpolitische Richtlinie mitgeteilt – es war den vier Regierungen nicht verborgen geblieben. Es ist ein Papier kruder Realitätsverdrehung, dreister Behauptungen und definitiver Absage an irgendwelche Friedensverhandlungen. Liebermann eröffnet mit der Anpreisung seiner vielfältigen „vertrauensbildenden Maßnahmen“, um eine „günstige Atmosphäre für die Wiederaufnahme politischer Gespräche“ mit der palästinensischen Regierung zu schaffen. Vor allem sei es der Regierung in Jerusalem um die Stärkung des wirtschaftlichen Wachstums in den palästinensischen Gebieten gegangen. Aber auch die Anerkennung der Zwei-Staaten-Lösung, das 10-monatige Siedlungsmoratorium seit November 2009, die Reduzierung der Straßensperren auf insgesamt 16, der bedeutende Anstieg palästinensischer Arbeitskräfte auf 30.000, denen es erlaubt wird, ihren Lebensunterhalt in Israel zu verdienen – eine Ansammlung von Halbwahrheiten, die erwiesenermaßen nichts zur Verbesserung des politischen Klimas beigetragen haben.

Liebermann verschweigt, dass das Moratorium nicht für Ost-Jerusalem, dem Hauptfeld der Bautätigkeiten, nicht für bereits begonnene Bauten und weitere Genehmigungsverfahren gegolten hat. Er schweigt darüber, dass 2011 20% mehr Siedlungsbauten errichtet wurden als 2010. Auch die Zahl der zerstörten Häuser und Wohngebäude stieg 2011 gegenüber dem Vorjahr um 50 %, fast 1.100 Menschen, die Hälfte davon Kinder, wurden vertrieben. Noch in der vergangenen Woche wurden wiederum 50 Menschen durch die Zerstörung ihrer Häuser obdachlos. Die UNO geht nach wie vor von etwa 500 Checkpoints und Straßensperren in der Westbank aus, die das Leben der Palästinenser massiv behindern.

Liebermann wirft Abbas und seiner Authority in Ramallah vor, systematisch an der Delegitimierung Israels und der Verunglimpfung seines Bildes in der Welt zu arbeiten: So mit dem Versuch, israelische Offizielle wegen der Operation Cast Lead vor den Internationalen Strafgerichtshof in den Haag zu zerren, obwohl Abbas selbst Israel um die Fortsetzung des Krieges bis zur Beseitigung des Hamas-Regimes gebeten habe. Dies hatte Abbas allerdings sofort als Verleumdung zurückgewiesen. Liebermann listet alles auf, was ihm derzeit auf der Leber liegt: „Die anhaltende Stärkung einer Kultur der Terror-Glorifizierung durch das unverfrorene Gedenken an die Brutalitäten gegen israelische Zivilisten“, die er in den Straßennamen sieht, die nach palästinensischen Kämpfern benannt worden sind. Für ihn sind es alle Terroristen, auch die aus den israelischen Gefängnissen im Austausch gegen Gilat Shalid entlassenen Palästinenser, die obendrein noch jeder 5000 $ erhalten sollen. Besonders nerven ihn die palästinensischen Kampagnen gegen Israels Versuche, seinen Status bei der WTO, der EU und der OECD aufzuwerten, sowie die zunehmenden Kampagnen für einen akademischen und ökonomischen Boykott Israels.

Alles das lastet er Abbas persönlich an, dem es nicht um ein Übereinkommen mit Israel, sondern allein um sein persönliches Bild in der Geschichte ginge. Besonders empören ihn die „dreisten Bemühungen um eine Einheit mit Hamas“, die schon gar nicht im Interesse der Palästinenser seien. Er lastet Abbas persönlich das Scheitern von Annapolis an. Dieser habe als erster und einziger nach Oslo einen vollständigen Stopp der Bautätigkeiten in Jerusalem und den Siedlungen verlangt, was selbst Arafat niemals getan habe. Mit seiner Ankündigung, dass er niemals einen einzigen Israeli unter Palästinensern dulden würde und seiner Ablehnung israelischer Soldaten in der möglichen Stationierung einer internationalen Streitmacht in „Judäa und Samaria“, „befürworte der Vorsitzende Abbas offen rassistische politische Positionen“. „Der einseitige Antrag auf Unabhängigkeit in der UN würde selbst von führenden Palästinensern und Premierminister Fayyad abgelehnt, verschärfe die Spannungen und wende sich direkt gegen die Lösung der anstehenden Streitigkeiten durch Dialog und Übereinkommen.“ Ein Katalog voller Geschichtsklitterungen und Beleidigungen.

Liebermann zimmert sich das Bild eines „radikalen, Terrorismus und Gewalt glorifizierenden“ Abbas zusammen, welches mit der Realität und Abbas diplomatischer Gratwanderung zwischen israelischen Zumutungen und innerpalästinensischer Opposition nichts zu tun. Es erinnert an die Verteufelungen, wie sie seinerzeit Begin, Rabin und Scharon mit Arafat unternommen haben, um einen Vorwand zu finden, keine Friedensverhandlungen mit ihm aufnehmen zu müssen. Insofern ist die Schlussfolgerung Liebermanns an seine Botschaften „unausweichlich: ein Übereinkommen wird solange nicht möglich sein, wie Mahmoud Abbas die Palästinensische Authority leitet, da er es vorzieht, zentrale palästinensische Interessen seinem historischen Vermächtnis und seiner persönlichen Zukunft zu opfern. Folglich sollten unsere Anstrengungen darauf konzentriert sein, die israelisch-palästinensische Wirtschafts- und Sicherheitskooperation aufrechtzuerhalten und auszudehnen.“ D. h. nichts anderes als die Fortsetzung der Besatzung im gegenwärtigen Maßstab.

Die größte Gefahr haben die israelischen Regierungen immer in einer gesprächs- und verhandlungsbereiten palästinensischen Führung gesehen. Sie haben vor keiner Entstellung, Verdrehung und Diffamierung ihres politischen Gegners zurückgeschreckt, um ihm am Verhandlungstisch nicht gegenübersitzen zu müssen. Eine solche Situation betrachten sie als Falle, denn dann müssten endlich die Themen auf den Tisch, die sie bisher nie ernsthaft verhandeln mussten: die Grenze, der Status von Jerusalem, die Siedlungen und die Flüchtlinge. Es wäre an ihnen, die Besatzung aufzuheben und das Land und die Freiheit an die Palästinenser zurückzugeben, denn diese haben nichts mehr anzubieten außer dem Frieden. Liebermann zieht aber die jetzige Situation eines schwelenden und immer wieder offen ausbrechenden Bürgerkrieges in einem großen Apartheid-Israel der Trennung in zwei unabhängige Staaten vor. Er setzt auf die Armee und auf die Unterstützung von USA und EU. Wie lange noch?

* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Ein Katalog voller Geschichtsklitterungen" gekürzt in: neues deutschland, 1. Februar 2012


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